Kritik an einem „Liebeslied“ für Deutschland (2003)
Kurzbeschreibung
Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung 1990 ist Patriotismus für viele Deutsche immer noch ein schwieriges Thema. Als die Band Mia (auch MIA) die Farben der deutschen Flagge in ihr Lied darüber einflocht, dem Patriotismus wieder eine Chance zu geben, gab es erhebliche Kontroversen, ob sie damit den Nationalismus normalisieren.
Quelle
Es ist, was es ist: saudämlich
Die Berliner Band Mia singt Deutschland ein schwarz-rot-goldenes Liebeslied
Hand in Hand mit Martin Walser betreten Mia „neues deutsches Land“
Schwachsinn ist man von der Berliner Band Mia einigen gewohnt: Das NDW-Plagiat ihrer letztjährigen Debüt-CD verkaufte sie medienwirksam als Elektropunk; in diesem Jahr eröffnete sie gemeinsam mit einer Blaskapelle die Love Parade und lief – als Plädoyer „für Liebe und nicht für materielle Befriedigung“ – einmal um die Siegessäule herum. Grund genug eigentlich, die Band mit Aufmerksamkeit zu verschonen.
Mit ihrer neuesten Single verlieren Mia allerdings den Anspruch darauf, wegen eigener Dämlichkeit verschwiegen zu werden. „Was es ist“ heißt der Song, für dessen Refrain man sich bei Erich Frieds gleichnamigem Gedicht bedient hat: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe. Was es ist, fragt der Verstand. Ich freu mich auf mein Leben, mache frische Spuren in den weißen Strand.“ Ein Liebeslied also, eine jugendlich-naive Klavierballade und im Grunde nicht weiter der Rede wert, wäre der weiße Strand nicht die deutsche Geschichte und würde die Liebeserklärung nicht Deutschland gelten. „Ein Schluck vom schwarzen Kaffee macht mich wach. Dein roter Mund berührt mich sacht. In diesem Augenblick, es klickt, geht die gelbe Sonne auf.“ Kaffee, Mund, Sonne – so unverschämt verbrämt sind einem die deutschen Nationalfarben noch selten untergejubelt worden.
Hand in Hand mit Martin Walser latschen Mia also den unberührten Strand entlang und, so trällert Sängerin Mieze weiter, „betreten neues deutsches Land“. Einige Takte später jubiliert sie: „Fragt man mich jetzt, woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber leid. Ich riskier was für die Liebe. Ich fühle mich bereit.“ Da möchte man sogar Pathoslyriker Fried in Schutz nehmen, der 1938 vor der Ermordung durch die Deutschen nach England fliehen musste und für solcherlei textliche Vereinnahmung nun wirklich nichts kann. Trotz neuer Melodie – es ist, was es ist: das alte Lied vom gesunden Nationalgefühl und dem Schlussstrich, der endlich mal gezogen gehört. Als ob mangelnder Patriotismus je ein Problem dieses Landes gewesen wäre.
Was zur plötzlichen Deutschland-Euphorie Mias führte, beschreibt Produzent Nhoah im Internet: „Dann kam der Irak-Krieg. Ich in Buenos Aires und stand als Deutscher mit einem Mal für den Frieden. Ein völlig neues Gefühl! Taxifahrer hoben die Daumen. Menschen schüttelten mir die Hände und bestärkten mich. ‚Contra la guerra.‘ “ Was offensichtlich das Schönste an diesem Krieg ist: dass man endlich wieder ungehemmt für Deutschland sein darf. […]
Quelle: Phillip Meinhold, „Es ist, was es ist: saudämlich“, taz, 12. November 2003. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von der taz. Online verfügbar unter: https://taz.de/!682062/
Weiterführende Inhalte
Michael Ahlers und Christoph Jacke, Perspectives on German Popular Music. New York: Routledge, 2018.
Cornelia Wilhelm, Migration, Memory, and Diversity. Germany from 1945 to the Present. New York: Berghahn Books, 2016.
Thomas Winkler, „Popband Mia: Schwarz-rot-goldener Schatten“, Spiegel Online, 21. Juli 2006, http://www.spiegel.de/kultur/musik/popband-mia-schwarz-rot-goldener-schatten-a-427543.html