Johann David Köhler, Anweisung für reisende Gelehrte, Bibliothecken, Münz-Cabinette, Antiquitäten-Zimmer, Bilder-Säle, Naturalien- und Kunst-Kammern u.d.m. mit Nutzen zu Besehen (1762)
Kurzbeschreibung
Johann David Köhler (1684–1755) beschreibt die Bedeutung des Reisens für Gelehrte. Der Auszug enthält ein Vorwort darüber, wie wichtig es sei, sich herauszuwagen, um andere Sammlungen kennenzulernen, Beschreibungen berühmter Bücher und Bibliotheken sowie eine Anmerkung zu verbotenen Büchern.
Quelle
Prolegomena.
Es sind hauptsaͤchlich zwey Sachen, die unsere Gelehrsamkeit vollkommen machen: die Erkaͤnntnis, und die Erfahrung. Die Erkaͤnntnis erlangen wir durch den Unterricht der Lehrer. Die Erfahrung erhalten wir durch unser eigenes Nachforschen, und hauptsaͤchlich auf Reisen. Wir treffen freylich auch grosse Gelehrte an, die nicht gereiset sind. Allein dem ungeachtet behaͤlt die Meynung doch billig die Oberhand, daß das Reisen einem Gelehrten sehr nothwendig sey. Die beyde kultivirteste Voͤlker, die Roͤmer und Griechen, haben zur Erweiterung der Wissenschaften fuͤr hoͤchstnoͤthig gehalten, andere Oerter zu besuchen, und ihre Gewohnheiten und Kuͤnste zu erforschen. Die Roͤmer besuchten hauptsaͤchlich Athen, die Insel Rhodus, und Marseille oder Marsiliam. Epictetus, ein Feind aller Eitelkeit, der nur bloß virtutis studium anpreiset, sagt: es waͤre einem Menschen sehr unanstaͤndig, immer wie ein Baum auf seinem Erdreiche stehen zu bleiben. Man lese Joannis Francisci Buddei Dissertat. de peregrinationibus Pythagoræ. Kriegii Dissertatio de peregrinationibus Romanorum academicis. Walchii Dissertat. de peregrinationibus Ciceronis. Berneggeri Dissertat. de peregrinationibus Studiosorum. Weil Gelehrte hauptsaͤchlich darum auf Reisen gehen, um ihre Gelehrsamkeit zu erweitern: so will ich ihnen zeigen, wie sie sich auf Reisen, als Gelehrte, das, was hin und wieder zu sehen ist, zu Nutze machen koͤnnen. Ich will ihnen zeigen, wie sie Bibliothecken, Muͤnz-Cabinetter, Antiquitaͤten-Zimmer, Bilder-Saͤle, Naturalien-Kammern und Kunst-Kammern, mit Nutzen besehen, und geschickt beurtheilen koͤnnen. Ich gehe also von allen andern, die bisher von Reisen geschrieben haben, ab. Neulich hat ein Benedictiner-Moͤnch, Oliverius Legipontius zu Berlin ein Itinerarium feu Prudentiam apodemicam geschrieben. Mein Collegium soll nicht allein auf den Nutzen auf Schulen, sondern auch auf den Nutzen im ganzen Leben gehen.
CAP. I.
Von Bibliothecken.
Buͤcher zu kennen ist allen Gelehrten unentberlich. Daher denn auf Reisen die Bibliothecken zuerst zu besuchen sind, wozu grosse Klugheit erfordert wird. Vier Stuͤcke werden dabey zum voraus gesezt: Notitia generalis & specialis de Bibliothecis; Temporis & Legum cognitio, secundum quas Bibliothecæ sunt frequentandæ; Ordo Bibliothecæ; Particularia Bibliothecæ. Wir wollen jetzt zuerst uͤberhaupt von Bibliothecken handeln, und hernach den Inhalt, oder die Contenta derselben durchgehen. Ueberhaupt ist also zu merken: 1.) Die Bibliothecken werden in publicas und privatas abgetheilet. Man muß sich also an einem jeden Orte darnach erkundigen. Oeffentliche Bibliothecken nenne ich diejenigen, die grosse Herren, Staͤdte, Universitaͤten, Gymnasia, oder gelehrte Gesellschaften, errichtet haben. Es ist kein Land, wo nicht einige Fuͤrsten und Staͤnde ihren Unterthanen zu Liebe Bibliothecken errichtet haͤtten. Auf Universitaͤten und Gymnasiis muͤssen sie nothwendig seyn. Ich nenne sie oͤffentliche Bibliothecken, weil einem jeden der Zutritt dazu verstattet wird. Sie sind denen privat Bibliothecken darin vorzuziehen, daß sie auf alle Wissenschaften gehen; weitlaͤuftiger, kostbarer, und bestaͤndig sind, und immerfort Zuwachs bekommen. Privat Bibliothecken nenne ich diejenige, die Personen, welche in grossen Wuͤrden stehen, und ansehnliche Gelehrte, gesammlet haben. Sie sind den oͤffentlichen Bibliothecken nicht gleich zu schaͤtzen, weil sie nicht allgemein sind, sondern ein jeder sich dieselbe zu seinem eigenen Gebrauch gesammlet hat, und nur aus Guͤte andern darbietet; weil sie gemeiniglich nicht vollstaͤndig sind, da ein jeder nach seiner Absicht sich Buͤcher anschaft, weil sie nicht zu allen Zeiten offen sind, auch nicht einmahl zu Paris, da doch so viele Fremde sind, und endlich, weil sie nicht bestaͤndig sind: so ist z. E. die Bibliotheck des grossen Parlaments-Praͤsidenten, Jacobi Thuani, ob er gleich deswegen ein Fideicommissum gemacht, doch nicht auf den dritten Mann gekommen. 2.) Eine generale Notiz von Bibliothecken kan man aus verschiedenen Buͤchern erlangen. Hieher gehoͤret Galloie des plus Belles bibliotheques de l’Europe. Des Franzoͤsischen Jesuiten Ludovici Jacobi Buch unter eben dem Titel. Lobmeier de Bibliothecis, Utrecht 1586. 8vo. Eine weitlaͤufige Nachricht von dergleichen Schriften treffen wir in Struvii Introductione in Rem litterariam an. Man verfaͤhret aber noch besser, wenn man sich die special-Nachrichten bekannt macht. So hat Conring eine Epistolam de Bibliotheca Guelpherbytana geschrieben, und nach ihm Burcardus in zween Quartbaͤnden. Marteri de præcipuis Bibliothecis Parisiensibus. Crantz de Bibliothecis Sueciæ. Bichardus de Bibliotheca Vindobonensi. Marteri Dissertatio de celebrioribus Bibliothecis. 3.) Die Regeln, wonach man sich in Besuchung der Bibliothecken zu richten hat, sind folgende. Wenn ich weiß, wo Bibliothecken sind, so muß ich mich zu rechter Zeit dahin verfuͤgen. Alsdenn muß ich mich um die Leges bekuͤmmern, z. E. ob ich ein Buch selbst heraus nehmen darf, und etwas daraus abschreiben, und womit dieses geschehen darf. Darauf muß ich mir die Catalogos von den Bibliothecken ausbitten, die entweder locales, nach der Ordnung der Bibliotheck, oder materiales, nach der Materie der Buͤcher, oder alphabetici, nach der Ordnung des Alphabets, eingerichtet sind. Alsdenn muß ich hauptsaͤchlich auf die Anordnung der Buͤcher sehen. Gabriel Naudæus ein Medicus, ist zu unsern Zeiten ein grosser Bibliothecarius gewesen. Adrianus Baillet ist ein Bibliothecarius des Cardinals Launoie gewesen. Diese beyde grosse Leute haben sich aber auch nicht vergleichen koͤnnen, wie man eine Bibliotheck anordnen solle. Ich habe zu Altdorf eine Syllogen aliquot Consiliorum de adornanda Bibliotheca drucken lassen. Darin ist ein Anschlag von Garnier, einem Custode der Bibliotheck des Jesuiter-Collegii zu Paris. Ferner des beruͤhmten Daͤnen, Friderici Rosgard, Meynung, wie eine Bibliotheck anzuordnen sey, welcher grosse Geschicklichkeit hat, und viel gereiset ist. Endlich des beruͤhmten Praͤlaten Justi Fontanini Anschlag. Insgemein pflegt man so am besten zu verfahren, daß man die Bibliothecken nach den vier Hauptwissenschaften auch in vier Theile eintheilet. Bey den Theologen macht man die Abtheilung in orthodoxos und heterodoxos, welche letztere allezeit verschlossen sind. Der Jesuiter-Orden theilet die Bibliotheck in Bibliothecam Societatis und Peregrinorum, d. i. in Buͤcher von Jesuiten, und von andern Gelehrten, ein. Sehr schoͤn ist es, wenn Inscriptiones uͤber den Faͤchern der Buͤcher stehen. In vielen Bibliothecken, als zu Leipzig auf der Raths-Bibliotheck, stehen die Buͤcher in einem Schrank mit Drat uͤberzogen. In Frankreich ist an jedes Bret ein seidener oder lederner Vorhang, und an einigen Orten ein Futeral von Pap uͤber die Buͤcher gemacht, um die gleiche Groͤsse derselben zu erhalten, da denn z. E. die verschiedene Editionen und Formate von einem Buche doch in gleich grossen Pappen stehen. Das ist es, was wir zuerst uͤberhaupt von Bibliothecken haben merken muͤssen.
[…]
Libri prohibiti sind in den Bibliothecken gemeiniglich auf die Seite gestellet. Wir haben dreyerley Arten davon. Einige sind deswegen verbotten, weil sie die Religion angreifen, andere, weil sie den Statum civilem turbiren koͤnnen; und noch andere, weil sie die bonos Mores corrumpiren koͤnnen. Die Papisten stellen seit dem Concilio Tridentino zu Rom eine Censur der Buͤcher an. Vide Franzii Dissertatio de Indicibus papistarum Librorum prohibitorum. Baillet dans les jugemens des favans Tom. I. Zu Ingolstadt hat man eine Defension fuͤr die Indices Librorum prohibitorum. Darin sind drey Classen: Libri prohibiti sind die, die niemand ohne Erlaubnis lesen darf; Libri expurgandi, darin einige Stellen ausgestrichen werden muͤssen; und Libri plane abolendi, die gar verbrannt werden muͤssen. Sie stehen auch in catholischen Bibliothecken entweder in besondern Zimmern, oder in verschlossenen mit einem Gitter verwahrten Borten. In dem Augustino, der in 20. Folianten heraus gekommen, stehet auf dem Titel: Omnia fideliter sunt expuncta, quæ possent Fidelium mentes corrumpere. In Teutschland wird es aber so scharf nicht gehalten, und darf das Corpus Recessuum Imperii nun auch von den Catholicken nicht mehr unter die Libros prohibitos referiret werden, obgleich der Augspurgische Religions-Friede und andere ihnen nicht gefaͤllige Constitutiones darin sind, weswegen sie vormahls die Freyheit hatten, es dahin zu referiren. Man behaͤlt in Bibliothecken die Libros prohibitos, so wie in den Apothecken die staͤrksten Gifte, zu einem guten Gebrauch auf. Man hat nach den heiteren Zeiten der Reformation wahrgenommen, daß auch die aͤrgste und verderblichste Buͤcher gewisser massen Nutzen schaffen koͤnnen.
[…]
Quelle: Johann David Köhler, Anweisung für reisende Gelehrte, Bibliothecken, Münz-Cabinette, Antiquitäten-Zimmer, Bilder-Säle, Naturalien- und Kunst-Kammern u.d.m. mit Nutzen zu Besehen. Frankfurt und Leipzig: In der Knoch- und Eßlingerischen Buchhandlung, 1762, S. 3–9, 45–47.