H. Thiel, „Beschreibung und Ertragsberechnung einer Zuckerrüben-Wirthschaft“ (1874)

Kurzbeschreibung

Während in anderen Ländern nach 1850 Getreide die Grundlage für die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion darstellte, kam diese Rolle in Deutschland den Wurzelgemüsen zu. Das wichtigste von ihnen war die Zuckerrübe. Wissenschaftliche Studien wie diese von 1874, die ihr gewidmet waren, zielten auf eine Verbesserung der Erträge, aber auch auf die Entwicklung von Technologien, welche die Produktivität der Ackerfläche maximierten. Die Beziehung der Deutschen zur Zuckerrübe konnte auf eine erfolgreiche Geschichte zurückblicken. 1747 hatte ein deutscher Chemiker als erster Zucker aus Rüben gewonnen. Die erste Zuckerrübenfabrik wurde 1810 in Schlesien eröffnet. Während dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wurde Rübenzucker mittels Techniken, die deutsche Wissenschaftler perfektioniert hatten, zum wichtigsten Süßstofflieferanten für Millionen von Menschen, die von Rohrzuckerlieferungen abgeschnitten waren. Heutzutage handelt es sich beim allergrößten Teil der Zuckerproduktion in der Europäischen Union um Rübenzucker.

Quelle

Wirthschaftsbeschreibungen und Ertragsberechnungen, wenn auf wirklichen und nicht auf fingirten Daten beruhend, können nach verschiedenen Seiten hin einen großen Werth haben. Sie allein gewähren einen genauen Einblick in die wirthschaftliche Lage eines Gewerbes, welches wie die Landwirthschaft für die Staatwohlfahrt unbedingt eins der wichtigsten ist, und ermöglichen die richtige Beantwortung einer Reihe der interessantesten volkswirthschaftlichen Einzelfragen. Es ist bekannt z.B., daß man vielfach die Bewirthschaftung des Grund und Bodens in kleineren Besitzungen als die vorzüglichere gegenüber der Großwirthschaft hingestellt hat mit besonderer Betonung der höheren Brutto= und Nettoerträge der Klein=Wirthschaften. Letzteres Verhältniß mag richtig gewesen sein so lange, wie beide Arten von Wirthschaften mehr oder minder auf dem Standpunkte von, um es kurz zu bezeichnen, Bauerwirthschaften standen, wobei denn in der kleinen Wirthschaft das persönliche Mitarbeiten des Eigenthümers und die von ihm ausgeübte größere Sorgfalt und beständige Kontrole eine bessere Kultur und größere Ersparnisse an Wirthschaftskosten ermöglichte, als sie dem Großgrundbesitzer zu erreichen möglich war. Wo der Großgrundbesitz jetzt aber mit größerem Kapital und Intelligenz wirthschaftet, alle Hülfsmittel der Wissenschaft und Technik anwendet, da kann er eine Vollkommenheit der Kultur und damit eine Höhe der Bruttoerträge erreichen, welche selbst der sorgfältigste Kleinbetrieb wenigstens in denselben Früchten nicht übertreffen kann, und die Vortheile des letzteren in Kostenersparniß und allen den Punkten, wo das stets eingreifende persönliche Wahrnehmen des Interesses des Besitzers von Wichtigkeit ist, werden mehr wie aufgewogen durch die Möglichkeit der rentablen Anwendung von Maschinen und für die einzelnen Zweige der Wirthschaft speziell ausgebildeter Techniker, Beamten und Arbeiter, wie diese nur der Großgrundbesitz gewähren kann. Wenn nun auch die Frage über die für den Staat beste Gestaltung der ländlichen Besitzverhältnisse nicht ausschließlich auf Grund einer Produktionsberechnung entschieden werden kann; der Nachtheil geringerer Produktion bei dem einen System könnte ja leicht durch anderweitige für die Gesammt=Volkswirthschaft des Staates aus der gesicherten Existenz einer größeren Anzahl kleiner Besitzer=Familien hervorgehende Vortheile aufgewogen werden, so ist es doch von der größten Wichtigkeit, um überhaupt diese einzelnen Momente gegeneinander abwiegen zu können, dieselben so genau wie möglich zu fixiren. Hierzu soll eine Reihe solcher Wirthschaftsbeschreibungen und Berechnungen dienen, welche der Redaktion aus den verschiedensten Theilen Deutschlands von ganz zuverlässiger Seite zugesagt sind. Diese Berechnungen werden gleichzeitig Licht verbreiten über die so vielfach ventilirte Steuerfrage, über das Verhältniß der einzelnen Steuern zu den Gesammtkosten der Wirthschaft, welche Erleichterung demgemäß für die Landwirthschaft aus einer Steuerreform zu erwarten steht, sie können Material bieten für landwirthschaftliche Anschläge und Taxationen und werden gewiß zu interessanten Vergleichungen ebenso Veranlassung geben, wie sie durch die in ihnen enthaltenen Mittheilungen der Wirthschaftsmethoden direkt für die Betriebslehre fördernd wirken können.

Da Werth darauf gelegt werden muß, nur Angaben aus der wirklichen Praxis zu bringen, so wird in den meisten Fällen die Anonymität bedingt sein, der Herausgeber wird aber nur solche Berechnungen aufnehmen, für welche er volle Garantie in Bezug auf die Richtigkeit der ihnen zu Grund liegenden Daten übernehmen kann.

Klima und Boden.

Das Gut liegt in einer Gegend, in welcher der Zuckerrübenbau florirt und die Wirthschaften auf eine hohe Stufe der Kultur erhoben hat. Daraus, daß die Rübe in hiesiger Gegend vorzüglich gedeiht, folgt schon, daß Klima und Boden für den Anbau fast sämmtlicher Kultur=Gewächse gleich günstige Umstände geschaffen haben. Der Boden der vorliegenden Wirthschaft speziell besteht zum bei weit größten Theil aus aufgeschwemmtem Land, welches wechselt zwischen schwarzem, stark humosem, tiefgründigem Boden durch alle Nüancen hindurch bis zum helleren, kälteren Lehm. Der Untergrund ist durchweg Lehm. Nur ein kleiner Theil, etwa 170 Morgen, liegt am West=Abhang eines einige Hundert Fuß hohen Höhenzuges; dort findet sich eine flache Ackerkrume von 4-6 Zoll, aus einem Gemisch von Thon und Kalk bestehend, mit vorherrschend kalkhaltigem Untergrunde.

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Wirthschaftssystem und Fruchtfolge.

Wenn jetzt des Näheren auf die Bewirthschaftung dieses Gutes eingegangen werden soll, so sei über die Antecedenzien der Wirthschaft bemerkt, daß dieselbe bis in den Anfang der 60er Jahre etwa 25 Jahre lang in der Hand eines sehr tüchtigen Landwirths war, unter dessen Führung das Gut nach dem System der verbesserten Dreifelder=Wirthschaft bewirthschaftet, bei Haltung eines starken Viehstandes sich von Jahr zu Jahr verbesserte. Natürlich verbesserte nur im Humus= und damit Stickstoffgehalt des Bodens, während sich der Gehalt an Mineralstoffen, welche ausgeführt wurden, ohne durch Einfuhr von künstlichem Dünger wieder ersetzt zu werden, vermindern mußte. Hierdurch schien in dem Boden, der schon durch die Natur zum Theil sehr stark mit Humus gemischt war, ein Ueberfluß an Stickstoff entstanden zu sein, und dieser Stickstoff=Ueberfluß, sowie Mangel an Mineralstoffen waren es wohl, welche dem früheren Besitzer von Jahr zu Jahr zunehmende Stroh=Ernten und abnehmende Körner=Ernten brachten. Der jetzige Besitzer erwarb das Gut hauptsächlich, um dort Zuckerrüben und Kartoffeln für seine in der Nähe gelegene Zuckerfabrik und Brennerei zu bauen. Die Kultur der Zuckerrübe war das, worum es sich von jetzt ab hauptsächlich in der Wirthschaft handelte. Wie schon Eingangs dieser Betrachtung bemerkt, sind 170 Morgen Höhenland, welche sich nicht zum Rübenbau eignen, es blieben also c. 750 Mrg. übrig, welche dem Rübenbau zu unterwerfen waren. Für diese Felder wurde die sog. Norfolker Fruchtfolge gewählt, welche also in diesem Falle lautet:

1) Winterkorn,
2) Zuckerrüben,
3) Sommerkorn,
4) Kartoffeln, Erbsen, Futterrüben, Klee, Mais.

Damit waren außer einjährigem Klee die perennirenden Futterkräuter aus diesem Turnus verbannt und ergab sich ein möglichst ausgedehnter Anbau von Esparsette für das Höhenland, welche dort in dem thonigen Kalkboden vorzüglich gedeiht. Bei der großen Entfernung der dortigen Aecker vom Wirthschaftshof erschien auch eine mit dem ausgedehnten Futterbau zusammenhängende, mehr extensive Wirthschaftsweise für jene Aecker besonders günstig. Die Esparsette wächst dort 3-4 Jahr lang hinter einander und wird nach einem 6-8jährigen Anbau von Raps, Weizen, Kartoffeln, Hafer, Erbsen und Linsen unter Hafer von Neuem wieder angesäet. Eine bestimmte Fruchtfolge ließ sich für diese Aecker nicht feststellen, da die sehr von einander abweichende Beschaffenheit der einzelnen Pläne dieselben nicht in eine Fruchtfolge hineinzwängen ließ.

Ehe wir nun zu weiteren Betrachtungen übergehen, namentlich zur Erörterung des Viehstandes, sei hier gleich bemerkt, daß die Wirthschaft jährlich die Ernte von ca. 180 Mrg. Zuckerrüben und 70-80 Mrg. Kartoffeln an die vorhin erwähnte Zuckerfabrik und Brennerei abliefert und daß bei der nicht unbedeutenden Entfernung dieser Fabriken von hier während des ganzen Winters fast immer ein ganzer Tag mit einer solchen Rüben= oder Kartoffelfuhre bei theilweiser Rückfracht von Preßrückständen verloren geht. Die Wirthschaft erhält pr. Ztr. Rüben von der Fabrik 11½ Sgr., pr. 24 Ztr. Kartoffeln im Durchschnitt 16 Thlr., zahlt dagegen für die von den Rüben gewonnenen Preßrückständen (ca. 30% inkl. Köpfe bei Macerations=Verfahren) pr. Ztr. 5 Sgr., für die von den Kartoffeln gewonnene Schlempe pr. 4000 Quart Maischraum 8 Thlr.

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Quelle: H. Thiel, „Beschreibung und Ertragsberechnung einer Zuckerrüben-Wirthschaft“, Landwirtschaftliche Jahrbücher 3 (1874): S. 29–32.

H. Thiel, „Beschreibung und Ertragsberechnung einer Zuckerrüben-Wirthschaft“ (1874), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-157> [24.10.2024].