Jakob Fidelis Ackermann, Über die körperliche Verschiedenheit des Mannes vom Weibe, außer den Geschlechtstheilen (1788)

Kurzbeschreibung

Als Professor für Anatomie und Chirurgie hatte sich Jakob Fidelis Ackermann (1765–1815) einen Namen damit gemacht, dass er den Leichnam von Johannes Bückler (c. 1778–1803), dem „Schinderhannes“, sezierte, einem der berühmtesten Verbrecher der neueren deutschen Geschichte. Bekannt war Ackermann auch für die von ihm propagierte Idee, dass Männer und Frauen nicht nur hinsichtlich ihrer Anatomie vollständig verschieden seien, sondern auch ausgesprochen ungleich. Diese Auffassung kam in seiner Doktorarbeit von 1788 sehr deutlich zum Ausdruck. Im 19. Jahrhundert beriefen sich viele auf diese Arbeit, um den Ausschluss der Frauen vom öffentlichen Leben aufgrund ihrer inhärenten biologischen und mentalen Unzulänglichkeiten zu rechtfertigen. Der folgende Textauszug macht deutlich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sehr negative soziale, kulturelle und politische Auswirkungen haben konnten, wenn sie falsch interpretiert wurden.

Quelle

§. I. Betrachtung desjenigen, was bis itzt über den Geschlechtsunterschied ist gesagt worden.

Ungeachtet der vielen und großen Bemühungen, denen sich Zergliederer von verschiedenem Verdienste unterzogen haben, so entbehrt doch der Physiolog noch vieles in Betreff der Beschaffenheit und Einrichtung des weiblichen Körpers.[1]

Man hat zwar immer beide Geschlechter voneinander unterschieden, und auch mehrere auf den Unterschied sich gründende Bemerkungen niedergeschrieben, allein den meisten fehlen Zuverläßigkeit und Gewißheit.[2] Ich übergehe die träumerischen Gedanken der Alten in Absicht auf diesen Gegenstand, die desto auffallender sind, da sie selbst solche Männer zu Urheber haben, denen man doch vor so vielen den Vorzug der Weisheit einräumte.[3]

Die, welche den weiblichen Körper in Betreff des Unterschieds untersuchten, fanden ausser dem weichern Fleisch[4] minder beträchtlichen Wärme und Trockenheit[5], kleinern Leibeslänge im Durchschnitte[6], größern Schlaffheit der Haut und des Zellengewebes[7], größern Menge des letztern[8], einem haarlosen Kinn, größern Biegsamkeit und Geschicklichkeit zur Ausdehnung[9], die Geburtstheile abgerechnet, nichts.

§. II. Wenn die Unvollständigkeit dieser Untersuchung ersetzt werden soll, so müssen die wesentlichen Kennzeichen aller Theile in Betracht gezogen werden.

Allein diese hier angeführte Unterschiede reichen dem Physiologen bei weitem noch nicht hin; er verlangt noch andere mehr wesentliche, die gleichsam die Grundcharaktere abgeben, aus denen dann die übrigen Kennzeichen nur fließen. Er sucht solche, welche in der Grundlage des Körpers selbst in seinem festem und offenbar stärksten Theil, d. i. im Gerippe liegen; denn der in allen Theilen des Körpers sich findende Zusammenhang macht es zur nothwendigen Folge, daß eine Veränderung im Grundgebäude mehrere in den davon abhangenden Theilen erzeugen müsse.[10]

§. III. Vollkommen weiblicher Bau.

Indessen bleibt doch immer wahr, und ich halte es für notwendig zu erinnern, daß selbst die einzelnen Glieder jedes Geschlechts wieder von einander abweichen; ja man findet männliche Körper, die offenbar in ihrem Bau dem weiblichen, und umgekehrt weibliche, die dem männlichen näher treten.[11]*. Indessen findet man doch auch Personen vom schönen Geschlechthümlichte, die wegen der Vollkommenheit ihres eigenthümlichen Baues ganz weiblich genennt zu werden verdienen, und in denen alles, was ich im Verlauf dieser Abhandlung ausführlicher vortragen werde, vollständig und vereint vorkömmt. Ja man findet eben diesen eigenthümlichen Bau am vollkommensten in jenen weiblichen Körpern, wo diejenigen Theile, die zur Verrichtung der Hauptgeschäffte des weiblichen Geschlechts bestimmt sind, am vollkommensten eingerichtet sind. So habe ich immer beobachtet, daß diejenigen weiblichen Körper in allen ihren Theilen am schönsten, am weiblichsten gebauet waren, deren Becken zu dem übrigen Körper ein größeres Verhältniß hatte.

Anmerkungen

[1] Über diesen beträchtlichen Mangel der Zergliederungs-Kunst klagt schon Albin in der Vorrede seiner Annotationum academicarum Lib. I. S. 7 wo er sagt: wir entbehren noch die Auseinandersetzung und genaue Untersuchung des weiblichen Gerippes (caremus feeleto feminino.) Und auch nach Albin haben die sonst sehr verdienten Männer Tarin in seiner Osteographie, Paris 1753, und Sue in Traité d’Osteolgoie traduit de l’Anglois de Mr. Monro, Paris 1759, noch nicht genug, so wie es die Wichtigkeit dieses Gegenstandes erfoderte, geleistet.
[2] Hieher gehört Henr. Corn. Agrippa Abhandlung de nobilitate et praecellentia feminei sexus, Coloniae 1768, und J. P. Lotich de praestantia sexus feminini.
[3] Plato behauptete, die Männer, welche übel gelebt haben, würden in Weiber verwandelt. — Aristoteles in seinem Buche de generatione animalium heißt sie Ungeheuer [] Euripides setzt das Feuer, Wasser und Weib in eine Klasse, und nennt sie drei Uebel. — Simonides läßt das weibliche Geschlecht aus Wölfen und andern wilden Thieren entstehen. Sieh Lottich an ang. O. S. 30.
[4] Hippokrates in seinem Buche von dem Weibe sagt: []
[5] Hippokrates und Galenus führen dieses fast überall an. Lud. Mercati de mulierium affectionibus im I. Buch I. Kap in Spach collection gynaecorum.
[6] Martine eignet ihnen einen kleinern Kopf zu, als dem männlichen Geschlechte, und macht sie den Thieren ähnlich, so zwar, daß sie sich zu den Männern verhalten, wie 14 zu 15 sieh hierüber Haller in den Element physiol. Lib. XXVIII. S. 2.
[7] Sieh Fr. Thierry Ergo praerer genialia sexus discrepant. Paris 1750.
[8] Thierry a. a. O.
[9] Haller in Element Physiol. a. a. O.
[10] k Der große Zergliederer Herr v. Haller vermuthet sogar, daß beide Geschlechter auch in ihren Grundbestandtheilen voneinander verschieden seyn (ipsis suis elementis) sieh dessen Elementa physiolog. Tom. VII. Lib. XXVIII. S. 3.
[11] l Dieser Verschiedenheit in Rücksicht auf den Bau des weiblichen Körpers erwähnt schon Albin in seinem Buch de Sceleto, Leid. 1762, CXXVI. Cap. S. 473.
* Diesen Geschlechtsübergang habe ich mehrmals und nicht selten mit Erstaunen gesehen, zuweilen nur an einem Theile, zuweilen aber auch auch an mehreren zugleich. An einem Theile: ich habe männliche Schedel angetroffen vorzüglich aber noch dieses Jahr einen, die eben so fein, eben so glatt, eben so dünn und noch vornen an den Schläfen auf die nämliche Art zusammengedrückt waren, wie bei den weiblichen, so zwar, daß auch das Hirn an seinem vordern Theile die weibliche Form hatte. Hr. Hofrath Sömmerring hebt männliche Brustbeine auf, die vollkommen weiblich sind, nur blieb sich die Natur darinn gleich, daß sie dieselben eben deswegen weil sie kleiner wurden, vielleicht im nämlichen Verhältnisse dicker machte. An mehreren Theilen zugleich: auch dieses habe ich öfters nach vorgegangener Bemerkung meines großen Lehrers gesehen, und ich kenne wirklich noch mehrere Manner, von denen ich mit Grund muthmaßen kann, daß es sich eben so verhalte. Ich übergehe hier die große Ähnlichkeit des äußern Gesichts verschiedener männlicher Personen mit weiblichen, und auch die will ich nicht berühren, welche durch gleiche Tracht, als z. B. die Schnürbrüste, deren sich Frauenzimmer und Männer bedienen in der Form des Körpers hervorgebracht wird, von der ich die ausgesuchtesten Beispiele während dem Zergliedern zu sehen Gelegenheit hatte. Anm. des Uebers. 

Quelle: Jakob Fidelis Ackermann, Über die körperliche Verschiedenheit des Mannes vom Weibe, außer den Geschlechtstheilen. Koblenz: Johann Kaspar Huber, 1788, S. 1–7. Online verfügbar unter: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ackermann1788

Jakob Fidelis Ackermann, Über die körperliche Verschiedenheit des Mannes vom Weibe, außer den Geschlechtstheilen (1788), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-155> [05.12.2024].