Friedrich Cotta über die „Mainzer Republik” (1792)

Kurzbeschreibung

Deutsche Jakobiner wie der Jurist Christoph Friedrich Cotta (1758–1838) hatten damit zu kämpfen, dass die Mainzer Republik, die 1792/93 für wenige Monate existierte, unter französischer Besatzung entstand. Cotta, der 1791 von Stuttgart nach Straßburg übersiedelte und das französische Bürgerrecht erwarb, marschierte 1792 mit dem französischen Heer in Mainz ein. Er betonte die Vorteile einer Republik unter „Frankenherrschaft“, indem er mit der Abschaffung von Leibeigenschaft oder Frondiensten warb. Doch bedeutete die Republik, dass das linke Rheinufer in den französischen Herrschaftsraum integriert war, was ihre Wahrnehmung der Demokratisierung prägte. Das, was zeitgenössisch damit gemeint war, war mit der Herrschaft der Franzosen und dem Empfinden von Unterlegenheit verknüpft.

Quelle

Wie gut es die Leute am Rhein und an der Mosel jetzt haben können

Lieben Leute!

Ihr habt neulich aus einem großen Bogen, welcher überall angeschlagen und verlesen ward, die Staatsverfassung von Frankreich kennengelernt. Ohne Zweifel habt Ihr daraus ersehen, daß dieselbe nur das Beste des Volkes wolle und daß Ihr also Euern Zustand um ein Merkliches verbessert, wenn auch Ihr nach derselben leben wollt; und doch glaube ich nicht, daß Ihr alle die Übel erwogen habt, denen Ihr entgehen werdet, wenn Ihr Euch zu dieser Verfassung bekennet.

Hört mich, lieben Leute! Ich meine es von Herzen gut mit Euch, seufzte lange mit Euch unter demselben Joche und wünsche nun, daß auch Ihr glücklich sein möget, wie ich es selbst bin. Wir wollen einmal die Hindernisse miteinander durchgehen, aus welchen zeither Euer Gewerb, Euere Hantierung, Euer Feldbau nicht zum völligen Wohlstande kommen, warum dieselben Euch und Euere Familien nicht so gut erhalten konnten, wie Ihr es doch von Euerm Fleiße erwarten durftet. Laßt uns nur einige derselben aufsuchen und sehen, ob sie denn auch in der fränkischen Verfassung stattfinden.

Die zeitherigen Hindernisse Eures größern Wohlstandes sind:

1. Die Leibeigenschaft. Da betrachtet man unseres Herrn Gottes freie Menschen wie ein Stück Vieh, welches keinen eigenen Willen hat, und läßt die Leute nicht einmal unentgeltlich sterben, sondern nimmt noch dem Witwer oder der Witwe und den Waisen ein Stück Geld dafür ab, daß Vater oder Mutter gestorben ist; die armen verlassenen Kinder müssen wieder leibeigen sein und sogar, wenn sie in eine nicht leibeigene Gemeinde ziehen wollen, fünfzehn Prozent ihres Vermögens zurücklassen. Bei der neuen Einrichtung von Frankreich fällt das alles weg; da ist kein Mensch leibeigen; da wird jeder frei geboren und darf unentgeltlich sterben; da kann er von einem Orte in den andern ziehen und dort Bürger werden, ohne daß es ihn etwas kostet.

2. Das Mann- oder Kopfgeld. Da ist man nicht zufrieden mit der ordentlichen Schatzung, welche freilich bei keiner Verfassung aufhören kann, weil davon die allgemeinen Ausgaben, zum Beispiel Euere Beamten und so weiter, bezahlt werden müssen, sondern man preßt auch noch jedem Landmanne, er sei Bürger oder Beisaß, arm oder reich, noch monatliche zwölf Kreuzer widerrechtlich ab. Das gilt bei der neuen Einrichtung von Frankreich nicht; wer seine Abgaben bezahlt, dem fodert man sonst weiter nichts ab. Er braucht weiter nichts zu geben, selbst dem Geistlichen nicht, er mag nun in die Welt kommen oder aus derselben gehen, er mag heiraten oder taufen lassen, selbst dem Richter nichts, der ihm unentgeltlich, und zwar in kürzester Zeit, Recht sprechen muß.

3. Die herrschaftlichen Fronden. Haben doch die sogenannten großen Herren so viele Bedienten und eine so erstaunlich große Besoldung und verlangen dennoch, der arme Landmann solle seine Wirtschaft, seinen Pflug etc. stehenlassen und für sie umsonst arbeiten, Fuhren leisten, ihnen und ihren Jägern bei der Jagd helfen etc. Das alles ist bei der neuen Einrichtung von Frankreich abgeschafft; wer etwas will machen lassen, der mag sich dazu für Geld und gute Worte Leute suchen, und wer jagen will, darf niemand zumuten, er solle ihm dabei helfen. Ein anderes sind Arbeiten für das Volk selbst, wie zum Beispiele die Arbeiten zu Kastel bei Mainz jetzt sind; aber das sind auch Arbeiten, wozu jeder Patriot, jeder, dem an Verteidigung seiner Person und seines Eigentums gelegen, verbunden ist, und obendrein wird man noch dafür bezahlt; das heißt also nicht fronen.

4. Die Herrschaftsschäfereien. Wenn so ein Kurfürst, Fürst oder Graf Schafe halten will, so hält er sie auf des armen Landmanns Kosten; der wird dadurch gehindert, sein Feld so zu bauen, wie er es für gut hält, und muß es wegen der Herrschaftsschäferei ohne Not brachliegen lassen; oder, wenn er das nicht will, so ist kein anderes Mittel, als daß er die Schäferei in Bestand nimmt und ein großes Bestandgeld zahlt, aber damit ist seinen Nachbarn noch nicht geholfen, wenn sie nicht auch den Bestand übernehmen. Auch davon weiß die neue Einrichtung von Frankreich nichts, jeder darf sein Feldstück bauen, wann er will und mit was er will, und wer Schafe halten will, kann das auch tun, aber ohne seinem Nachbarn damit zuleid zu leben.

5. Der Wildschaden. Wenn so ein guter fleißiger Bauer sein Stück Land mit aller Sorgfalt angebauet hat, wenn er sich schon auf den schönen Gottessegen freuet, welcher ihm für seinen Schweiß zuteil werden soll, so kommen, daß es Gott erbarme, des gnädigsten Herrn Hirsche und Schweine und verderben oft in einer Nacht, was den Bauern mit Weib und Kindern ein ganzes Jahr lang nähren sollte. Will er das verhüten, so muß er, müd von des Tages Arbeit, nachts das Feld hüten, und das hilft doch noch oft nichts. Aber auch das ist bei der neuen Einrichtung von Frankreich ganz anders; da gehört das Wild jedermann, jedermann darf sich davon fangen und erlegen, was er will und kann. Wer Wild hegen will und einen eigenen Wald dazu hat, muß eine große Wand darumführen, damit das Wild nicht herausbreche; und geschieht das einmal, so darf der nächste beste das Wild erlegen; hat es aber Schaden getan, so muß der Herr des Wildes ihn bei Heller und Pfennig ersetzen.

6. Zoll von eigenem Wachstum. Das ist gar toll, daß von dem, was der Landbauer pflanzt oder der Handwerker macht, er noch Zoll dafür geben solle, daß er es an einem andern Orte verkauft und dafür Geld in das Land bringt. Nach der neuen Einrichtung von Frankreich zahlt man nur für entbehrliche Sachen, welche außer Landes hereinkommen, oder für Sachen, welche durch das Land geführt werden, Zoll, und der ist mäßig, wird noch mäßiger werden und darf eben einmal für allemal an der Grenze bezahlt werden. Ebensowenig hat man nach der neuen Einrichtung von Frankreich ein Chausseegeld, Weggeld, Akzis, Umgeld und dergleichen von den unchristlichen Volksfeinden erfundene Nebenabgaben zu bezahlen.

Eine große Sünde ist

7. der Judenleibzoll. Als ob die Israeliten nicht ebenso Menschen wie andere, sondern ein Handlungsartikel wären. Sie können nach der neuen Einrichtung von Frankreich ebenso wie die Christen frei hin und her passieren.

8. Militärdienst. Da muß jeder gewisse Jahre lang als Soldat dienen oder sich davon sogar im Falle, daß er von Natur nicht dazu taugt, loskaufen, kann während der Dienstzeit den alten Vater oder die brotlose Mutter nicht unterstützen, muß in der Garnison seine Zeit elend zubringen. Oh, das ist in Frankreich ganz anders seit der neuen Einrichtung. Jeder Bürger wird da bewaffnet, aber nur, um als Nationalgarde die Ordnung und Ruhe innerhalb seines Dorfs oder seiner Stadt mit den andern Bürgern erhalten zu helfen, und wer den Dienst gerade nicht selbst versehen kann, schickt seinen Sohn oder Bruder oder einen Nachbar. Dieser Dienst kömmt jedoch nur etwa jeden Monat einmal auf 12 oder 24 Stunden an ihn; in das Feld aber zu ziehen, wird darum keiner gezwungen, sondern man nimmt zu Soldaten nur die an, welche sich ganz freiwillig dazu verstehen, und dann dienen sie zu Verteidigung des Vaterlandes, nicht aber dem Eigennutz eines Kaisers, der Eitelkeit, Herrschsucht oder Rachgierde eines Kurfürsten, dem Hochmut eines Fürsten oder Grafen oder zur Parade für einen Magistrat.

Auch den

9. Herrschaftszehenten hat die neue Einrichtung von Frankreich zum Besten des Landmanns ganz abgeschafft. Zehenten freilich, wovon fromme Stiftungen mancher Art erhalten werden, sind ebenfalls abzuschaffen, wenn die neue Einrichtung von Frankreich auch zwischen dem Rhein und der Mosel vollends eingeführt wird; aber es kann nur nicht auf einmal geschehen, weil sonst manche fromme Stiftung zugrund gehen müßte. Hingegen gibt es auch allerhand Mittel und Wege, wie man den Landmann unterdessen, bis jeder Zehente abgeschafft wird, dieserwegen erleichtern und entschädigen kann, und welche Gemeinde unterdessen sich mit dem bisherigen Empfänger des Zehenten oder Zehentherrn dahin abfinden will, daß der Zehente sogleich aufhören kann, die wird dabei von den Oberbeamten der Republik in Mainz, Worms, Speyer und andern Orten bestens unterstützt werden.

Sehet, lieben Leute zwischen dem Rhein und der Mosel, das sind etliche Hauptübel, welche Euch unterdessen schwer drückten, von welchen Ihr aber alsdann befreiet werdet, wenn Ihr die neue Einrichtung von Frankreich annehmet. Denn diese neue Einrichtung ist ganz zum Vorteile des ehmals so verachteten und nun in Frankreich wieder in seinen gehörigen Wert gesetzten Bauern- und Handwerksstandes oder der sonst sogenannten gemeinen Leute gemacht.

Urteilt jetzt selbst, lieben Leute, welche Einrichtung besser sei, Eure zeitherige oder die von Frankreich. Zwar wird mancher von Euch sagen: Ich sehe noch nicht, worin unser Zustand gebessert sei, seitdem die Franken in unserm Lande sind. So ganz unrecht habt Ihr darin nicht; allein, lieben Leute, Ihr habt ja auch noch nicht gesagt, wenigstens der größte Teil von Euch hat noch nicht gesagt: Wir wollen Franken sein, wir wollen in Zukunft mit der großen Frankenfamilie nur eine ausmachen. Nur dann erst, wenn Ihr Euch so erklärt habt, wenn Ihr die fränkische Verfassung annehmen wollt, nur dann erst könnt Ihr die Vorteile derselben genießen. Oder wollt Ihr etwa ernten, ehe Ihr gesäet habt? Aber Ihr werdet nun über Euren Vorteil selbst nachdenken und bald einsehen, daß Ihr nirgends sicherer und zufriedner als unter dem Schutze Eurer Nachbarn, der Franken, sein könnet, und dann selbst bei den Bevollmächtigten und Stellvertretern des Frankenvolkes einkommen, Euch in ihren Bund aufzunehmen.

Mainz, den 30. November 1792, im ersten Jahre der Frankenrepublik

Quelle: Friedrich Cotta, „Wie gut es die Leute am Rhein und an der Mosel jetzt haben können“ (30. November 1792), in C. Träger, Hrsg. Mainz zwischen Rot und Schwartz. Berlin: Rütten & Loening, 1963, S. 300–05; abgedruckt in Jost Hermand, Hrsg., Von deutscher Republik 1775–1795. Texte radikaler Demokraten. © Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1968, S. 152–57.

Friedrich Cotta über die „Mainzer Republik” (1792), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-311> [01.12.2023].