Conradus Celtis Protucius, Oratio in Gymnasio in Ingelstadio publice recitata (1492)

Kurzbeschreibung

In dieser Rede vor Schülern des Ingolstädter Gymnasiums vertrat der Humanist Conrad Celtis (1459–1508) die Ansicht, dass die Deutschen, die nun über das Römische Reich herrschten, sich die klassische Bildung und Kultur aneignen müssten, so wie die Römer sich die griechische Kultur angeeignet hatten, um die Klischees von den wilden und unkultivierten Deutschen zu widerlegen. Er brachte die Rauheit der Menschen mit der des Landes in Verbindung und betonte, dass sich das Land selbst in den letzten Jahren stark verändert habe. Durch die Trockenlegung von Sümpfen und die Abholzung großer Wälder sei das Klima angenehmer geworden und es seien mehr Städte entstanden. Dieser Text stellt eine mythische und historische Vergangenheit dar und stellt die wilden und unkultivierten Deutschen den fügsamen und kultivierten Südländern, insbesondere den Italienern, gegenüber.

Quelle

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Aber an euch richte ich jetzt meine Rede, edle Männer und wohlgeborene Jünglinge, auf die durch die Leistung der Vorväter und die berühmte unbesiegbare deutsche Kraft die Herrschaft Italiens übergegangen ist, und die ihr diese Universität vor allen anderen Studienorten unseres deutschen Landes besucht, sie bereichert und ihr zu großem Schmuck und Zierde gereicht. (2) Ich ermahne euch, wendet euch zuerst den Studien zu, die euch zivilisierter und gebildeter machen und von der Lebensart des Pöbels abbringen können. (3) Wenn ihr euch aber höheren Studien widmet, dann haltet euch den wahren Adel des Geistes vor Augen und seid überzeugt, daß ihr unserem Reich nicht Auszeichnung, sondern Schande zufügt, wenn ihr nur Pferde und Hunde aufzieht und nur kirchlichen Pfründen, nicht aber wissenschaftlichen Studien nachjagt. (4) Seid darauf bedacht, euren Ämtern Glanz zu verschaffen, den ihr durch Tüchtigkeit, Gelehrsamkeit und Bildung gewinnen müßt, und nur makellosen Charakteren Ehrentitel beizulegen, damit die Menschen euch dieser für würdig halten und somit die Ämter euch nachjagen, nicht ihr ihnen wie Vogelfänger einem Schwarm Vögel. (5) Eifert, ihr edlen Männer, dem alten römischen Adel nach, der die Herrschaft über die Griechen gewann und dann all deren Weisheit und Beredsamkeit so erwarb, daß man zweifeln kann, ob er allem Anschein nach alle griechische Erfindung und den Schatz ihrer Gelehrsamkeit nur erreicht oder sogar überboten hat. (6) So müßt ihr, nachdem ihr die Herrschaft Italiens gewonnen habt, die häßliche Barbarei ablegen und euch um die Künste und Wissenschaften der Römer bemühen. (7) Schafft aus der Welt den schlechten Ruf, den die Germanen seit alters bei griechischen, lateinischen und hebräischen Autoren hatten, wo jene uns Trunksucht, wildes Wesen, Grausamkeit und alles, was sonst noch am ehesten Eigenschaft eines Tieres oder Wahnsinnigen ist, zuschreiben. (8) Ihr müßt euch sehr schämen, die Geschichtswerke der Griechen und Römer nicht zu kennen, noch mehr aber solltet ihr euch schämen, unseres Gebietes und Landes Lage, Gestirne, Flüsse, Berge, Altertümer und Völkerschaften nicht zu kennen sowie schließlich auch das, was fremde Menschen über uns so kundig zusammengetragen haben, daß es für mich ein großes Wunder ist, wie Griechen und Römer mit so vollkommener Sorgfalt und erlesener Gelehrsamkeit unser Land, einen sehr großen Teil Europas, um ihren Ausdruck zu gebrauchen, durchforscht haben, der doch Im Vergleich zu jener Veränderung des Klimas, wie ich glaube, rauh und roh war, und wie sie unsere Sitten, Leidenschaften und Gesinnungen mit Worten gleichsam wie mit Gemälden und anschaulichen Zeichnungen ausgedrückt haben. (9) Laßt endlich ab, edle Männer, von diesem räuberischen Unwesen und beseitigt es, denn von ihm sagen diese Autoren, daß es bei uns geradezu als Tugend gelte. (10) Und es ist schon verwunderlich, daß bis heute in bestimmten Teilen Deutschlands seit über 1500 Jahren diese angeborene Krankheit fortdauert, da wir die Anführer des räuberischen Haufens nicht beseitigen können, obwohl das Klima schon freundlicher und unser Land nach Trockenlegung der Sümpfe und Rodung unermeßlicher Wälder auch mit berühmten Städten besiedelt ist. (11) So schwierig ist es, zu verbessern, was zur Gewohnheit geworden ist, und auf lange Zeit kann sich ausbreiten, was die Billigung vieler findet. (12) So geschah es, daß die angrenzenden Völker auf uns herumdreschen, indem sie behaupten, wir hätten mit der Übernahme des Reiches zugleich viele Laster fremder Völker angenommen, und daß sie alles, was deutsch heißt, mit geradezu ewigem Neid und Verleumdung verfolgen, und unsere Begabungen sind für sie immer verdächtig und furchterregend. (13) Mi Scham erfüllen soll euch, edle Männer, die Tatsache, daß zur Beschimpfung und bitteren Verhöhnung des deutschen Namens in neueren Geschichtswerken manche Leute, die sich rühmen, durch die Veröffentlichung neuer Dekaden die gleiche Größe wie das alte römische Reich gewonnen zu haben, die Geburtsnamen unserer berühmtesten Fürsten unterdrücken und sie nur Barbaren nennen. (14) Soviel vermochte der alte und unversöhnliche Haß unter uns und die eingewurzelte Zwietracht der Majestäten; wenn diese Zwietracht nicht eine vorausschauende Natur durch die Alpen und durch Felsenwände, die zu den Sternen ragen, getrennt hätte, wäre sie niemals vor gegenseitigem Töten, entsprechend der feindlichen Erbitterung auf beiden Seiten, zurückgeschreckt. (15) Mit Scham erfüllen soll euch, so bitte ich, der Umstand, daß durch uns zwar viele denkwürdige Kriege geführt oder erfolgreich zu Ende gebracht wurden, nämlich in Pannonien, Gallien, Italien und gegen den ungeheuerlichsten Tyrannen Asiens, der vom Blute der Christen trieft, daß man aber niemanden unter euch heute findet, der die durch deutsche Tüchtigkeit vollbrachten Taten unsterblich macht, daß es aber sehr viele Ausländer geben wird, die in ihren Geschichtswerken, entgegen jedem Gesetz der Geschichtsschreibung, wie Ottern unsere Tüchtigkeit angiften, indem sie mit prunkhaften Periodenbau und der Verführung ihrer Rede, um nicht zu sagen mit Erdichtungen und lügenhafter Erfindung – darin ist dieser Menschenschlag zu seinem eignen Lobe überaus verschwenderisch – unsere ruhmvollen Taten herabsetzen. (16) Ferner weiß ich nicht, ob man es unserer Klugheit oder unserer Unbedachtheit anrechnen muß, daß wir vor kurzem den Lorbeer, Auszeichnung der Schriftsteller und Begleiter der Kaiser, wie ein schlechtes Vorzeichen für unser Reich freiwillig dem Tarpeischen Felsen überlassen haben. (17) Anderen wurde das Recht gewährt, den Lorbeer zu verleihen, sodaß schließlich bei uns kein Würdezeichen der Herrschaft mehr bleibt.

Nehmt die alte Gesinnung wieder an, deutsche Männer, mit der ihr so oft Schrecken und Furcht über die Römer gebracht habt, und richtet eure Blicke nach den vier Ecken Germaniens und bedenkt seine ganz und gar zerrissenen Grenzen. (2) Schande über Schande, daß wir unserem Volk das Joch der Sklaverei auferlegt haben und daß wir ausländischen und barbarischen Königen Steuern und Abgaben zahlen! (3) O du freies und starkes Volk, o du edler und tapferer Stamm und des römischen Imperiums durchaus würdig, deinen berühmten Seehafen und den Zugang zu unserem Ozean haben der Pole und der Däne in Besitz! (4) Im Osten aber stehen mächtige und bedeutende Stämme, Markomannen, Quaden, Bastarner und Peukiner, unter fremder Herrschaft und leben gleichsam vom Körper unseres deutschen Landes getrennt. (5) Die jazygischen Metanasten zähle ich gar nicht dazu, die ebenfalls eine stammverwandte Kultur besitzen und unsere heimische Sprache sprechen. (6) Im Westen ist aber nur uns Frankreich freundlich gesonnen und leistet Zahlungen aufgrund der unsterblichen Tüchtigkeit und unglaublichen Weisheit des Pfalzgrafen Philipp bei Rhein, der beide Ufer des berühmten Flusses beherrscht und immer unter seiner glücklichen Regierung beherrschen wird,

„solange der Himmel die Sterne dreht, solange Winde die Gestade peitschen“.

(7) Im Süden aber werden wir durch eine besondere Art der Sklaverei bedrückt, und es werden aufgrund einer alten verdammungswürdigen Habsucht, die nur dazu dient, der Verschwendung frische Nahrung zuzuführen, immer neue Siedlungen angelegt, durch die mit erstaunlichem Talent, unser Land arm gemacht wird, da wir für andere das verausgaben, was wir selbst brauche. (8) So hartnäckig ist das Schicksal oder Geschick, wenn es gilt, die Deutschen den letzten Rest des römischen Imperiums, zu verfolgen und zu vernichten. (9) Aber ich fürchte, daß ich mich offener vorgewagt habe, als ich wollte, da ich Abscheu vor meinem Deutschland empfand, weil angesichts der Macht unserer Kaiser ich an den wertvollen Bücherschatz denken muß, der von Griechen und Italienern nicht räuberische hinweggeführt werden darf und zu bewahren ist. (10) Diese Schätze lassen wir, wie in einem Kerker eingeschlossen, mit Staub bedeckt und unberührt und dabei nicht hinreichend vor Regen sicher, immer noch wie ein Beute für Feinde, verachtet liegen.

Ich komme wieder auf euch zu sprechen, edle Jünglinge, und ermahne euch vor allem: Macht euch bewußt, bevor ihr euch der Rechtswissenschaft zuwendet, daß ihr viele Dinge kennen müßt, weil diese Wissenschaft euch über reine Vermutungen hinaus nichts lehren kann. (2) Wenn Philosophen und Dichter, die ersten Theologen – wenn man den Alten glauben darf –, die Wildheit der unsteten und umherschweifenden Menschen durch Beredsamkeit gezähmt und sie aus Schlafstätten, wie das Vieh sie benützt, und aus Höhlen zu einem Leben in Städten und unter gemeinsame Dächer gebracht haben, sie religiöse Bindung, Gottesfurcht und Gottesdienst mit Hilfe vieler verschiedener Beweise lehrten und sodann mit Gesetzen und Institutionen regierten: wer von euch, erhabenste Väter, wird dann zweifeln, daß man sich vor dem Rechtsstudium zuerst um die wahre Philosophie sehr bemühen muß und besonders um die Dinge, durch welche man die Beredsamkeit erwirbt, die nach eurem Eingeständnis für die Jurisprudenz unumgänglich notwendig ist? (3) Daher werdet ihr bald sehen, daß diejenigen an keinem geringen Irrtum leiden und die Keime vieler Übel einschleppen, die wider jede Philosophie – ich meine nicht jene lächerliche – als oberste Richter und Priester auftreten, ohne zu bedenken, von welcher Art die Gesetzgeber früherer Jahrhunderte waren, die am Tage als Richter und Krieger vollauf beschäftigt waren, alle Nächte aber auf das Studium der Philosophie verwandten. (4) Wenn freilich die Philosophie wie eine Pflanzschule die Kenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge und die jeweils damit verbundene Beschäftigung in reichem Maße lehrt, wer darf dann glauben, er könne jene beiden Gebiete beherrschen, ohne die Philosophie in sich aufgenommen zu haben? (5) Ich muß euch nicht zum Beweis die Griechen Solon, Platon, Alkibiades, Themistokles oder Philipp, den Vater Alexanders des Großen aufführen. []

Quelle: Conradi Celtis Protucii, Panegyris ad duces Bavariae. Mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar herausgeben von Joachim Gruber. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2003, S. S. 23–29. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Harrassowitz Verlags.

Conradus Celtis Protucius, Oratio in Gymnasio in Ingelstadio publice recitata (1492), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-276> [11.12.2024].