Akademische Gesetze für Studenten an der Universität Göttingen (1763)

Kurzbeschreibung

Die Universität Göttingen wurde 1734 von Georg II., Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien (1683–1760), gegründet. Sein Enkel und Nachfolger, Georg III. (1738–1820), erließ 1763 die folgenden akademischen Gesetze für Göttinger Studierende. Die Mitglieder der Studentenschaft sollten an Sonn- und Feiertagen den Gottesdienst besuchen, anstatt in Kaffeehäuser oder Kneipen zu gehen (§ I und II), und man erwartete von ihnen im Allgemeinen gutes Benehmen und Gehorsam (§ III). Außerdem wurden sie aufgefordert, den Pennalismus zu vermeiden, eine Praxis, bei der neue Studenten gezwungen wurden, ältere zu bedienen (§ IV). Studenten aus verschiedenen Städten oder Regionen war es verboten, sich in so genannten Landsmannschaften oder Studentenverbindungen zusammenzuschließen, die oft darauf abzielten, „nationale“ Identitäten zu schmieden. Das Glücksspiel war verboten, die Strafe war die Inhaftierung im Universitätsgefängnis oder Karzer (§ VIII). Den Studierenden war es auch verboten, sich zu duellieren oder anderweitig Selbstjustiz zu üben (§ IX).

Quelle

Wir Georg der Dritte von Gottes Gnaden Knig von Großbritannien, Frankreich und Irrland, Beschtzer des Glaubens, Herzog zu Braunschweig und Lneburg, des Heil. Rmischen Reichs Erzschatzmeister und Churfrst ec. ec.

Fgen hiermit zu wissen: Demnach Wir nthig befunden, zum Besten unserer Universitt zu Gttingen und derer, die daselbst studieren, nachstehende neue academische Gesetze entwerfen zu lassen; So befehlen Wir hiermit gndigst und wollen, daß sothane Gesetze nebst dazu gehrigen Beylagen in Druck gegeben, und sowohl denen bereits zu Gttingen anwesenden Studiosis, als knftig jedem neuankommenden bey der Matricul ausgetheilet, berall aber auf das genaueste befolget werden sollen. Signatum Hannover den 18. Aug. 1763.

(L.S.) Ad mandatum Regis et Electoris.

Mnchhausen.

Balck.

I.
Die Studiosi sollen einen gottesfrchtigen Wandel fhren, und dem ffentlichen Gottesdienste fleissig und ohne dessen Strung beywohnen.

Wie die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang ist, also haben alle diejenige, welche auf der Georg-Augustus-Universitt, um guten Knsten und Wissenschaften obzuliegen, sich befinden, vornehmlich Ursache einen Gottesfrchtigen und Christlichen Wandel zu fhren, an Sonn-Fest- und Bet-Tagen dem ffentlichen Gottesdienste auf den sowohl in der Universitts- als in der Stadt-Kirche ihnen eingerumten Priechen oder Emporkirchen fleissig beyzuwohnen, bey demselben zur gewhnlichen Zeit sich einzustellen, ihn mit gebhrender Andacht abzuwarten, nicht aber die Gemeinde zur Unzeit zu verlassen; dergleichen den Prediger sowohl als die andere Zuhrer an ihrer Aufmerksamkeit strendes, und mit einer offenbaren Geringschtzung der heiligen Handlungen verknpftes Unternehmen, einen dringenden und in die Augen fallenden Nothfall ausgenommen, ohne Ahndung nicht bleiben kann.

II.
Auch der in das Land publicirten Sabbaths-Feyer-Ordnung sich gemß verhalten, und vor, unter, und zwischen dem Gottesdienste die Schenken, Caffé-Huser und Billards nicht besuchen.

Da auch bereits Anno 1713. eine besondere Sabbaths-Feyer-Ordnung publiciret worden, als haben alle Studiosi diesem in corpore Constitutionum Calenbergicarum Cap. I. num. V. pag. 416. befindlichen allgemeinen Landes-Gesetze sich berall gems zu bezeigen; Insonderheit aber vor, unter, und zwischen dem Gottesdienste des Besuchens der Schenken, Caffé-Huser und Billards, bey Vermeidung der in obgemeldter Verordnung, vor die, welche bey den anzustellenden fleissigen Visitationibus daselbst sich sollten betreten lassen, allbereits gesetzten und nach Befinden der Umstnde auch zu erhhenden Geld- oder Gefngnißstrafe sich zu enthalten.

III.
Die Studiosi sollen ihren Vorzug nicht in einer unbndigen Freyheit, sondern in ihrer wohlanstndigen und unbescholtenen Auffhrung suchen.

Nachdem ausser Zweifel beruhet, daß diejenige, welche sich dem Studiren widmen, wegen der vorzglichen Dienste, welche das gemeine Wesen sich von ihnen nchsthin verspricht, vor anderer Jugend einen Vorzug verdienen; werden jedoch dieselbe sich von selbst bescheiden, daß solcher ihnen wohl zu gnnender Vorzug keineswegs durch eine sogenannte, aber gar bel betitelte, academische Freyheit, das ist, durch geflissentliche Geringschtzung der Gesetze, und der solche zu handhaben verordneten Obrigkeit, oder durch eine ungegrndete Verachtung, oder gar Beleidigung anderer eben so nthiger und unentbehrlicher Mitglieder des gemeinen Wesens; sondern einig und alleine durch einen untadelhaften Wandel, durch eine wohlgesittete Auffhrung, und durch ein freundliches, wohlanstndiges, hfliches, auch nach Unterschied der Personen ehrerbiethiges Betragen, so wohl unter sich selbst als gegen andere, mit denen sie leben und umgehen mssen, behauptet werden knne.

IV.
Sollen unter sich, als lteren Mitgliedern der Universitt, und den Neuankommenden oder vor kurzem unter die Zahl der Studiosorum aufgenommenen keinen auf einen Pennalismum hinaus laufenden Unterschied machen.

So viel nun vorerst dem Umgang der Studiosorum unter sich betrift, ist offenbar, da sie insgesamt, der jngste sowohl als der lteste, unter einerley Obrigkeit und deren Schutze stehen, und in so weit einander gleich sind, daß keinem, aus der recht nichtswrdigen Ursache, weil er etwa Jahr und Tag vorher in die Zahl der Studiosorum aufgenommen worden, in dem mindesten frey stehe, an denen, welche jetzo erst, oder vor kurzem ihr academisches Leben angetreten haben, mit schimpflichen oder auch verdchtigen Worten und Werken, oder sonst durch einige andere Zunthigung, sie mag beschaffen seyn, wie sie wolle, sich zu vergehen; und daß die, welche diese Warnung aus den Augen setzen drften, eine unausbleibliche und, nachdem die Umstnde seyn mchten, recht nachdrckliche Bestrafung um so mehr zu gewarten haben, als ein solches unziemliches Beginnen vor nichts anders, als vor einen schlimmen Rest, oder hchstschdliche Wiederherstellung des berall verabscheuten Pennalismi angesehen werden kann.

V.
Landsleute haben einander alle Freundschaft, Rath und Beystand zu leisten, jedoch dabey vor allem Anscheine des verbotenen Nationalismi sich zu hten.

Wenn diejenige, welche aus einer Stadt oder aus einem Lande her sind, von freyen Stcken Freundschaft mit einander halten, bey Fortsetzung der Studien einer dem andern mit Rath und That an die Hand gehet, auch, wenn ein Landsmann mit Krankheit befallen wird, vor dessen Pflege und Wartung diejenige vor anderen zu sorgen sich angelegen seyn lassen, welche mit dem Kranken einerley Vaterland haben, ist solches etwas erlaubtes und lbliches: Wenn aber unruhige oder mssige Kpfe eine besondere Gesellschaft und sogenante Landsmannschaft errichten, die brige in eine solche Verbindung einzutreten bereden, oder wohl gar nthigen, sodann allerhand Zusammenknfte halten, zeit- und geldfressende Gelache, oder sogenannte Crnzchen anstellen, auch wohl durch Cocarden, oder andere usserliche Zeichen von dem brigen Haufen sich zu unterscheiden suchen, und welches das schlimmste, wenn, so bald einer aus solcher Gesellschaft sich beleidiget zu seyn erachtet, die brige, kraft ihrer Verbindung, auf dessen Seite treten, und denn, so der andere bey seinen Landsleuten auch Hlfe und Beystand suchet, eine Art des innerlichen Krieges entstehet; ist solches ein großes, dem Respect der Obrigkeit, den Gesetzen, und der allgemeinen Sicherheit entgegenstehendes Uebel, welches man den Nationalismum nennet, das schon an sich strafbar ist, und, wenn bey den Untersuchungen dasselbe sich entdecket, es die sonst verdiente Strafe des begangenen Unfuges nothwendiger Weise erhhen muß.

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VIII.
Uebermssiges und allzuhohes Spiel ist, nebst Annullirung der Schuld, mit willkhrlicher Strafe; alle Hazard-Spiele aber, ohne Ausnahme, sind, das erstemahl mit einem Carcer von 14. Tagen, das anderemahl mit dergleichen von 4. Wochen, das drittemahl mit dem Consilio abeundi, anzusehen.

Alle erlaubte, und dem nie zu unterbrechenden Fleisse, als dem Hauptzwecke des Hierseyns, nicht entgegenlaufende Ergtzlichkeiten, sind natrlicher Weise auch den Studiosis, so einzeln als zuweilen mehreren in einer Gesellschaft, vergnnet; jedoch das letztere so, daß es nicht anders als mit Vorwissen und Einwilligung des zeitigen Prorectoris, und unter derer, welche die Ansuchung thun, Angelbnisse, vor alle an ihrer Seite zu schulden kommende Unordnung einzustehen, geschehen kann.

Da nun zuweilen auch in dem Spielen eine Ergtzung gesucht wird, dabey aber theils eine unanstndige Begierde, mit anderer Schaden sich zu bereichern, theils die nur allzu ungewisse Hofnung, dem erlittenen Verluste wieder beyzukommen, zu dem fteren verursachet, daß die Schranken berschritten werden: als ist bereits den 12. Jenner 1750 eine Knigliche Verordnung an die Universitt ergangen und durch den Druck gemein gemacht worden, um auch diesem viele in ihren Ruin strzendem, und daher auch durch das ganze Land verbotenem Uebel nach Mglichkeit entgegen zu gehen. Kraft deren, wenn jemand von Studiosis sich unterstehen wrde, in Wrfeln, Charten, oder sonsten, Hazard-Spiele, es sey um baares Geld, Wein, Caffé, um ein freyes Tractament, oder wie es sonst Namen haben mchte, zu unternehmen, soll derselbe das Erstemahl mit einer 14tgigen von aller Gesellschaft ausgeschlossenen, das Zweytemahl mit 4wchiger ebenmssiger Carcerstrafe, das Drittemahl aber mit dem Consilio abeundi unabbittlich beleget werden. Annebst wird das Spielen um ein betrchtliches Geld, wenn es gleich kein Hazard-Spiel ist, gleichergestalt ernstlich verboten, die contrahirte Schuld gnzlich annulliret, und dem academischen Magistrat aufgegeben, die Uebertreter mittelst willkhrlicher Strafe davon abzuhalten. Endlich wird dem ermeldeten Magistratui anbefohlen, Leute, die zwar den Namen von Studiosis führen, aber weder Collegia, als etwa zum Scheine, besuchen, noch Exercitia und Sprachen excoliren, sondern ihre Hauptsache das Spiel seyn lassen, und davon Profeßion machen, zu entdecken, und sodann dieselbe, als Uhrheber alles Uebels und unntze Glieder der Academie, mittels eines zu ertheilenden Consilii abeundi ohne Anstand fortzuschaffen. Wie nun die Obrigkeit sich nicht entbrechen kann, dieser zu wiederholeten mahlen eingeschrften Knigl. Verordnung auf das genaueste nachzuleben, also ist der Studiosorum, die es mit sich selbst wohlmeynen, Obliegenheit, eines solchen Zeitvertreibes, in soweit derselbe strafbar und ihnen hchstschdlich ist, gnzlich mssig zu gehen.

IX.
Alle Injurien, und die darauf genommene Selbst-Rache, alle Thtlichkeiten, Recontres und Duella sind in dem der Universitt ertheilten Duell-Edicto bey schwerer Strafe untersaget.

Es kann niemand, als denen, welche Gelehrte seyn und werden wollen, besser bekannt seyn, daß von allen Landesherren hauptschlich um deswillen Obrigkeiten und Gerichte bestellet und angeordnet worden, damit unter deren Schutze jeder Unterthan ein stilles und geruhiges Leben fhren knne, und, wenn dennoch einiger Streit oder Unwille sich erhebet, der Beleidigte wisse, wo und wie er seine wahre rechtliche Gnugthuung zu suchen habe; und wenn jemand diesen Weg nicht erwehlet, und sich selbst Recht zu schaffen vornimmt, derselbe dem von der hchsten Obrigkeit gesetzten Richter in das ihm anvertraute Amt greife, und mit dem Beleidiger solchergestalt fast in gleiche Schuld und Strafe gerathe. Dessen ohngeachtet lehret leider die traurige Erfahrung, daß sonderlich auch auf Universitten die studierende Jugend aus einer unberlegten Hitze zum fteren in Streitigkeiten und Beschimpfungen ausbricht: sodann aber der beleidigte Theil bey der Academischen Obrigkeit die rechtliche Hlfe nicht suchet, sondern dem sehr falschen Begriffe von dem sogenannten point d'honneur nachgehet, sich und andere in Leib- und Lebens-Gefahr setzet, und zuweilen die hohe Schule sogar mit Blutschulden beschweret, vor denen jedoch der gndige Gott diese Georg-Augustus-Universitt bis hieher bewahret hat: als hat der Allerdurchlauchtigste Stifter derselben gleich bey deren Anfange ein besonderes Duell-Edict den 18. Jul. 1735. vor dieselbe ausgehen lassen, alle Verbal- und Real-Injurien den Studiosis darinne rechtlich untersaget, alle Selbst-Rache und die daraus entspringende Rencontres und Duelle auf das schrfeste verboten, und nicht alleine wider die Duellanten, sondern auch wider die Secundanten, Cartel-Trger, oder mndliche Herausforderer, die Diener und Domestiquen, welche dabey wissentlich Handreichung oder andere Dienste leisten, die Zuschauer, und die, welche einen Duellanten verbergen oder verhelen, schwere Strafe verordnet. Da nun einem jeden Studioso bey der Immatriculation von diesem Kniglichen Gesetze, sammt dem den 15. May 1743. von der Universitt auf hohen Befehl publicirten Patente, ein Exemplar zugestellet wird, ist dabey eines jeden Pflicht und Schuldigkeit, solche fleissig und mit Aufmerksamkeit zu lesen, alle darinne umstndlich erzehlete Flle und die darauf gesetzte Strafen sich bekannt zu machen, und vor dem, was darinne verboten und angedrohet worden, sich mglichsten Fleisses zu hten.

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Quelle: Academische Gesetze für die Stvdiosos auf der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen. Gedruckt bey Pockwitz und Barmeier, Universitäts-Buchdr. im Jahr 1763, S. 3–7, 9–11. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10681702-9

Ernst Böhme und Rudolf Vierhaus, Hrsg., Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt. Bd. 2. Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluß an Preußender Wiederaufstieg als Universitätsstadt (16481866). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2002.

Stefan Brüdermann, Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1990.

Ulrich Rasche, Hrsg., Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte: Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Wiesbaden: Harrassowitz, 2011.

Akademische Gesetze für Studenten an der Universität Göttingen (1763), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-172> [04.12.2023].