Erklärung des Europäischen Rates zu den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei (18. März 2016)
Kurzbeschreibung
Um Migration in die EU über die Mittelmeer- und Balkanroute zu unterbinden, schloss die EU am 18. März 2016 ein 9-Punkte-Abkommen mit der Türkei. Im sogenannten „Flüchtlingsdeal“ erklärt sich die Türkei unter anderem bereit, stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen und syrische Flüchtlinge, die nach Griechenland flohen, zurückzunehmen. Im Gegenzug lässt die EU Flüchtlinge direkt aus der Türkei einreisen (1:1-Mechanismus) und zahlt 6 Milliarden Euro für die Versorgung der in der Türkei lebenden Geflüchteten. Im Abkommen wurden zudem weitere Gespräche zu Visaerleichterungen für türkische Reisende in EU-Länder sowie zur Fortführung der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU vereinbart. Aufgrund des „Flüchtlingspakts” fiel die Anzahl von Geflüchteten, die den Weg über die Türkei in die EU wählen, drastisch. Im Jahr 2020 mehrten sich türkische Stimmen, die der EU vorwarfen, sich nicht an das Abkommen zu halten. Während die EU die türkische Kritik zurückwies und die Türkei für die Öffnung der Grenzen Anfang des Jahres kritisierte, einigten sich beide Seiten im Sommer 2020 auf weitere finanzielle Hilfen sowie erneute Schließung der Grenzen.
Quelle
Heute sind die Mitglieder des Europäischen Rates mit ihrem türkischen Amtskollegen zusammengekommen. Es war das dritte Treffen seit November 2015 zur Vertiefung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU und zur Bewältigung der Migrationskrise.
Die Mitglieder des Europäischen Rates haben dem türkischen Volk ihr tiefstes Mitgefühl nach dem Bombenanschlag vom Sonntag in Ankara ausgesprochen. Sie haben diese abscheuliche Tat aufs Schärfste verurteilt und bekräftigt, dass sie den Kampf gegen den Terrorismus in all seinen Formen weiterhin unterstützen werden.
Die Türkei und die Europäische Union haben abermals betont, dass sie entschlossen sind, ihren gemeinsamen Aktionsplan vom 29. November 2015 umzusetzen. Viele Fortschritte wurden bereits erreicht; so hat die Türkei ihren Arbeitsmarkt für Syrer, die unter vorübergehendem Schutz stehen, geöffnet, es wurden neue Visabedingungen für Syrer und Staatsangehörige anderer Staaten eingeführt, die türkische Küstenwache und die türkische Polizei haben ihre Sicherheitsmaßnahmen intensiviert, und der Informationsaustausch wurde verstärkt. Überdies hat die Europäische Union mit der Auszahlung der 3 Milliarden Euro aus der Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei für konkrete Projekte begonnen, und die Arbeiten zur Visaliberalisierung und die Beitrittsgespräche sind vorangekommen, einschließlich der Eröffnung des Kapitels 17 im vergangenen Dezember. Am 7. März 2016 hat sich die Türkei des Weiteren einverstanden erklärt, die rasche Rückführung aller Migranten zu akzeptieren, die keinen internationalen Schutz benötigen und von der Türkei aus nach Griechenland einreisen, und alle in türkischen Gewässern aufgegriffenen irregulären Migranten zurückzunehmen. Die Türkei und die EU haben zudem vereinbart, weiter verstärkt gegen Schleuser vorzugehen, und den NATO-Einsatz in der Ägäis begrüßt.
Gleichwohl sind sich die Türkei und die EU bewusst, dass weitere rasche und entschlossene Anstrengungen erforderlich sind.
Um das Geschäftsmodell der Schleuser zu zerschlagen und den Migranten eine Alternative zu bieten, damit sie nicht ihr Leben aufs Spiel setzen, haben die EU und die Türkei heute beschlossen, die irreguläre Migration aus der Türkei in die EU zu beenden. Um dieses Ziel zu erreichen, haben sie die folgenden zusätzlichen Maßnahmen vereinbart:
1) Alle neuen irregulären Migranten, die ab dem 20. März 2016 von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, werden in die Türkei rückgeführt. Hierbei wird das EU-Recht und das Völkerrecht uneingeschränkt gewahrt, so dass jegliche Art von Kollektivausweisung ausgeschlossen ist. Alle Migranten werden nach den einschlägigen internationalen Standards und in Bezug auf den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung geschützt. Es handelt sich hierbei um eine vorübergehende und außerordentliche Maßnahme, die zur Beendigung des menschlichen Leids und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, werden ordnungsgemäß registriert, und alle Asylanträge werden von den griechischen Behörden gemäß der Asylverfahrensrichtlinie auf Einzelfallbasis bearbeitet, in Zusammenarbeit mit dem UNHCR. Migranten, die kein Asyl beantragen oder deren Antrag gemäß der genannten Richtlinie als unbegründet oder unzulässig abgelehnt wird, werden in die Türkei rückgeführt. Mit Unterstützung durch Organe und Agenturen der EU ergreifen die Türkei und Griechenland die notwendigen Maßnahmen und vereinbaren alle erforderlichen bilateralen Regelungen, einschließlich der Präsenz türkischer Beamter auf griechischen Inseln sowie griechischer Beamter in der Türkei ab dem 20. März 2016, um die Verbindungsarbeit sicherzustellen und dadurch das reibungslose Funktionieren dieser Regelungen zu erleichtern. Die Kosten für die Aktionen zur Rückführung irregulärer Migranten werden von der EU übernommen.
2) Für jeden von den griechischen Inseln in die Türkei rückgeführten Syrer wird ein anderer Syrer aus der Türkei in der EU neu angesiedelt, wobei die VN-Kriterien der Schutzbedürftigkeit berücksichtigt werden. Mit Unterstützung der Kommission, von Agenturen der EU und anderen Mitgliedstaaten sowie des UNHCR wird ein Mechanismus eingeführt werden, durch den die Anwendung dieses Grundsatzes von demselben Tag an, an dem die Rückführungen beginnen, sichergestellt wird. Vorrang erhalten Migranten, die vorher noch nicht irregulär in die EU eingereist sind und dies auch nicht versucht haben. Auf Seiten der EU wird die Neuansiedlung nach diesem Mechanismus zunächst durch die Einlösung der Verpflichtungen stattfinden, die die Mitgliedstaaten in den Schlussfolgerungen der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Juli 2015 eingegangen sind; demnach stehen noch 18 000 Plätze für die Neuansiedlung zur Verfügung. Weiterer Neuansiedlungsbedarf wird mit einer ähnlichen freiwilligen Vereinbarung bis zu einer Grenze von 54 000 zusätzlichen Personen gedeckt werden. Die Mitglieder des Europäischen Rates begrüßen die Absicht der Kommission, eine Änderung des Umsiedlungsbeschlusses vom 22. September 2015 vorzuschlagen, die ermöglichen soll, dass für jede Neuansiedlungsverpflichtung, die im Rahmen dieser Vereinbarung übernommen wird, die Zahl der im Rahmen dieses Beschlusses nicht vergebenen Plätze entsprechend verringert werden kann. Sollten diese Vereinbarungen nicht zur angestrebten Beendigung der irregulären Migration führen und nähert sich die Anzahl der Rückführungen den oben diesbezüglich vorgesehenen Zahlen, so wird dieser Mechanismus überprüft. Sollte die Anzahl der Rückführungen die oben vorgesehenen Zahlen übersteigen, wird dieser Mechanismus eingestellt.
3) Die Türkei wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass neue See- oder Landrouten für die illegale Migration von der Türkei in die EU entstehen, und sie wird zu diesem Zweck mit den Nachbarstaaten sowie mit der EU zusammenarbeiten.
4) Sobald die irregulären Grenzüberquerungen zwischen der Türkei und der EU enden oder zumindest ihre Zahl erheblich und nachhaltig zurückgegangen ist, wird eine Regelung für die freiwillige Aufnahme aus humanitären Gründen aktiviert. Die EU- Mitgliedstaaten werden einen freiwilligen Beitrag zu dieser Regelung leisten.
5) Der Fahrplan für die Visaliberalisierung wird hinsichtlich aller beteiligten Mitgliedstaaten beschleunigt vollzogen, damit die Visumpflicht für türkische Staatsangehörige spätestens Ende Juni 2016 aufgehoben werden kann, sofern alle Benchmarks erfüllt wurden. Im Hinblick darauf wird die Türkei die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die verbleibenden Anforderungen zu erfüllen, damit die Kommission im Anschluss an die erforderliche Bewertung der Einhaltung der Benchmarks bis Ende April einen geeigneten Vorschlag unterbreiten kann, auf dessen Grundlage das Europäische Parlament und der Rat einen endgültigen Beschluss fassen können.
6) Die EU wird in enger Zusammenarbeit mit der Türkei die Auszahlung der im Rahmen der Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei ursprünglich zugewiesenen 3 Milliarden Euro weiter beschleunigen und Mittel für weitere Projekte für Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, bereitstellen; diese Projekte werden mit einem zügigen Beitrag der Türkei vor Ende März bestimmt. Eine erste Liste konkreter Projekte für Flüchtlinge, insbesondere Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Lebensmittelversorgung und sonstige Lebenshaltungskosten, die rasch aus der Fazilität finanziert werden können, werden innerhalb einer Woche gemeinsam bestimmt. Sobald diese Mittel nahezu vollständig ausgeschöpft sind, wird die EU - sofern die vorgenannten Verpflichtungen erfüllt worden sind - zusätzliche Mittel für die Fazilität in Höhe von weiteren 3 Milliarden Euro bis Ende 2018 mobilisieren.
7) Die EU und die Türkei haben die laufenden Arbeiten zum Ausbau der Zollunion begrüßt.
8) Die EU und die Türkei bekräftigten ihre Entschlossenheit zur Neubelebung des Beitrittsprozesses gemäß ihrer gemeinsamen Erklärung vom 29. November 2015. Sie begrüßen die am 14. Dezember 2015 erfolgte Eröffnung von Kapitel 17 und haben beschlossen, als nächsten Schritt Kapitel 33 während des niederländischen Vorsitzes zu eröffnen. Sie begrüßen es, dass die Kommission diesbezüglich im April einen Vorschlag vorlegen wird. Die Vorbereitungsarbeiten für die Eröffnung anderer Kapitel werden unbeschadet der Standpunkte der Mitgliedstaaten im Einklang mit den geltenden Regeln beschleunigt fortgesetzt werden.
9) Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden mit der Türkei bei allen gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung der humanitären Bedingungen in Syrien, hier insbesondere in bestimmten Zonen nahe der türkischen Grenze, zusammenarbeiten, damit die ansässige Bevölkerung und die Flüchtlinge in sichereren Zonen leben können.
Alle diese Elemente sollen gleichzeitig vorangebracht und auf monatlicher Basis gemeinsam kontrolliert werden.
Die EU und die Türkei haben beschlossen, im Einklang mit der gemeinsamen Erklärung vom 29. November 2015 bei Bedarf erneut zusammenzukommen.
Quelle: Europäischer Rat, Pressemitteilung 144/16 18.03.2016; https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18/eu-turkey-statement/