Johann Bernhard Basedow, Methodenbuch (1770) und Elementarwerk (1774)

Kurzbeschreibung

Johann Bernhard Basedow (1724–90) gründete 1774 in Dessau eine Schule, das Philanthropinum. Seine Erziehungsphilosophie war stark von Rousseaus „Emile“ beeinflusst. Die Schule war für alle Schichten und Konfessionen gedacht und basierte auf einer pragmatischen Erziehung in der Volkssprache. Sie bestand nur für wenige Jahrzehnte, doch inspirierte sie ähnliche Schulen und pädagogische Ideen in ganz Deutschland. Die erste Auswahl stammt aus Basedows Methodenbuch von 1770; die Auszüge beschreiben seine pädagogische Philosophie und erklären, wie Bilder im Unterricht eingesetzt werden sollen. Die zweite Auswahl stammt aus dem ersten Band von Basedows Elementarwerk von 1774. Sie enthält einen Musterdialog zwischen einer Mutter und ihren Kindern, der gleichzeitig als Lektion in Wortschatz, Mode und Moral dient. Der Text erschien zuerst 1774 und wurde 1909 neu aufgelegt. Das Erscheinen dieser Neuausgabe um die Jahrhundertwende bezeugt den anhaltenden Einfluss, den Basedows Werk auf die deutsche Pädagogik insbesondere in progressiven Kreisen hatte.

Quelle

Aus J. B. Basedow, Zur elementarischen Bibliothek: Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker (1770)

[]

Das Elementarbuch aber soll mit den allerersten Erkenntnissen eines Kindes anfangen. Es wird mit meinem und meiner Rathgeber Wissen keinen unwahren Satz, ja kein übertriebenes Wort enthalten. Ein jeder Gegenstand wird zu rechter Zeit, nicht zu früh und nicht zu spät für die Bildung des Verstandes und Herzens der Kinder darinnen vorkommen. Ich werde keine einzige Stufe der ordentlich fortschreitenden Natur darinnen überhüpfen. Es wird als das erste und bis ins dreyzehnte oder funfzehnte Jahr zureichende Lehrbuch so vollständig seyn, daß darinnen ein fruchtbarer Saame zu aller Art von gemeinnützigen Erkenntnissen, mit einer Oeconomie, die der Natur des Bodens gemäß ist, anzutreffen seyn wird. Die realen und verbalen Erkenntnisse sollen nach ihrem Werthe und nach dem Bedürfnisse der Kinder in gehöriger Proportion stehn. Ihr Gedächtniß soll angewöhnt werden, zugleich dem aufwachsenden Verstande zu dienen, aber sich nicht die ganze Würde desselben anzumaßen. Das Buch soll so praktisch geschrieben werden, daß im Mangel der Schulen und Hofmeister eine jede Mutter, welche verständig ist, oder es werden kann, den Weg eines angenehmen und nützlichen Unterrichtes in den ersten Jahren der Kinder vollkommen gebahnet findet. Die Kinder selbst, wenn man nach meiner Vorschrift handelt, sollen kein Spiel und keine Ergötzung so lieben, als diese für ihre Natur eingerichtete und mit lehrreichen Kupfern durchgängig erläutere Buch. Es soll das Hülfsmittel werden, mit so geringem Zeitverluste als möglich ist, den Kindern in dem Verständnisse der französischen und lateinischen Sprache, (wenn nach dem Maaße ihrer erworbenen Realeinsicht, und in den leichtesten Wörtern zu ihnen geredet wird,) so grosse Fertigkeit zu geben, daß die Fortsetzung ihres Realunterrichts auch in diesen Sprachen geschehn kann, wie mein Plan von den gebesserten Schulen erfodert. – Die Anweisung zur Kunst des Lesens, und der ersten Uebungen des Rechnens soll mit dem Elementarbuche so verbunden werden, daß jedesmal erhellet, nach welchen Realerkenntnissen die einzelnen Theile der Verbalerkenntniß und solcher langwierigen Uebungen am vortheilhaftesten stückweise folgen können, um den ganzen Wachsthum an nützlichen Erkenntnissen desto geschwinder und sicherer zu befördern.

[]

Dieses Elementarwerk wird zum Unterrichte der Kinder in gesitteten Ständen, weiter als in das dreyzehnte Jahr, ein so vollständiger Vorrath seyn, daß man zu keiner Art der ihnen nöthigen Erkenntniß nebst diesem Werke andrer Schriften bedürfen wird; ausser in der Kirchenreligion, und etwa in der Kalligraphie, Tonkunst und Zeichenkunst, deren Anfangsgründe mit dem Elementarbuche zu verbinden, ich wider meine Hoffnung unübersteigliche Schwierigkeiten gefunden habe. Historie, Geographie und Welterkenntniß, Moral und philosophische Erkenntnisse, besonders von Gott und der Seele; nebst Vorübungen der Sprachlehre, der Beredsamkeit und des Geschmacks an schönen Künsten und Wissenschaften, (so weit alles dieses für das gesagte Alter gehört,) sollen in dem Elementarwerke, und zwar in solcher Ordnung enthalten seyn, daß den Eltern und Lehrern gar keine Mühe und Bedenklichkeit bey der Wahl übrig bleibe. Der Seegen Gottes erleichtre ferner dieses wichtige Vorhaben!

[]

Ich muß noch etwas von dem Nutzen der Gemählde und Kupferstiche in dem Unterrichte der Kinder sagen. 1) Die Erfahrung zeiget, wie sehr alles, was einem Bilde ähnlich sieht, die Kinder vergnüget, wenn auch nur alltägliche oder solche Sachen abgebildet sind, gegen welche sie gleichgültig zu seyn pflegen. 2) Die Betrachtungen und Sittenlehren, die bey solchen Figuren angebracht werden, sind lebhafter als andre, dauren länger, und werden von einem Kinde dem andern mitgetheilet und wiederholet. 3) Von vielen sinnlichen Dingen kann man in den Lehrstunden keinen Begriff ohne Abbildung machen, weil sie ausländisch oder wenigstens alsdann abwesend sind. 4) Durch Hülfe der Bilder wird der Lehrer leichter verstanden, wenn er bekannte Sachen in einer fremden oder todten Sprache wiederholet, in welchen durch diese natürliche Lehrart die Kinder am leichtesten und geschwindesten zur Fertigkeit gelangen.

[]

Quelle: Johann Bernhard Basedow, Zur elementarischen Bibliothek: Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker. Altona: Cramer, 1770, S. 13–16, 234. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10764779-7

Aus J. B. Basedow, Elementarwerk, Band I (1774)

[]


i) No. 2. Tab. III. Von dem Nutzen der Kleidung[1]).

[]

Benennung der Kleidungsstücke, nebst einigen Sittenlehren.

Karol.: An der Wand auf den hölzernen Knöpfchen, ein Leibchen ohne Ärmel mit Schnürlöchern, eine Schnürbrust, eine Contouche[2]) mit Bändern besetzt, ein Rock, ein Oberkleid mit einer Schleppe, ein Pelz für den Winter, eine Saloppe, ein Reifrock, ein Schlenter oder Hauskleid. Die Schnürbrüste, Schleppen und Reifröcke gefallen mir gar nicht. Die ersten drücken, die zweiten beschweren und sind nur geschickt, Unreinigkeit mit nach Hause zu bringen. Die Reifröcke sind sehr unbequem, und ich freue mich, daß wir keine gebrauchen.

M.: Ich bin deiner Meinung. Aber den Leuten gefällt oft etwas, welches ihnen nicht gefallen sollte. Die Art, sich so zu kleiden, ist in unserem Stande die üblichste oder sie ist für uns Erwachsene Mode. Wer der Mode zuwider handelt, der mißfällt. Und wir müssen lieber einige Beschwerlichkeiten leiden, als vielen guten Menschen mißfallen. Doch fahre fort, die Vorstellung zu beschreiben.

Karol.: Auf dem Tische steht die Form eines Kopfes von Bildhauerarbeit, auf welchem wir das Kopfzeug in Ordnung bringen. Da liegt auch der Fächer, der im Sommer dient, uns abzukühlen, und den wir vor dem Gesichte halten, wenn wir niesen, husten oder auswerfen. Ich sehe auch Armbänder und eine Schnur Perlen, eine Schere und eine kleine Büchse, worin vermutlich Ringe und andere Sachen sind. Ich vermisse das Nadelkissen, die Kämme und anderes Gerät, welches auf einen solchen Nachttisch gehört. Der Spiegel ist da, an welchem ich das spiegelnde Glas und den Rahmen unterscheide. Aber was sehe ich! Die Pantoffeln und Schuhe mitten auf dem Boden? Gewiß der Zeichner hat das so gemacht, um uns zu erinnern, daß wir alles ordentlich wegsetzen müssen[3]).

M.: Es ist ein großer Fehler der Menschen, daß sie danach trachten, Überfluß an Kleidern zu haben, und daß sie an Pracht derselben so viel Geld wenden, wofür etwas Besseres und Notwendigeres gekauft werden könnte. Manche tun den Armen sehr selten Gutes, weil sie alles, was sie erwerben können, auf Pracht wenden. Dieser Fehler ist häufiger bei dem weiblichen als bei dem männlichen Geschlechte. Wenn ihr groß werdet, meine lieben Töchter, so spart an Kleidung und aller Pracht, damit ihr das weit größere Vergnügen haben könnt, reichlich wohlzutun, und das Geld an bessere Sachen zu wenden. Friedrich, nenne deinen kleinen Brüdern die gezeichneten Mannskleider.

Friedrich: Ein Hut, ein Brusttuch mit Knöpfen und Knopflöchern, Beinkleider mit Kniebändern, zweierlei Westen, ein Rock, an welchem ich bemerke: die Vorderstücke, das Hinterstück, die Ärmel, die Aufschläge, die Taschen mit ihren Klappen und die Falten; ein Oberhemd mit Manschetten, ein Kasekeng (oder Hausrock), ein langer weiter Schlafrock (beide sind von buntem Zeuge), ein Pelz mit seinem Kragen und seinen Aufschlägen, ein Mantel, welcher vornehmlich im Regen und anderem beschwerlichen Wetter nützet.[4] Auf der Perückenstange sehe ich eine Knotenperücke, eine runde Perücke und eine Beutelperücke. Auf dem Tische liegen Strümpfe mit Zwickeln und Strumpfbänder, ein Muff, eine Nachtmütze, unter derselben das Halstuch, daneben die Knieschnallen, die Schuhschnallen und die Halsbinde; an dem Tische lehnt sich der Stock mit seinem Knopfe und der Degen, welcher aus dem Gefäße und der Klinge besteht. Das Gefäß hat einen Knopf, einen Griff, einen Biegel und ein Stichblatt. Die Klinge steckt in einer Scheide. An der Scheide ist be­festigt das Degengehäng, welches dient, den Degen an die Seite zu gürten. Auf dem Boden seh ich Stiefeln mit ihren Absätzen, Sohlen und dem Oberleder. Das oberste Stück ist umgeschlagen, um den Riemen zu zeigen, woran man die Stiefeln in die Höhe zieht; daneben liegen Pantoffeln und Schuh mit ihren Riemen, auch Halbstiefeln, die an den Seiten zugeschnürt werden. Mich deucht, die Sachen auf dem Tische und auf dem Boden müßten ordentlicher verwahrt sein. Die eine Seite des Tisches ist von dem Lichte abgekehrt und daher dunkel. Der schwarze Strich bei dem Degen ist der Schatten desselben.

M.: Du, Emilie, sage, was auf dem untersten Felde vorgestellt sei?

Emilie: Ich sehe Kinder, welche ihre guten Kleider, die man uns so gut noch nicht gibt, auf mancherlei Art verderben. Diese müssen nicht so gute Eltern und Anführer gehabt haben als wir. Sie müssen nicht wissen, daß so gute Kleider viel Geld kosten, und daß man sie durch Feuer, Wasser, Puder und anderen Staub, auch durch Reißen und Balgen verderbe. Der Knabe da, der ganz zierlich angekleidet ist, kniet vor einer Bank, worauf eine Schüssel mit Wasser steht; darin plätschert er und läßt seinen hölzernen Fisch und sein Schiffchen schwimmen. Er wird übel daran sein, wenn er sich mit seinen benetzten Kleidern zeigt. Du geputztes und unvorsichtiges Mädchen da am Kaminfeuer! die Flamme hat schon dein schönes Kleid ergriffen! wo dir nicht bald geholfen wird, so bist du unglücklich! Du hättest dich wärmen, du hättest mit der Puppe, die nun auf dem Boden liegt, spielen können. Aber vor Feuer müssen sich die Kinder sorgfältig hüten. Ich sehe mit Mitleiden deine Angst auf deinem Gesichte. Ihr beiden Balger da! Was macht ihr? Ist es Ernst, so seid ihr boshafte Jungen, welche Strafe verdienen. Soll es Scherz sein, so müßt ihr euch nicht so stark reißen und an den Haaren ziehen, auch nicht auf den harten Boden werfen, wo ihr Arm und Bein zerbrechen könnt. Papa sagt, die grüne weiche Wiese ist zu solchen scherzhaften Übungen der Knaben geschickt. Auch alsdann müßt ihr die Oberkleider ausziehen und kein gekräuseltes Haar und keine solche Kleider haben, die leicht zerreißen und nicht leicht wieder ergänzt und gereinigt werden können[5]). Da vor dem Spiegel steht ein gepuderter Knabe, der sich selbst noch mehr pudern will. Die Kleider aber werden mehr gepudert als sein Haar. Hätte er noch einen Pudermantel um sich hergeschlagen! Sein Hut, der auf dem Tisch liegt, wird auch bestäubt. Er mag sich auf die derbsten Verweise gefaßt machen und, wenn es ihm schon verboten ist, auf Strafe. Doch ich rede, als wenn ich Personen und keine Bilder sehe. Mein Geschwister wird mich wohl verstehen.

[]

Anmerkungen

[1] Ankmerk. Basedows. Wenn Kinder schon lesen können, und wenn man durch Erfahrung, Erzählung, Erdichtung, und Anstalten die ersten richtigen Begriffe von gewissen vorkommenden Dingen in ihnen zu erregen sucht, so ist der Inhalt solcher Gespräche ihnen nicht bis zur Unbrauchbarkeit unverständlich.
[2] Weites kurzes Überkleid für Frauen, auch kurzer Hausrock für Männer.
[3] Anmerk. Basedows. Man sieht wohl, nicht alles sei für ganz junge Kinder. Man wendet sich alsdann zu erwachseneren oder geht es vorbei.
[4] Anmerk. Basedows. Bei solchen Stellen ist nur die Namenlehre besonders in fremden Sprachen und einige unvollständige Unterscheidung sinnlicher Sachen der Zweck. Will man bloß auf nützliche Sacherkenntnis sehen, so sind sie überflüssig
[5] Es gehört zu den unbestrittenen Verdiensten Basedows, die Jugend der höheren Stände von der Unnatur der Kleidung, wie sie das Zeitalter Ludwigs XIV. mit sich brachte, befreit zu haben. Man sehe sich nur die meisten Kinder auf den Bildern des Elementarwerks an! Die galonnierten Röcke, die Frisur, die Haarbeutel – alles schaffte man im Philanthropin ab. „Man kann denken, wie wohl den Knaben wurde, wenn sie aus den Zwangsfracks, Zwangshosen und Zwangshalstüchern herausgelassen, nun die bequemsten Matrosenjacken und Beinkleider von blau- und weißgestreiftem Zwillich erhielten, den Hals frei trugen, den Hemdkragen übergeschlagen; wenn ihnen dann vollends der Schmutz von Puder und Pomade aus den Haaren weggeschafft, der Haarbeutel abgebunden wurde.“ Vgl. Karl von Raumer, Geschichte der Pädagogik, II. Teil. Gütersloh 1889. S. 242 f.

Quelle: Johann Bernhard Basedow, Daniel Chodowiecki und Theodor Fritzsch, J. B. Basedows Elementarwerk: Mit den Kupfertafeln Chodowieckis u.a. Kritische Bearbeitung in drei Bänden, mit Einleitungen, Anmerkungen und Anhängen. Leipzig: E. Wiegandt, 1909, Band I, S. 80, 82–85.

Jürgen Overhoff, „Franklin’s Philadelphia Academy and Basedow’s Dessau Philanthropine: Two Models of Non-Denominational Schooling in Eighteenth-Century America and Germany“, Paedagogica Historica 43, Nr. 6 (Dezember 2007), S. 801–18.

Reinhard von Stach, „Das Basedowsche Elementarwerk“, Paedagogica Historica 14, Nr. 2 (1. Januar 1974), S. 458–96.

Johann Bernhard Basedow, Methodenbuch (1770) und Elementarwerk (1774), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-104> [05.12.2024].