Dithmar Blefken, „Islandia” (1607)

Kurzbeschreibung

Für das Bild, dass sich die Menschen in Kontinentaleuropa von Island machten, waren wohl wenige Werke so nachhaltig wirkmächtig wie der 1607 publizierte Reisebericht „Islandia“ des protestantischen Predigers Dithmar Blefken, der die Islandreise und den Aufenthalt des Autors auf der mythenumrankten Insel im Nordatlantik zwischen 1563-1565 zum Gegenstand hat. Blefken berichtet über den isländischen Brauch, bei dem Eltern ihre Töchter deutschen Besuchern Islands als temporäre Gefährtin anbieten, verbunden mit der Hoffnung, die Beziehung möge Nachwuchs hervorbringen. Hier dienen die Geschlechterverhältnisse wie so oft in Reiseberichten als Chiffre, mit der die Andersartigkeit der isländischen Kultur herausgestellt werden soll. Kulturen am Roten Meer werden von Blefken als das – gegenüber den lockeren Isländern – andere Extrem im Umgang mit der Jungfräulichkeit der eigenen Töchter dargestellt, wobei er sich auf einen italienischen Autor, Pietro Bembo, beruft. Blefken hebt die Fremdheit der isländischen Kultur mithilfe der anders gearteten Fremdheit noch zusätzlich hervor, das Eigene wird so – ohne klar benannt zu werden – zum Mittel zwischen zwei offensichtlichen Extremen.

Quelle

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Wenn sie zum Hafen kommen, haben sie auch immer ihre Töchter im heiratsfähigen Alter dabei. Sie erkundigen sich bei unseren Leuten, ob sie zu Hause Ehefrauen haben, und wenn nicht, versprechen sie für Brot, einen Zwieback oder sonst eine Kleinigkeit eine Liebesnacht. Manchmal überlassen einem die Eltern ihre Töchter für einen ganzen Monat oder wie lange man eben bleibt, manchmal sogar umsonst. Wenn die Tochter durch ein solches Verhältnis schwanger wird, schließen sie die Eltern mit noch größerer Liebe als zuvor in die Arme und ziehen den Nachwuchs für mehrere Jahre auf, bis entweder der Vater zurückkehrt oder sie das Kind mit der Tochter dem zukünftigen Schwiegersohn zur Mitgift geben, welcher das Kind in keiner Weise verschmäht, weil es von deutschem Blute ist. Wenn ein Mädchen ein Verhältnis mit einem Deutschen hat, steht sie bei ihnen in hohem Ansehen und viele Männer halten um ihre Hand an. Und früher gab es eine Zeit, da selbst unzüchtige Handlungen, solange sie nur außerhalb der Familie stattfanden, nicht als Schande galten. Und obwohl die Prediger dagegen wettern und die Übeltäter auch streng verfolgt werden, sind sie kaum davon abzuhalten. Wie weit ist doch dieses Volk von einer Moral entfernt, die das höchste Gut in der Jungfräulichkeit erkennt, wie sie etwa Pietro Bembo im sechsten Buch seiner Geschichte Veneziens bezeugt, wo er folgendes notiert: „Als die portugiesischen Seefahrer in das Rote Meer gelangten, kamen sie zu mehreren Stämmen schwarzer und anständiger, sowie im Krieg tapferer Menschen, die ihren Töchtern gleich nach der Geburt das Geschlecht zunähen, und zwar gerade so, dass diese nicht beim Urinieren behindert werden. Sind die Mädchen herangewachsen, geben sie diese so zugenäht und verwachsen in die Ehe, so dass es die erste Aufgabe des Bräutigams ist, die zusammenklebenden Schamlippen des Mädchens mit einem Messer aufzuschneiden. So wichtig ist den Wilden die unbezweifelbare Jungfräulichkeit ihrer Bräute.“ So weit zu Bembo.

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Quelle: Dithmar Blefken, „Islandia, sive populorum et mirabilium; quae in ea insula reperiunter; accuratior descriptio; cui de groenlandia sub finem quaedam adiecta“, in: Robert Wallisch und Georg Holzer, Hrsg., Island – fremdes Land: Das Reisebuch des Dithmar Blefken 1563 – 1565. Lateinischer Text der Erstausgabe von 1607, Übersetzung mit Anmerkungen und Anhang zur historischen Kartographie Islands. Wien: Verlag der ÖAW, 2012, S. 41f.

Dithmar Blefken, „Islandia” (1607), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-93> [23.10.2024].