Max Weber, „Wissenschaft als Beruf“ (1917)

Kurzbeschreibung

Als bekanntester deutscher Soziologe im wilhelminischen Deutschland trug Max Weber (1864–1920) wichtige und nachhaltige Erkenntnisse zu verschiedenen Bereichen bei. Dieser Auszug aus seiner berühmten Vorlesung an der Münchner Universität von 1917 beschreibt seine Vision des professionellen Wissenschaftlers: ein restlos engagiertes, von sozialen Zwängen freies Individuum, das vollkommen vertieft ist in die winzigen Details höchstspezialisierter Forschung, jemand, dessen akribische und kompromisslose Arbeit wahrhaft transformative Auswirkungen haben könnte. Dieses heroische Bild nüchterner akademischer Rationalität spielte – so unmöglich seine praktische Realisierung auch sein mochte – eine prägende Rolle in der Ausgestaltung der Persönlichkeiten der ersten „Wissensarbeiter“ des Kaiserreichs: der Universitätsprofessoren.

Quelle

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Ich glaube nun aber, Sie wollen in Wirklichkeit von etwas anderem: von dem inneren Berufe zur Wissenschaft, hören. In der heutigen Zeit ist die innere Lage gegenüber dem Betrieb der Wissenschaft als Beruf bedingt zunächst dadurch, daß die Wissenschaft in ein Stadium der Spezialisierung eingetreten ist, wie es früher unbekannt war, und daß dies in alle Zukunft so bleiben wird. Nicht nur äußerlich, nein, gerade innerlich liegt die Sache so: daß der Einzelne das sichere Bewußtsein, etwas wirklich ganz Vollkommenes auf wissenschaftlichem Gebiet zu leisten, nur im Falle strengster Sozialisierung sich verschaffen kann. Alle Arbeiten, welche auf Nachbargebiete übergreifen, wie wir sie gelegentlich machen, wie gerade z. B., die Soziologen sie notwendig immer wieder machen müssen, sind mit dem resignierten Bewußtsein belastet: daß man allenfalls dem Fachmann nützliche Fragestellungen liefert, auf die dieser von seinen Fachgesichtspunkten aus nicht so leicht verfällt, daß aber die eigene Arbeit unvermeidlich höchst unvollkommen bleiben muß. Nur durch strenge Spezialisierung kann der wissenschaftliche Arbeiter tatsächlich das Vollgefühl, einmal und vielleicht nie wieder im Leben, sich zu eigen machen: hier habe ich etwas geleistet, was dauern wird. Eine wirklich endgültige und tüchtige Leistung ist heute stets: eine spezialistische Leistung. Und wer also nicht die Fähigkeit besitzt, sich einmal sozusagen Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung, daß das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er dies, gerade diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht, der bleibe der Wissenschaft nur ja fern. Niemals wird er in sich das durchmachen, was man das „Erlebnis“ der Wissenschaft nennen kann. Ohne diesen seltsamen, von jedem Draußenstehenden belächelten Rausch, diese Leidenschaft, dieses: „Jahrtausende mußten vergehen, ehe du ins Leben trätest, und andere Jahrtausende warten schweigend“: – darauf ob dir diese Konjektur gelingt, hat einer den Beruf zur Wissenschaft nicht und tue etwas anderes. Denn nichts ist für den Menschen als Menschen etwas wert, was er nicht mit Leidenschaft tun kann.

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Quelle: Max Weber, „Wissenschaft als Beruf“, in Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J. C. B. Mohr, 1922, S. 530–31.

Max Weber, „Wissenschaft als Beruf“ (1917), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-159> [23.10.2024].