Martin Luther, Ein Sermon oder Predigt, dass man Kinder zur Schule halten solle (1530)

Kurzbeschreibung

Unwissenheit erleichtert dem Teufel die Arbeit, notiert Martin Luther (1483–1546) in seinem Sermon. Dieser Auszug beschränkt sich auf Luthers Mahnung, dass gebildete Leute nötig seien, um den geistlichen Stand am Leben zu erhalten. Der Sermon unterstreicht jedoch auch, dass Bildung ebenso für Leute unabdingbar ist, die dem weltlichen Stand dienen. Fürsten und Könige allein werden es nicht richten können, daher muss auch den Kindern der gewöhnlichen Leute (womit er nur die Jungen meint) Bildung zukommen. Es zeuge von Gottesverachtung, zuzulassen, dass Kinder geistige Dinge ignorieren.

Quelle

Ein Sermon oder Predigt, daß man Kinder zur Schule halten solle

Liebe Freunde! Weil ich sehe, daß sich der gemeine Mann dagegen stellt, Schulen zu erhalten und seine Kinder ganz und gar von der Lehre abzieht sowie auf die Nahrung und Bauchsorge bedacht ist und nicht bedenken will oder kann, welch ein unchristliches Ding er damit vornehme sowie großen mörderischen Schaden sie in des Teufels Dienst in aller Welt tut, habe ich mir vorgenommen, euch zu vermahnen, ob es vielleicht noch einige Leute gebe, die glaubten, es sei ein Gott im Himmel und für die Ungläubigen die Hölle bereit (denn es stellt sich schier alle Welt, als wäre weder Gott im Himmel noch der Teufel in der Hölle) und sich an diese Vermahnung hielten. Ich will also erzählen, welcher Nutzen und Schaden in diesem Stück sei.

Erstens wollen wir den geistlichen oder ewigen Nutzen und Schaden vorneh­men, danach den zeitlichen oder weltlichen. Ich hoffe ja, daß die Gläubigen und was sich Christen nennen, wohl wissen, daß der geistliche Stand von Gott eingesetzt und gestiftet sei nicht mit Gold noch Silber, sondern mit dem teuren Blut und bitteren Tod seines einzigen Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus. Denn aus seinen Wunden fließen wahrlich . . . die Sakramente. Er hat es wahrlich teuer bezahlt, daß man in der ganzen Welt ein solches Amt hat, zu predigen, zu taufen, zu lösen, zu binden, Sakramente zu reichen, zu trösten, zu warnen, mit Gottes Wort zu mahnen und was mehr zum Seelsorgeamt gehört . . . Ich meine aber nicht den jetzigen geistlichen Stand in Klöstern und Stiften mit sei­nem ehelosen Wesen . . .

Er hat auch nichts Geistliches an sich, außer daß sie nicht ehelich sind, dessen sie nicht bedürfen. Sie haben wohl etwas anderes dafür. Sonst ist es ein ganz äußerliches, zeitliches, vergängliches Gepränge. Denn sie achten auf Wort und Predigtamt nicht. Wo aber das Wort nicht waltet, da muß eine schlechte Geistlichkeit sein. Besonders den Stand meine ich, der das Predigtamt und den Dienst des Wortes und der Sakramente hat, welches den Geist und alle Seligkeit gibt, die man mit keinem Gesang und Gepränge erlangen kann, als da sind das

Pfarr­amt, Lehrer, Prediger, Leser, Priester (die man Kaplan nennt), Küster, Schul­meister und was noch zu solchen Ämtern und Personen mehr gehört. Diesen Stand rühmt und lobt die Schrift wahrlich hoch. Sankt Paulus nennt sie Gottes Haushalter und Knechte, Bischöfe, Doctores, Propheten, dazu auch Gottes Boten, die die Welt in Gott versöhnen (2. Kor. 6). Joël nennt sie Heiland; David heißt sie Könige und Fürsten (Psalm 67). Haggeus nennt sie Engel, und Malachias, 2, spricht: Die Lippen des Priesters behalten das Gesetz, denn er ist ein Engel des Herrn Zebaoth, wie sie Christus selbst bezeichnet nicht allein Matth. 11., da er den Täufer Johannes einen Engel nennt, sondern auch durch’s ganze Buch der Offenbarung Johannis.

Darum haben die Alten solchen Stand sehr gemieden und anzunehmen gezögert um seiner großen Würde und Höhe willen, so daß man sie dazu zwingen und treiben mußte, obwohl hernach und bisher viele gewesen sind, die solchen Stand wegen des Messehaltens mehr als um des Predigens willen gepriesen haben. Dieser Preis und Ruhm ist bis jetzt so hoch gewachsen, daß sie priesterliches Amt und priesterlichen Stand (Messe zu opfern) über Maria und die Engel gesetzt haben, weil die Engel und Maria nicht Messe abhalten können sollten, das doch ein Priester könne.

Und es ist ein herrlich Ding gewesen um einen neuen Priester und eine erste Messe. Selig war die Frau, die einen Priester getragen hatte, da doch das Wort und Predigtamt das allerhöchste und vornehmste ist. . .

In summa: Ein Priester hat geheißen, der Messe halten konnte, ob er gleich nicht ein Wort zu predigen wußte und ein ungelehrter Esel gewesen ist. Das ist der geistliche Stand fast noch des heutigen Tages.

Ist nun das gewiß und wahr, daß Gott den geistlichen Stand selbst eingesetzt und gestiftet hat mit seinem eigenen Blut und Tod, so ist gut zu rechnen, daß er denselbigen auch will hoch geehrt wissen und nicht leiden will, daß er untergehen oder aufhören solle, sondern erhalten bleibe bis an den Jüngsten Tag. Denn es müssen ja das Evangelium und die Christenheit bis an den Jüngsten Tag bleiben, wie Christus in Matthäi am letzten spricht: Siehe, ich bin bei euch bis an der Welt Ende. Durch wen soll er aber erhalten werden? Ochsen und Pferde, Hunde und Säue werden es nicht tun, Holz und Steine auch nicht. Es werden Menschen tun müssen, denn es ist ein solches Amt nicht Ochsen oder Pferden befohlen, sondern uns Menschen. Woher soll man aber Menschen dazu nehmen außer von denen, die Kinder haben? Wenn du dein Kind dazu nicht erziehen willst, jener auch nicht und so fort, dann werden kein Vater und keine Mutter es unserem Gott hier geben. Wo wollen denn das geistliche Amt und der geistliche Stand bleiben? Die Alten, die jetzt drinnen sind, werden nicht ewig leben, sondern sterben täglich dahin, und es sind keine anderen da an ihrer Statt. Was wird Gott zuletzt dazu sagen? Meinst du, er werde daran einen Gefallen haben, daß wir sein göttlich gestiftetes Amt zu seinem Lob und Ehren und zu unserem Heil, so teuer erworben, derart schändlich verachten und mit solchem Undank fallen und untergehen lassen?

Er hat die Kinder und Nahrung nicht darum gegeben, daß du an ihnen nicht allein deine Lust haben oder sie zu der Pracht der Welt erziehen sollst. Es ist dir ernstlich geboten, du sollst sie zum Dienst Gottes, erziehen oder sollst mit dem Kind und allem entwurzelt werden, daß alles verdammt sei, was du an sie wendest, wie das erste Gebot sagt: Ich suche heim der Väter Missetat an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied bei denen, die mich hassen.

Wo willst du sie aber zu Gottes Dienst erziehen, wenn das Predigtamt und der geistliche Stand darniederliegt und gefallen ist? Und deine Schuld ist es, der du wohl hättest dazu tun können und erhalten helfen, wenn du dein Kind hättest lernen lassen. Denn wo du es tun kannst, und dein Kind dazu tüchtig ist oder Lust hat, und du tust es nicht, sondern hinderst es, hörst du wohl? So bist du schuldig an dem Schaden, daß der geistliche Stand verfällt und weder Gott noch Gottes Wort in der Welt bleiben. Denn so viel an dir liegt, läßt du ihn fallen. Weil du ein Kind dazu nicht geben willst, so tätest du eben auch mit allen, wenn du die Welt voller Kinder hättest, so daß deinetwegen Gottes Dienst einfach zu Grunde geht.

Es hilft dir nicht, daß du sagen wolltest, mein Nachbar hält seinen Sohn zur Schule. Ich darf’s nicht etc. Denn dein Nachbar kann auch so sagen, und so fortan alle Nachbarn. Wo kriegt Gott unterdessen Leute zu seinem geistlichen Amt? Du hast die Person und kannst sie geben, aber du willst’s nicht tun, dein Nachbar auch nicht. Also geht es denn bergab, was an euch gelegen ist. Weil du also Gott und seine Stiftung sowie sein eingesetztes Amt, so hoch und teuer erworben, verwüsten und mit solcher greulicher Undankbarkeit untergehen läßt, so sollst du auch wiederum verflucht sein und beides – an deinen Kindern und an dir selbst – eitel Schande und Jammer erleben oder doch sonst also geplagt werden, daß du nicht nur auf Erden, sondern auch dort ewig in der Hölle mit ihnen verdammt werdest.

Das soll dir auch nicht fehlen, auf daß du lernst, die Kinder seien nicht ganz und gar dein, daß du Gott nichts davon leisten müßtest. Er will auch ein Recht an ihnen haben. Sie sind auch mehr sein als dein.

Daß du nicht denkst, ich spreche zu hart, so will ich dir beides, Nutzen und Schaden, zum Teil vorführen (denn wer kann sie alle erzählen), die du verursachst, damit du selbst sagen müßtest, du seist mit vollem Recht dem Teufel eigen billig auf ewig zur Hölle verdammt, sofern du dich hierin sträflich findest und nicht besserst. Wiederum mögest du dich freuen und fröhlich sein, so du dich in dieser Sache bereit findest, daß du von Gott dazu erwählt bist, mit deinem Gut und deiner Arbeit einen Sohn zu erziehen, der ein frommer christlicher Pfarrer, Prediger oder Schulmeister wird. Da hast du mit Gott selbst einen besonderen Diener, ja wie droben gesagt ist, einen Engel Gottes, einen rechten Bischof für Gott, einen Heiland vieler Leute, einen König und Fürsten in Christi Reich und im Volk Gottes einen Lehrer, ein Licht der Welt, erzogen. Wer will oder kann alle Ehre und Tugend eines rechten, treuen Pfarrers erzählen, die er vor Gott besitzt. Es ist kein teuerer Schatz noch ein edleres Ding auf Erden und in diesem Leben als ein treuer Pfarrherr oder Prediger.

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Quelle des modernen deutschen Textes: Franz Hofmann, Hrsg., Pädagogik und Reformation: Von Luther bis Paracelsus: Zeitgenössische Schriften und Dokumente. 1. Aufl. Pädagogische Bibliothek. Berlin: Volk und Wissen, 1983, S. 89–91.

Martin Luther, Ein Sermon oder Predigt, dass man Kinder zur Schule halten solle (1530), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-131> [23.10.2024].