Thomas Platter, ein fahrender Schüler im 16. Jahrhundert
Kurzbeschreibung
Thomas Platter der Ältere (1499-1582) war ein humanistischer Gelehrter und Lehrer alter Sprachen in Basel, der in seiner Jugend für 8 Jahre das raue Leben eines fahrenden Schülers lebte, der sich mit Betteln und Singen sein Brot verdiente. Als Diener eines bacchanten (Schimpfwort für Studenten) lieferte er oft sein ganzes erworbenes Brot an diesen ab. Platter sah sich genötigt, auch in der Nacht für Brot zu singen, um sich ernähren zu können. Er schildert die Begegnung mit einer Witwe in Ulm, die ihm Essen und die Möglichkeit, sich aufzuwärmen bot. Platters Autobiografie stellt eine gute Quelle für Wanderschaft und die vielschichtigen sozialen Beziehungsformen dar, welche sich mit ihr verbanden.
Quelle
Nachdem ich sälten in die schull gieng und angentz, wen man in dschull solt gan, mit dem tuch umbgieng, do han ich grossen hunger ghan, dan alles, was ich überkam, bracht ich den Bacchanten, ich hette nit ein bitzlin geessen, den ich forcht das strichen. Paulus hatt ein andren Bacchanten zu im gnon, hieß Achacius, was von Mentz, denen mießt ich und min gsell Hildeprant präsentierren; aber min gsell fraß schier als, dem giengen sy uff der gassen nach, das sy in essend fundent oder sy hiessen in das mull mit wasser schwenken und in ein schüsslen mit wasser speitzen, das sy sächen, öb er etzwas gfrässen hette. Den wurffen sy in ein bett und ein küssin uff den kopff, das er nit schrien möchte, schlugen in dick bed Bacchanten, das sy nüt mer mochten; dorumb forcht ich mich, bracht alle ding heim, hatten offt so vill brod, das es graw ward; do schnitten sy den ußwendig das graw ab, gabens uns zu essen. Do han ich offt grossen hunger ghan und bin übell erfroren, drumb das ich offt byß umb mitte nacht in der finstre han mießen umbher gan singen umb brot.
Do mag ich nit fürgan, muß anzeigen wie zu Ulm ein fromme witwen was, hat zwo erwaren döchtren, die noch kein man hatten, ouch ein sun, hieß Paulus Reling, ouch noch kein wib. Die witwen hat mier offt im winter mine füß in ein warmen beltzbletz gewigglen, den sy hinder den ofen gelegt hatt, wen ich kem, das sy mier mine füß wermette, und gab mier den ein schüsslen mit muß, ließ mich den heim faren. Ich han woll hunger gehept, das ich den hunden bein uff der gassen han abgeiagt, die genaget; item broßmen in der schull uß den kleken gesucht und geessen. Demnach sind wier wider gan Minchen zogen, han da ouch miessen den macherlon vom tuch, dass doch nit min was, bättlen.
Über ein jar kammen wier noch ein mall gan Ulm, im willen aber ein mall heim zu ziechen, bracht aber das tuch wider mit mier und hiesch den macherlon. Do bin ich woll ingedenk, das ettlich zu mier sagten: botz marter, ist der rok noch nit gemacht? ich gloub du gangest mit bubenwerch umb. Zugen also von dannen, weiß nit, wo das tuch hinkam, oder öb der rok gemacht sige worden oder nit. […]
Quelle: Thomas Platter und Felix Platter, Zwei Autobiographieen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des XVI. Jahrhunderts. Herausgegeben von Dr. D. A. Fechter, Lehrer am Gymnasium zu Basel. Basel: Druck und Verlag von Seul und Mast, 1840, S. 26-28.