Samuel Thomas Soemmerring, Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer (1784)

Kurzbeschreibung

Samuel Thomas Soemmerring (1755-1830) war einer der führenden deutschen Anthropologen und Anatomen im Zeitalter der Aufklärung. Seine Abhandlung Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer basierte auf dem Sezieren vier afrikanischer Sklaven im Anatomie-Theater des Collegium Carolinum in Kassel. Soemmerrings Beobachtungen zielten darauf ab, seine Theorie zu beweisen, dass die Afrikaner den Europäern unterlegen und den Menschenaffen näher waren.

Soemmerrings Abhandlung spiegelt die Debatte über die Ursprünge des Menschen im späten achtzehnten Jahrhundert wider. Er und sein Kollege Christoph Meiners (1747-1810) waren von den anatomischen Unterschieden zwischen den „Rassen“ überzeugt und vertraten die Theorie des Polygenismus oder der getrennten Ursprünge der Menschheit. Im Gegensatz dazu plädierte der Anatom Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) für den gemeinsamen Ursprung des Menschen (Monogenismus), der sich dann, wie er erklärte, zu „Varietäten“ [lateinisch: varietate] entwickelte.

Quelle

Wir Europer scheinen beynah in allen Welttheilen und schon von sehr langen Zeiten her, ein zwar nicht ffentlich anerkanntes, desto mehr aber fast bis zur Krnkung der Menschheit in der Anwendung ausgedehntes, Vorrecht ber die Negern zu besitzen. Es ist nur zu bekannt, wie wenig brderlich wir diese Unglckliche behandlen, und das mit einer Klte und Gewissensruhe, die eben wegen ihrer ziemlichen Allgemeinheit, stillschweigend zu verrathen scheinet, daß wir die Mohren fr weniger vollkommen, fr weniger der ersten Stelle in der thierischen Schpfung unseres Planeten wrdig, mit einem Wort, für geringer als uns Weiße halten. Man wende mir nicht ein, vergessen zu haben, daß wir unsere gleichfarbigen Mitmenschen oft nicht besser begegnen; dann auch ich sah unter Russen und Polen die hchsten Grade von Sklaverey.

Praktische Vorurtheile, die so allgemein im gemeinen Leben ausgebreitet sind, pflegen gewhnlich doch einiges wahre und gegrndete zur Sttze zu haben. Wir handlen oft nach Grnden, die nicht der Verstand erkannt und sich gesagt, sondern die uns ein gewisses Gefhl gelehrt hat. Ein Knabe wird allemahl ber Mgdchen, nach seiner Art herrschen, ohne zu wissen, daß er herrscht, noch weniger, daß er seines festeren strkeren Krpers wegen herrscht, und wenn er auch vllig mit ihnen in Kleidung, Nahrungsmitteln, Leibesbungen gleich gehalten wird. Erfahrung zeigt uns Thatsachen; Nachdenken aber findet oft erst spt den Grund warum sie geschehen.

Es ist nun nicht das Geschft des Zergliederers, die moralischen Ursachen einer so auffallenden That-Sache auszuforschen: desto mehr aber knnte man vielleicht die Untersuchung von ihm erwarten, ob im Bau und in der Einrichtung des Krpers sich etwan Verschiedenheiten, sichere, bestimmte, merkliche, nicht blos zufllige Unterschiede finden, die dem Mohren eine niedrigere Staffel an dem Thron der Menschheit anweisen.

Wie wrs, wenn sich anatomisch darthun ließe, daß die Mohren weit nher als wir Europer ans Affen-Geschlecht grnzen? und daß es nicht eingebildeter Stolz ist, der uns oft zu weit ber die Mohren erhebt, sondern daß dasjenige, worin wir Europer unter einander selbst uns nachstehen, und warum wir Einigen aus uns Vorzge willig einrumen, ich meyne, die auszeichnenden Organe des Verstandes, die unsern Abstand von den Thieren verursachen, den Mohren etwas hinter uns zurcklassen.

Bey meinem Aufenthalte zu Hessen-Cassel zergliederte ich mit Muße mehrere Mohrenkrper: und noch den letzten Tag erlaubte mir mein unvergeßlicher Gnner Hr. Leibarzt Baldinger, dessen Dienstfertigkeit so viele Gelehrte zuvorkommend untersttzet, einen Mohren zu untersuchen. Nachdenken ber diesen Gegenstand, begleiteten mich auf der Reise nach diesem Musen-Sitze, der den Wissenschaften in Deutschland neue Untersttzung zusichert, und der allgemeinen Aufklrung den erwnschtesten Glanz unter der Regierung eines geliebten Frsten darbietet; und vielleicht finden meine Beobachtungen und Gedanken ber diesen Gegenstand bey Gelegenheit der Restauration unserer uralten Universitt einigen Beyfall; da sie mit auf die Grnde leiten, warum unter uns Weißen vorzglich Knste und Wissenschaften bestndig, nur freylich abwechselnd bald hie bald dort, geblht haben.

Hauptschlich wird zwar meine Vergleichung die Kpfe und das Gehirn der Mohren mit den Europern betreffen; jedoch werde ich auch andere bey der Zergliederung von Mohren gemachte Anmerkungen nicht bergehen. Ausfhrlicher diese Betrachtungen mit fertig liegenden Zeichnungen zu erlutern, erlaubet mir die Krze der Zeit dermahlen nicht.

Diejenige Theile brigens von Mohren, die mir hierzu als Urkunden gedienet haben, bewahre ich annoch auf, um fr jedermann, erfoderlichen Falls, die Wahrheit meiner Stze durch Darlegung der Sachen selbst erhrten zu knnen.

Gemeinhin glaubt man, der Haupt-Unterschied des Mohren vom Europer lge in der platten Nase, die durch Eindrckung in der zarten Kindheit hervorgebracht wrde; dieses, nebst dem krausen Wollhaar, hlt man außer der Farbe, fr den wesentlichsten Unterschied. Richtig! aber fr den Physiologen noch lang nicht genug! Verschiedenheiten die ihm gengen, mssen, nicht zufllig, durch Mode hervorgebracht, sondern noch berzeugender, in der Grundlage des Krpers, in seinen festesten Theilen, auch im Knochen-Gerste selbst unwiderleglich zu finden seyn.

Wenn man auch nicht lugnet, daß die Mohren nach ihren Begriffen von Schnheit, die Eindrckung der Nase an Suglingen vornehmen (drucken, drehen, pressen, und verderben doch selbst unter uns zu geschftige Hebammen, den zarten Kopf der eben gebohrnen) so folgt doch deswegen gar nicht, daß diese Gewaltthtigkeit in allen Fllen Schuld an der platten Nase sey. Ich untersuchte ein nur wenig Monathe altes Mohrenkind, und fand die Kinnladen verhltnißmßig, wie bey seinen ausgewachsenen schwarzen Eltern vorstehend, und deßhalb den untern Theil der Nase, flacher, breiter, und ihn weitere Nasenlcher bilden. Nirgends aber war eine Spur von einer der Nase angethanen Gewalt aufzufinden, sondern ihre Form natrlich von den Nasen der weißen Kinder abweichend. In so kurzer Zeit konnte sich auch ohnehin ohnmglich so viel verndert haben. Hr. Camper, mein großer Lehrer und gtigster Freund, untersuchte schon vor vielen Jahren in gleicher Absicht die Vernderungen an Mohrenkpfen, die das angebliche Eindrcken der Nase verursachen sollte. Ob er nun gleich nichts besonderes an den Nasenknochen fand, so lehrte ihn doch Vergleichung mit Schdeln anderer Menschen-Gattungen verschiedene wichtige Stze, und so auch die Wahrheit, daß die Nase, wenn alle Umstnde sonst gleich blieben, flach, breit, stumpf, und weniger hervorragend werden muß, sobald die Kinnladen vorrcken.

Die von ihm erfundene Gesichtslinie, setzt vollends diese Bemerkung außer allem Zweifel; nur ists sehr Schade, daß seine Zeichnungen hierber der Welt noch nicht weiter als durch blos abgekrzte Nachrichten bekannt geworden sind.

Vergleicht man den Zusammenhang des Kopfs mit dem Rumpf, bey einem Mohren und Europer, so findet man, wie Hr. Professor Lichtenberg, in einer Unterredung mit mir, scharfsinnig bemerkte, einen merklichen Unterschied; beym Mohren ist der Uebergang vom hintern Kopf zum Rcken, flacher, weniger tief, als bey uns, ausgehhlt, grade als gienge dem gehirnfassenden Schdel hinterwrts etwas ab; in noch weit strkerem Grade ist dieses der Fall beym Affen.[1]

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Anmerkungen

[1] Wenn ich von Affen ohne Beysatz spreche, meine ich meißt den, Orang Utang, oder auch den gemeinen Affen. S. SYLVANUS.

Quelle: Samuel Thomas Soemmerring, Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer. Mainz, 1784, S. 3-8. Online verfügbar unter: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN50562964X

Samuel Thomas Soemmerring, Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer. Mainz, 1784. Neu herausgegeben und kommentiert von Sigrid Oehler-Klein. Stuttgart: Fischer-Verlag, 1998.

Manfred Wenzel, Samuel Thomas Soemmerring: Naturforscher der Goethezeit in Kassel. Kassel: Druckhaus Dierichs, 1988, S. 58-64.

Samuel Thomas Soemmerring, Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer (1784), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-187> [03.12.2023].