Bernhard Dernburg über seine Eindrücke in Deutsch-Ostafrika (1908)
Kurzbeschreibung
Die deutsche Kolonialpolitik konnte sich auf eine breite Mehrheit im deutschen Reichstag stützen; Differenzen betrafen primär ihre Ausführung. Der linksliberale Bankier Bernhard Dernburg (1865–1937) leitete ab 1907 das neu geschaffene Reichskolonialamt. Nach einer Reise durch Deutsch-Ostafrika erläuterte er der Budgetkommission des Reichstages am 18. Februar 1908 seine Eindrücke. Er wollte koloniale Ressourcen—zu denen er die Bevölkerung zählte—maximal ausbeuten. Dabei verschleierte er nicht die asymmetrischen Gewaltverhältnisse, im Gegenteil: Die „Rassenjustiz“ erschien ihm naturhaft, doch wollte er ihre Auswüchse kontrollieren.
Quelle
Fragen der Eingeborenenpolitik in Deutsch-Ostafrika
Der Staatssekretär des Reichskolonialamts Bernhard Dernburg erörtert vor der Budgetkommission des Reichstages am 18. Februar 1908 die Erfahrungen einer 30tägigen Reise durch Deutsch-Ostafrika.
Es gibt in den Kolonien und auch hier eine große Anzahl wohlmeinender Leute, die da glauben, daß die Kolonisation von Afrika durch verwaltungstechnische Maßregeln erledigt werden könne und daß man durch Ausübung von Druck auf die Urbevölkerung oder durch Erlaß von allen möglichen Verordnungen nun die ganze Natur dieser Leute binnen kurzem würde umändern können. Ich kann es diesen Herren nicht verdenken, wenn sie von ihrem Standpunkte aus den Wunsch hegen, daß nun solche Maßregeln ergriffen werden; denn es handelt sich ja für sie nicht wie für das Deutsche Reich darum, auf eine planmäßige Weise einen wichtigen Zugang zu den Aktiven der Nation zu erhalten, sondern für sie handelt es sich darum, in verhältnismäßig kurzer Zeit Geld zu verdienen. Zu lange können sie nicht draußen existieren und je mehr sie erwerben, um so besser. An den Lasten, die uns Kriege und Aufstände bringen, tragen sie zudem nicht mit. Auf der anderen Seite muß die Reichsverwaltung — die ja dafür eingesetzt ist, diese Länder zu entwickeln, den Austausch solcher Güter, die in Deutschland entweder erzeugt oder verbraucht werden, zu fördern — sich auf den Standpunkt stellen, daß sie in erster Linie die Hüterin der in den Kolonien gültigen Rechts- und Staatsinstitutionen ist, daß sie demnächst darüber wachen muß, daß die finanziellen Opfer für die Kolonien, welche das Reich bringt, in verständigen Grenzen bleiben; drittens, daß sie die einzige bisher existierende Instanz ist, die in der Lage ist, die Rechte der Eingeborenenbevölkerung, die ja doch auch bestehen, wahrzunehmen. Und wenn ich deshalb bei manchen dieser Wünsche und Beschwerden, die an mich gekommen sind, mich auf den Standpunkt stellen muß: „Nein“ oder „Noch nicht“, so muß man daraus nicht entnehmen, daß ich etwa unfreundlich oder ablehnend oder voreingenommen bin, sondern daß ich lediglich das Tempo nicht billigen kann, in dem man einer Bevölkerung, die Tausende von Jahren in einem anderen Kulturzustande war, eine andere Art von Rechtsauffassung, von Familienverhältnissen und Arbeitsmethoden beibringen will. Da muß man andere Wege gehen, wenn man nicht die schönen, von meinen Vorgängern und allen deutschen Beamten in den Kolonien erzielten Resultate durch gewaltsame, unnatürliche, aufgepfropfte Versuche in Frage stellen will. (Bravo!) […]
Ich stelle den Satz an die Spitze, den die Petition der Farmer in Ostafrika auch trägt, nämlich daß das wichtigste Aktivum in Afrika der Eingeborene ist. Da kommt es nun darauf an, einmal festzustellen: wie ist denn die Situation der Eingeborenen da draußen? Jede Betätigung des Weißen führt ihn natürlich mit dem Schwarzen zusammen. Nur mit ihm kann er seinen Boden bestellen lassen und nur mit ihm den Handel betreiben. Ohne ihn wäre jede Kolonisation Ostafrikas ganz ausgeschlossen. Wie aus einem Zusammenleben von Weißen und Schwarzen dort allein eine Blüte entstehen kann, so liegt auch überall, wo das Zusammentreffen stattfindet, der Keim größerer Konflikte — sowohl für die Beziehungen der Regierung zu den Schwarzen, als auch für die aller anderen Stände: der Farmer und Pflanzer, der Kaufleute, selbst der Missionare.
Die Beziehungen der weißen Regierung zu den schwarzen Schutzgenossen und das Maß ihres Einflusses richtet sich stark nach örtlichen Umständen. Sie wissen, daß wir in den volksreichsten und wahrscheinlich auch viehreichsten Teilen des ostafrikanischen Schutzgebietes so gut wie gar keine Macht ausüben, z. B. über das ganze Land Ruanda und Urundi. Diese Provinzen sollen ungefähr fünf Millionen Einwohner haben und sehr wohlhabend sein. […] Die Bevölkerung im Schutzgebiet ist keineswegs gleichmäßig. An der Küste ist eine Mischung aller möglichen Negerarten vorhanden, natürlich ohne Stammeszugehörigkeit und natürlich auch ohne entsprechende einheimische Obrigkeit. Im Innern hat man überall, wo kriegerische Zusammenstöße zwischen Weißen und Schwarzen stattgefunden haben, die einheimischen Sultane und Häuptlinge entfernt und durch Beamte, auch schwarze Beamte, ersetzt. Im Westen herrschen die eingeborenen Sultane unter der deutschen Oberherrschaft; […] was soll mit den Ländern in Ostafrika geschehen, die noch unter der Zwischenherrschaft dieser einheimischen Sultane oder Fürsten oder Dorfschulzen stehen? Es würde schwierig sein, das zu ändern, weil man dazu erhebliche Machtmittel braucht. Ich glaube, daß ich nicht noch einmal darauf aufmerksam machen muß, daß wir in Ostafrika bei einer Bevölkerung von zehn Millionen Einwohnern, darunter über drei Millionen Männern, nur 4000 schwarze Soldaten und Polizisten und vielleicht 120 oder 150 deutsche Offiziere haben. Wir müssen — und das ist die Basis unserer Macht — in Ostafrika durch das Ansehen, das die Verwaltung besitzt, durch die Schärfe, mit der sie gegen jede Unbotmäßigkeit vorgeht, durch die technischen Hilfsmittel der Eisenbahnen, die, wie Sie wissen, ihr noch unvollkommen zur Seite stehen, und durch das Maß von Vertrauen, welches sie bei den Schwarzen genießt, alles zusammenhalten. Wir müssen eine kräftige, gerechte, vertrauenswerte Verwaltung dort einführen und halten, wir müssen vor allen Dingen den Leuten beibringen, daß sie von der deutschen Herrschaft einen Vorteil haben. Das ist ihnen sehr schwer beizubringen, schon deshalb, weil die Vorteile, die sie bisher hatten, sehr gering waren gegenüber den Nachteilen, welche die deutsche Verwaltung für sie nach ihrem Empfinden in bezug auf Abänderung ihrer Gewohnheiten, auf Steuerzahlen, Kontrollen usw. gehabt hat.
Ich möchte mit meinen Ausführungen in der Kommission die Überzeugung erwecken, daß die Regierung nur prosperieren kann, wenn sie eine vorsichtige, langsame, wie manche sagen „negerfreundliche“ und, wie ich sage, negererhaltende Politik einschlägt, daß sie sich von diesem Wege durch irgend welche Interessen oder Ansichten nach keiner Richtung abdrängen lassen darf. Sie muß, wie in der Heimat, zwischen allen Erwerbs- und Berufsständen ausgleichend wirken und kann sich unmöglich auf die Seite der einen schlagen, um der anderen Seite einen Nachteil zuzufügen.
[…]
Die Hauptforderung aber, die im Interesse des deutschen Ansehens und der Ruhe und Sicherheit des Schutzgebiets liegt, ist die, daß das Vertrauen der schwarzen Bevölkerung zur Regierung gestärkt wird. Deswegen habe ich mich grundsätzlich um die Rechtspflege im Schutzgebiet gekümmert. In der Natur der Neger liegt es, daß die bestehende Rassenjustiz auf längere Zeit nicht wird geändert werden und daß gewisse Züchtigungsmittel, welche die Heimat perhorresziert, auch nicht abgeschafft werden können. Ich habe mich nach dieser Richtung ganz besonders umgeschaut. Um so wichtiger ist es aber, daß diese Rechtslage mit Garantien umgeben bleibt, die eine willkürliche und unüberlegte Handhabung der Strafmittel durch die mit richterlichen Befugnissen ausgestatteten Personen ausschließen. Ich habe mich bereits in einer in Oldenburg gehaltenen Ansprache damit beschäftigt, wie es in den Negergerichten zugeht und ich kann mich hier darauf beschränken, zu sagen, daß ich sehr viel positives Recht gefunden habe, das zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten und zur Ahndung von Rechtsbrüchen in der Bevölkerung gesprochen wird. Das ist zu erkennen auch an der Haltung der Schwarzen.
Dagegen ist bei einem Streit zwischen einem Schwarzen und einem Weißen die Lage des Schwarzen ungünstig. Hat ein Weißer gegen einen Schwarzen etwas vorzubringen, so schreibt er einen Zettel, und die Sache wird durch ein Schauri abgemacht. Hat ein Schwarzer eine Klage gegen einen Weißen, so muß er hingehen zum Gericht, muß Vorschuß zahlen; er wird mit den in der Heimat üblichen Formalitäten belastet, er bekommt schließlich ein Urteil oder einen vollstreckbaren Titel in die Hand, mit dem er nichts anzufangen weiß, mit laufenden Terminen und Fristen. (Heiterkeit.) Sie dürfen nicht vergessen, daß es in dem ganzen Schutzgebiet (es ist zweimal so groß wie Deutschland) drei Gerichte gibt, wo der Schwarze gegen den Weißen etwas vorbringen kann. […]
An der Küste macht es einen unangenehmen Eindruck, daß so viele Weiße mit der Peitsche spazieren gehen. Auf dem Tische der Hauptkasse in Daressalam habe ich eine vorgefunden. (Bewegung.) Es ist heute noch stark üblich, und die Herren, die dort gewesen sind, werden es mir bestätigen. Jeder Weiße hat ein gewisses Züchtigungsrecht gegenüber seinen Dienstboten, Arbeitern usw. (Zuruf.) Sie üben es nicht überall aus, wie ich gern bestätigen will, sondern schicken ihre Sachen nach dem Gericht. […]
Quelle: Deutsches Kolonialblatt. Hrsg. im Reichskolonialamt, Jg. 19, Nr. 5, 1. III. 1908, S. 217–22; abgedruckt in Gerhard A. Ritter, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1914. Ein historisches Lesebuch. 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 348–51. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Vandenhoeck & Ruprecht. Online verfügbar unter: http://daten.digitalesammlungen.de/0004/bsb00044645/images/index.html?id=00044645&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=348
Weiterführende Inhalte
Nina Berman, Klaus Mühlhahn und Alain Patrice Nganang, Hrsg., German Colonialism Revisited: African, Asian, and Oceanic Experiences. Ann Arbor, MI: University of Michigan Press, 2018.
Sara Friedrichsmeyer, Sara Lennox und Susanne Zantop, Hrsg., German Colonialism and its Legacies. Ann Arbor, MI: University of Michigan Press, 1998, S. 107–24.
Bradley Naranch und Geoff Eley, Hrsg., German Colonialism in a Global Age. Durham, NC, und London: Duke University Press, 2014.
Michael Perraudin, Jürgen Zimmerer und Kate Heady, Hrsg., German Colonialism and National Identity. New York: Routledge, 2011.