Max von Laue, u.a., „Theoretischer Teil“ aus „Interferenz-Erscheinungen bei Röntgenstrahlen“ (1912)
Kurzbeschreibung
Der Beitrag zur Röntgeninterferenz wurde von dem Physiker Max von Laue (1879-1960) und seinen Kollegen verfasst. Er diskutiert eingangs die Eigenschaften der Röntgenstrahlen, die eine „Zerstreuung“ wie Licht zeigen würden. Allerdings war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch unklar, ob es sich bei den X-Strahlen um Teilchen oder um Wellen handelte. Mit der Apparatur zur Messung der Röntgeninterferenz (siehe Abbildung) war es nun jedoch möglich, die theoretischen Überlegungen empirisch zu überprüfen. Abschließend diskutieren die Physiker um Max von Laue im Textauszug, warum es sich bei den Röntgenstrahlen um elektromagnetische Wellen handeln müsse.
Quelle
Interferenz-Erscheinungen bei Röntgenstrahlen.
Von W. Friedrich, P. Knipping und M. Laue.
Vorgelegt von A. Sommerfeld in der Sitzung am 8. Juni 1912.
Theoretischer Teil
von M. Laue
Einleitung. Barklas[1]) Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, daß die Röntgenstrahlen in der Materie eine Zerstreuung erfahren, ganz entsprechend der Zerstreuung des Lichtes in trüben Medien, daß sie aber noch daneben im allgemeinen die Atome des Körpers zur Aussendung einer spektral homogenen Eigenstrahlung (Fluoreszenzstrahlung) anregen, welche ausschließlich für den Körper charakteristisch ist.
Andererseits ist schon seit 1850 durch Bravais in die Kristallographie die Theorie eingeführt, daß die Atome in den Kristallen nach Raumgittern angeordnet sind. Wenn die Röntgenstrahlen wirklich in elektromagnetischen Wellen bestehen, so war zu vermuten, daß die Raumgitterstruktur bei einer Anregung der Atome zu freien oder erzwungenen Schwingungen zu Interferenzerscheinungen Anlaß gibt; und zwar zu Interferenzerscheinungen derselben Natur wie die in der Optik bekannten Gitterspektren. Die Konstanten dieser Gitter lassen sich aus dem Molekulargewicht der kristallisierten Verbindung, ihrer Dichte und der Zahl der Moleküle pro Grammolekül, sowie den kristallographischen Daten leicht berechnen. Man findet für sie stets die Größenordnung 10–8 cm, während die Wellenlänge der Röntgenstrahlen nach den Beugungsversuchen von Walter und Pohl [2]) und nach den Arbeiten von Sommerfeld und Koch[3]) von der Größenordnung 10–9 cm sind. Eine erhebliche Komplikation freilich bedeutet es, daß bei den Raumgittern eine dreifache Periodizität vorliegt, während man bei den optischen Gittern nur in einer Richtung, höchstens (bei den Kreuzgittern) in zwei Richtungen periodische Wiederholungen hat.
Die Herren Friedrich und Knipping haben auf meine Anregung diese Vermutung experimentell geprüft. Über die Versuche und ihr Ergebnis berichten sie selbst im zweiten Teil der Veröffentlichung.
[…]
Allgemeine Folgerungen. Diskutieren wir zum Schluß noch ohne allen Bezug auf die Formel die Frage, inwiefern diese Versuche für die Wellennatur der Röntgenstrahlen sprechen.
Daß die vom Kristall ausgehende Strahlung Wellencharakter trägt, ist wohl durch die Schärfe der Intensitätsmaxima bewiesen, welche als Interferenzphänomen leicht, auf Grund korpuskularer Vorstellungen aber wohl kaum verständlich ist; daneben auch durch ihre große Durchdringungsfähigkeit, welche von allen bekannten Korpuskularstrahlen nur die schnellsten ß-Strahlen erreichen. Dennoch könnte man aber vielleicht die Wellennatur der primären Strahlen bezweifeln. Denken wir nun einmal, die Atome des Kristalls würden im Fall von Fig. 5, Tafel II durch eine Korpuskularstrahlung angeregt. (Die von manchen Forschern angenommene Lichtquantenstruktur der Röntgenstrahlen kann hier unter der Bezeichnung korpuskulare Strahlung mit einbegriffen werden.) Zu kohärenten Schwingungen könnten dabei nur solche Reihen von Atomen kommen, welche von demselben Korpuskel getroffen werden, d.h. Reihen, welche zur z-Richtung parallel sind. Atome, welche in der x- oder y-Richtung einen gewissen Abstand voneinander haben, würden von verschiedenen Korpuskeln angeregt; eine bestimmte Phasendifferenz zwischen ihren Schwingungen könnte nicht auftreten. Infolgedessen würde von dem Intensitätsausdruck nur ein Sinusquotient übrig bleiben; wir erhielten nur eine Bedingung für ein Intensitätsmaximum und diese wäre, wie schon aus Symmetriegründen einleuchtet, auf Kreisen um den Durchstoßpunkt des primären Strahles erfüllt. Die Durchbrechung dieser Kreise, die doch tatsächlich auftritt, wäre danach unverständlich. Zudem aber sind die primären und die vom Kristall ausgehenden Strahlen allem Anschein nach so gleichartig, daß man von der Wellennatur der letzteren wohl ziemlich sicher auf die Wellennatur der ersteren schließen kann. Ein Unterschied freilich bleibt bestehen: Die vom Kristalle ausgehende Strahlung hat sicher eine erhebliche spektrale Homogenität, d.h. eine gewisse Periodizität. Die primäre Strahlung hingegen wird man nach Sommerfelds Vorstellungen wohl, soweit sie „Bremsstrahlung“ ist, als aus durchaus unperiodischen Impulswellen bestehend annehmen müssen; die im folgenden mitgeteilten Versuche sind jedenfalls mit dieser Annahme verträglich. Unentschieden bleibe vorläufig, ob die periodische Strahlung erst im Kristall durch Fluoreszenz entsteht oder ob sie neben den Impulsen schon in der primären Strahlung vorhanden ist und durch den Kristall nur ausgesondert wird. Doch scheint uns Hoffnung zu bestehen, daß weitere Versuche bald darüber Aufschluß geben werden.
[…]
Tafel II.: Fig. 5 und Fig. 6 [keine Seitenangabe]
Anmerkungen
Quelle: Max Laue, „Theoretischer Teil,“ in Walther Friedrich, Paul Knipping und Max Laue, „Interferenz-Erscheinungen bei Röntgenstrahlen“, Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München, Heft 2 (1912), S. 303-4, 301-11. Online verfügbar unter: https://archive.org/details/sitzungsberichte1912knig