Wilhelm Liebknecht, „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“ (5. Februar 1872)

Kurzbeschreibung

Wilhelm Liebknecht (1826–1900), einer der Gründer der SPD und Herausgeber der sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts, engagierte sich lange Zeit in der Gewerkschaftsorganisation und Arbeiterbildung. Hier argumentiert er dafür, Wissen mit Macht zu verbinden und erklärt, dass das Volk die Kontrolle über die Bildung haben müsse.

Quelle

Wissen ist Macht! Bildung macht frei! An dieses Wort, das vorhin im Prolog (zu dem Dresdener Fest) betont wurde, und das wir so häufig im Munde unserer Gegner hören, wird mein heutiger Vortrag sich anknüpfen. Ja, im Munde unserer Gegner, und gegen uns angewandt, zur Widerlegung des von uns, von der Sozialdemokratie verfochtenen Satzes, daß die Hauptthätigkeit des Arbeiters sich auf die Umgestaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu richten habe, und daß die ausschließliche Verfolgung von Bildungszwecken für den Arbeiter nichts sei, als eine zeitraubende Spielerei, welche weder dem Einzelnen noch dem Ganzen zum Vortheil gereicht.

Knowledge is power – Wissen ist Macht! Wohl ist das ein wahres Wort. Wissen ist Macht, Wissen giebt Macht, und weil es Macht giebt, haben die Wissenden und Mächtigen von jeher das Wissen als ihr Kasten-, ihr Standes-, ihr Klassen-Monopol zu bewahren, und den Nichtwissenden, Ohnmächtigen – von jeher die Masse des Volkes – vorzuenthalten gesucht. So ist es zu allen Zeiten gewesen, so ist es noch heute. Durchfliegen wir die Geschichte der Menschheit von den grauesten Zeiten des Alterthums bis heran zur Gegenwart: überall das nämliche Schauspiel. Eine Kaste, ein Stand, eine Klasse hat das Wissen sich angeeignet und benutzt es als Machtmittel zur Unterdrückung und Ausbeutung der übrigen Kasten, Stände und Klassen. Die Priester Egyptens und Indiens, worauf gründete sich ihre tausendjährige Herrschaft? Sie waren im Alleinbesitze des Wissens – der damals vorhandenen Kenntnisse von den Naturkräften, vom Lauf der Gestirne, vom Wesen des Menschen; und dies Wissen war ihnen der Zauberstab, das Szepter, vor welchem die staunenden, bewundernden Massen sich andächtig beugten; es war die Kette, mit der die Priester, unterstützt von der Kriegerkaste – denn Krieger und Priester sind stets brüderlich Hand in Hand gegangen bei Knechtung der Welt – den Staat und die Gesellschaft umschlangen, und sich dienstbar machten. Die Priester Griechenlands, Roms, des christlichen Mittelalter, der neuen und neuesten Zeit sehen wir von demselben Bestreben erfüllt: das Wissen als den Urquell der Macht und Herrschaft für sich zu behalten, und der Volksmenge zu verschließen. Das Wissen ist für die Herrschenden, die Unwissenheit für die Beherrschten. In den Sklavenstaaten Nordamerikas bestand ein Gesetz, das Jedem, der einem Farbigen Lesen und Schreiben lehrte, den Tod androhte. Die Sklavenbesitzer wußten sehr genau, daß wenn die Sklaven sich ihrer Sklaverei bewußt, wenn ihnen die Augen geöffnet würden, es zu Ende sei mit der „ewigen“ und „heiligen“ Institution der Sklaverei. Bei uns in dem „gebildeten“ Europa, überhaupt in den sogenannten Kulturstaaten, bestraft man allerdings die Verbreitung des Wissens unter das Volk nicht mit dem Tod, aber es wird nicht minder wirksam dafür gesorgt, daß das Wissen nicht unter das Volk dringe. Das Wissen ist unter dem Verschluß der Herrschenden, den Beherrschten unzugänglich, außer in der Zubereitung und Verfälschung, die den Herrschenden beliebt. Und wenn es einer beherrschten Klasse, wie der französischen Bourgeoisie im vorigen Jahrhundert, einmal gelungen ist, sich Wissen und mit Hülfe des Wissens die politische Macht zu erringen, so hat sie regelmäßig ihre Macht nur gebraucht, um sich selbst in der Macht zu befestigen, um ihr materielles Interesse zu fördern, und die „unteren Klassen“ in Unfreiheit und geistige Nacht zu stürzen. Ich übertreibe nicht, ich spreche nur eine unumstößliche, durch die Geschichte auf jeder Seite bestätigte Wahrheit aus, indem ich sage:

Es hat noch nie eine herrschende Kaste, einen herrschenden Stand, eine herrschende Klasse gegeben, die ihr Wissen und ihre Macht zur Aufklärung, Bildung, Erziehung der Beherrschten benutzt und, nicht im Gegentheil, systematisch ihnen die echte Bildung, die Bildung, welche frei macht, abgeschnitten hätte.

Es liegt das im innersten Wesen der Herrschaft. Wer herrscht, will sich stark und den Beherrschten schwach machen. Und wer allgemeine Bildung will, muß deshalb gegen jede Herrschaft ankämpfen.

Wir Deutschen pflegen uns nicht blos „das Volk der Denker“ zu nennen, sondern halten uns auch für das gebildetste Volk der Erde. Nun, in seinem unsterblichen Werk über die Zivilisation sagt Buckle von den Deutschen: „Es giebt keine Nation in Europa, bei der wir einen so großen Abstand (interval) zwischen den höchsten und den niedersten Geistern (minds) finden. Die Volksmassen sind abergläubischer, in Wirklichkeit unwissender und unfähiger, sich selber zu leiten (guide), als die Einwohner von Frankreich oder England. Die großen deutschen Schriftsteller sprechen nicht zu der Nation, sondern zu einander. Ihre Sprache ist den unteren Klassen vollkommen unverständlich.“ Kurz, Buckle meint, die Literatur sei in Deutschland ganz losgelöst von dem Volk; die Kluft zwischen Wissenden und Nichtwissenden nirgends so groß als in Deutschland. Im Gegensatze zu Deutschland rühmt der geniale englische Geschichtsschreiber von der amerikanischen Republik: „In keinem anderen Land giebt es so wenig Männer von großer Gelehrsamkeit und so wenig Männer von großer Unwissenheit.“

Ich will hier auf das Urtheil Buckle’s nicht des Näheren eingehen. Leichtsinnig ist es nicht gefällt – das kann einem so gewissenhaften Forscher nicht zugetraut werden. Unzweifelhaft zählt Deutschland absolut und relativ weit mehr Menschen, die lesen und schreiben können, als England und Frankreich, allein Lesen und Schreiben sind an sich nicht Bildung, es sind blos Mittel zur Erlangung von Bildung; und nach meinen persönlichen Beobachtungen stehe ich keinen Augenblick an zu sagen, daß die Arbeiter Englands und Frankreichs in politischer und ökonomischer Bildung, das heißt in der Kenntniß von Staat und Gesellschaft, und in der Kenntniß ihrer Rechte und Pflichten in Staat und Gesellschaft, den deutschen Arbeitern durchschnittlich entschieden überlegen sind, obgleich von ihnen nur die Wenigsten, von den deutschen Arbeitern aber fast Alle in der Schule lesen und schreiben gelernt haben. Das entwickeltere politische und ökonomische Leben ersetzt ihnen zum Theil, was in der Jugenderziehung versäumt worden ist; und das Leben ist die beste Schule, die durch keinen theoretischen Unterricht, und wäre er noch so vortrefflich, ersetzt werden kann.

Daß in Deutschland die geistige Kluft zwischen den höheren und niederen Volksklassen breiter ist als in England und Frankreich, scheint mir ebenfalls unbestreitbar; und daß die Sprache unserer sogenannten Nationalliteratur – von der durch ihre Unverständlichkeit berüchtigte Sprache unserer Gelehrten garnicht zu reden – der Masse der Nation nicht verständlich ist, das wird ja ziemlich allgemein zugegeben. Indeß mehr oder weniger gilt das Gleiche von sämmtlichen Kulturvölkern. Ein Franzose hat von den Russen gesagt: „Grattez le Russe, et le Tartare apparait!“ – wenn man den Russen kratzt, kommt der Tartar zum Vorschein. Aehnlich kann man von unserer modernen Kultur sagen: Wenn man die heutige Kultur kratzt, kommt die Barbarei zum Vorschein. Unsere Kultur – und die Kultur eines Volkes repräsentirt die Summe der in ihm vorhandenen Bildung – ist blos skin deep, hauttief; – eine dünne Kruste, glänzender Firniß außen und darunter Rohheit, Aberglaube, der Krieg Aller gegen Alle, ein Vernichtungskrieg, der Starke den Schwachen auffressend, zwar nicht buchstäblich, aber doch wirklich.

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Die Zahl Derer, die erträglich lesen können, ist unstreitig weit größer, und ich gebe zu, daß das Lesen als Bildungsmittel weit wichtiger ist als das Schreiben. Wer Lesen kann und die Neigung hat, sich auszubilden, wird, falls er Zeit hat und ihm bildende Lektüre zu Gebote steht, die Lücken seiner Erziehung allmälig ausfüllen und sich eine wirkliche Bildung erwerben. Aber steht solche Lektüre unserem Volk zu Gebot? Die Frage muß verneint werden. Jeder Buchhändler kann Ihnen sagen, daß unsere klassische Literatur, wie Buckle uns vorgeworfen hat, für das Volk nicht existirt – erst in neuester Zeit, wo sehr billige Ausgaben veranstaltet werden, beginnen einzelne Werke unserer großen Autoren in die mittleren Schichten der Bevölkerung zu dringen –; die Bücher unserer Gelehrten sind für die Massen mit sieben Siegeln versiegelt; – die geistige Nahrung des Volkes ist die Tagespresse: Zeitungen und billige Unterhaltungsblätter. Zum Unglück verhält es sich mit dieser geistigen Nahrung wie mit der körperlichen Nahrung, auf welche das Volk angewiesen ist; gleich ihr ist sie verfälscht und ungesund, und dem Geist ebenso schädlich, wie jene dem Körper. Wir haben nicht Ein Unterhaltungsblatt, das den Sinn der Leser zu veredeln strebte.[1]) Reine Geldspekulationen, verfolgen sie nur den Zweck: Geld zu machen. Und das meiste Geld ist zu machen, wenn sie mit dem Strom schwimmen, den modischen Vorurtheilen schmeicheln, an die Schwächen, niederen Leidenschaften und gemeinen Instinkte appelliren. So haben sie die Kundschaft des großen Haufens, des „gebildeten“ und ungebildeten Pöbels und – die Protektion der Großen, die ein Interesse daran haben, daß der große Haufe, das Volk, nicht die Bildung erlange, welche „frei macht“, nicht das Wissen, welches „Macht ist“. Die billigsten Unterhaltungsblätter, welche hauptsächlich unter das Volk kommen – ich rechne die sogenannten Kolportage- oder Lieferungs-Romane hier mit – sind fast ausnahmslos, – ich glaube, man kann sagen: ausnahmslos – der Form nach miserabler Schund und dem Inhalte nach Opium für den Verstand und Gift für die Sittlichkeit. Das Beste an dieser Literatur ist, daß sie, in Folge des selteneren Erscheinens und der nicht so allgemeinen Verbreitung, relativ harmlos ist im Vergleich mit der politischen Tagespresse, die ihren Einfluß überall hin, auch in die jeder anderen Lektüre unzugänglichen Kreise erstreckt. Eine Zeitung liest Jedermann, der lesen kann – entweder bei sich zu Hause, oder beim Nachbar, oder im Wirthshaus. Neben der Schule und Kaserne ist die Presse unsere dritte große Bildungsanstalt. Und sie reiht sich ihren Kolleginnen würdig an. Ein Herz und eine Seele mit ihnen, ergänzt sie deren Werk. Was in der Kaserne und Schule gelehrt wird, das trägt sie in’s Land, in jedes Haus, in jede Hütte – nur daß sie nicht immer im Ton des Schulmeisters und Unteroffiziers spricht, sondern es oft liebt, ein freisinniges Mäntelchen umzuhängen, gern von Volkswohl, Aufklärung, demokratischen Errungenschaften und sonstigen Modeartikeln redet, weil das „zieht“, und die unschmackhafte Waare unter solch hübscher Etikette leichter Absatz findet.

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In Berlin hat sich vor Kurzem ein „Verein für die Freiheit der Schule“ gebildet, der sich die Aufgabe gestellt hat, alle auf Verbesserung der Volkerziehung abzielenden Anstrengungen zu konzentriren und die Volkserziehung den verderblichen Einflüssen des Staats und der Kirche zu entziehen. Nichts kann löblicher sein. Aber leider zäumen die Herren, die an der Spitze sind, das Pferd an dem Schwanz auf. Es erhellt dies schon aus dem ersten Paragraph der Statuten, welcher lautet: „Normale soziale Zustände können in Kulturstaaten nur aus einem normalen Schulwesen hervorgehen.“ Eine wunderbare Verwechslung von Ursache und Wirkung! „Normale soziale Zustände“ erheischen ein „normales Schulwesen“, aber sie gehen nicht aus ihm hervor, weil ein normales Schulwesen blos unter normalen sozialen Zuständen möglich ist, und weil die abnormen sozialen Zustände, welche jetzt herrschen, ein normales Schulwesen nicht aufkommen lassen. Nicht gehen normale soziale Zustände aus einem normalen Schulwesen hervor, sondern ein normales Schulwesen kann nur aus normalen sozialen Zuständen hervorgehen. Kein Zweifel, wäre das ganze Volk heute gebildet, so würden wir auch rasch vernünftige gesellschaftliche und staatliche Zustände haben, allein das heißt eben eine Unmöglichkeit voraussetzen.

Von den Männern, die auf die Volksbildung das Hauptgewicht legen, verlangen wir blos praktische und logische Konsequenz. Auch wir halten die Volksbildung für das Höchste. Aber wir lieben sie nicht blos platonisch. Sie soll zur Wirklichkeit werden. Volksbildung – das sind Volksschulen, in denen allen Kindern gleichmäßig der bestmögliche Unterricht gespendet wird; Volksbildung, das ist Unentgeltlichkeit des Unterrichts; Volksbildung, das sind Erziehungsanstalten, die das Werk der Volksschule fortsetzen, und den Jüngling und die Jungfrau für den Lebensberuf vorbereiten; Volksbildung, das sind staatliche und gesellschaftliche Einrichtungen, die das wahre Menschenthum fördern – mit Einem Wort: Volksbildung, wenn das Wort nicht ein leerer Schall, eine Lüge sein soll, bedeutet und bedingt die Umgestaltung von Grund aus der heutigen Staats- und Gesellschaftszustände; und wem es Ernst ist um die Volksbildung, der hat die moralische Verpflichtung, mit uns auf diese Umgestaltung hinzuarbeiten.

Die Sozialdemokratie ist im eminentesten Sinne des Worts die Partei der Bildung.

Der heutige Staat und die heutige Gesellschaft, die wir bekämpfen, sind Feinde der Bildung; so lange sie bestehen, werden sie verhindern, daß das Wissen Gemeingut wird. Wer da will, daß das Wissen Allen gleichmäßig zu Theil werde, muß daher auf die Umgestaltung des Staats und der Gesellschaft hinwirken. Sie, meine Herren, die Mitglieder des Arbeiterbildungsvereins, haben dies begriffen. Sie haben begriffen, daß der Tempel der Wissenschaft dem Volke verschlossen, die Zugänge der Bildung durch eine chinesische Mauer abgesperrt sind. Der Schlüssel des Tempels muß erobert, die Mauer niedergerissen werden. Das Mittel ist die politische, die soziale Agitation. Wohl sind die Feinde mächtig, die uns den Weg verlegen. Allein wider Willen liefern sie selber uns die Waffen zum Sieg. Die Zustände werden immer unnatürlicher, treten in immer schreienderen Widerspruch mit den Interessen der Allgemeinheit, des Volks, der Menschheit. Wie unzähligen haben nicht die Greuel des letzten Krieges die Augen geöffnet! Je mehr der Staat sich zum Klassenstaat entwickelt, desto größeren Druck muß er auf die beherrschten, ausgebeuteten Klassen ausüben, desto tiefere und allgemeinere Unzufriedenheit erzeugen. Und ebenso die moderne Gesellschaft. Je mehr der Kapitalismus, die Großproduktion auf die Spitze getrieben wird, desto größer wird die Kluft zwischen Armen und Reichen, desto gebieterischer tritt an die Massen die Nothwendigkeit heran, das Joch der Lohnsklaverei abzuschütteln.

Wohl sucht man dem Volk die Möglichkeit der Bildung abzuschneiden. Aber die Noth ist die beste Lehrmeisterin. Jede neue Maschine predigt das Evangelium der sozialen Emanzipation; jede neue Fabrik ist eine Pflanzschule der Sozialdemokratie; jeder ruinirte Handwerker und Kleinmeister schwellt die proletarische Armee. Also leichten Herzens und zuversichtlichen Muthes an die Arbeit! „Die Zukunft gehört uns!“ Die Gegner können keinen Schritt thun, ohne durch Deserteure aus ihren Reihen unsere Armee zu verstärken.

Nicht um Herrschaft ringen wir, nicht um Privilegien. Die Herrschaft als solche wollen wir beseitigen. Wo Herrschaft ist, ist Knechtschaft, und wo Knechtschaft, Ausbeutung. Wir bekämpfen die Herrschaft in jeder Form, die politische und die soziale. Wir erstreben den freien Volksstaat, der, auf den Trümmern der jetzigen Klassenherrschaft errichtet, die Harmonie der Interessen zur Wahrheit macht, – die freie Gesellschaft in dem freien Staat, den Staat, welcher Jedem gleichmäßig die Mittel zur harmonischen Ausbildung seiner Fähigkeiten gewährt, und, in Erfüllung des Aristotelischen Ideals, „nach dem höchsten Gut trachtet“: nach dem echten Kulturstaat. Und wir erstreben die freie Gesellschaft, die an Stelle der unmoralischen, geist- und körpertödtenden Lohnarbeit die brüderliche, genossenschaftliche Arbeit setzt, und den Quell aller staatlichen und gesellschaftlichen Uebel, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, verstopft.

Erst im freien Staat und der freien Gesellschaft löst die heutige Disharmonie sich in Harmonie auf. Erst im freien Staat mit der freien Gesellschaft können wir die allseitige Harmonie erlangen, die der höchste Kulturzweck ist: die Harmonie der Interessen, die Harmonie des Menschen mit dem Menschen, die Harmonie des Menschen mit sich selbst – Harmonie nach Außen: Harmonie der Völker, Harmonie im Staat und in der Gesellschaft; Harmonie nach Innen: Harmonie im Individuum durch Entwickelung aller Fähigkeiten und durch Aufhebung des Widerspruchs zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Moral und Handeln.

Nur auf dem Wege politischer Agitation ist dieses Ziel zu erreichen. Der Leipziger (Dresdener) Arbeiterbildungsverein hat dies erkannt, und damit bewiesen, daß er sich der Aufgabe eines Bildungsvereins bewußt ist. Lassen Sie sich durch nichts von Ihrer Bahn ablenken. Saugen Sie frische Kraft aus jedem Hemmniß. Die Bahn führt zum Sieg . . . Dort ist die Bildung, das Wissen für Alle. Der Staat und die Gesellschaft stehen zwischen uns und dem Ziel. Wir müssen hinwegschreiten über Staat und Gesellschaft. Verzichten wir auf den Kampf, auf den politischen Kampf, so verzichten wir auf die Bildung, auf das Wissen. „Durch Bildung zur Freiheit,“ das ist die falsche Losung, die Losung der falschen Freunde. Wir antworten: Durch Freiheit zur Bildung! Nur im freien Volksstaat kann das Volk Bildung erlangen. Nur wenn das Volk sich politische Bildung erkämpft, öffnen sich ihm die Pforten des Wissens. Ohne Macht für das Volk kein Wissen! Wissen ist Macht! – Macht ist Wissen!

Anmerkungen

[1] ) Der Vortrag ward Anfangs 1872 gehalten.

Quelle: Wilhelm Liebknecht, „Wissen ist Macht, Macht ist Wissen“. Festrede gehalten zum Stiftungsfest des Dresdner Bildungs-Vereins am 5. Februar 1872. Neue Auflage. Berlin: Expedition der Buchhandlung Vorwärts (Th. Glocke in Berlin), 1904, S. 11–13, 27–28, 49–52. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11128194-8

Wilhelm Liebknecht, „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“ (5. Februar 1872), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-21> [05.12.2024].