Brief von Gottfried Wilhelm Leibniz an Daniel Ernst Jablonski über das Vorhaben eine Akademie in Berlin zu gründen (12. März 1700)

Kurzbeschreibung

1697 erfuhr Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), dass Sophie Charlotte von Hannover (1668–1705) in Berlin eine Sternwarte gründen wollte. Leibniz lehnte eine Beschränkung auf die Astronomie ab und hoffte stattdessen auf die Gründung einer Akademie, die sich den Naturwissenschaften allgemein widmen sollte. Im März 1698 bat die Fürstin den Hofkaplan Daniel Ernst Jablonski (1660–1741), mit Leibniz über das Projekt zu korrespondieren. In den folgenden zwei Jahren entwickelten die beiden Pläne für eine wissenschaftliche Akademie in Berlin, ähnlich wie in London und Paris. In diesem Brief an Jablonski skizziert Leibniz seine Überlegungen zur Realisierung einer solchen Akademie. Auch drängt er darauf, das Projekt nicht auf ein Observatorium zu beschränken. Er sprach sich für ein schrittweises Vorgehen aus, wollte aber von Anfang an die Medizin und die Mathematik einbeziehen. Außerdem wollte er einen Direktor und einen Sekretär benennen. Am Ende des Briefes spielt Leibniz auf eine große Gefahr für das Projekt an: den Großen Nordischen Krieg, der einen Monat zuvor, im Februar 1700, begonnen hatte.

Quelle

An Herrn Jablonski, Churbrand. Hofprediger.
Wolffenbüttel, den 12 Mart. 1700.

Hochwürdiger, insonders hochgeehrter Herr und werther Gönner,

Als ich M. H. Hrn. Hofpredigers werthes Schreiben samt Beylagen erhielt, war ich begriffen von Wolffenbüttel nach Hannover abzureisen; weilen ich aber wieder hieher zu eilen gezwungen worden, hat mich solches und anders verhindert, darauf zu antworten, so aber nunmehr thue, und wegen des Verschubs um Verzeihung bitte.

Aus dem Schreiben sehe ich überflüßig meines hochge[e]hrten Herrn Hofpredigers zelum vor die Ehre Gottes und das gemeine Beste, so wohl als dessen Gütigkeit gegen mich. Damit aber alles ordentlich beantworte, so ist mir zuförderst lieb, daß die vorgehabte Replic wieder vorgenommen wird. Denn eine gründliche Einstimmung ihrer Orts mit unsern unvorgreiflichen Gedancken kan uns in Stand setzen, auch die diesseitgen Schwürigkeiten bey andern zu überwinden.

Daß die vorgewesene Conferenz zurück gangen, kan nicht schaden, weil sie doch nur zum Praetext dienen können, aber meines hochgeehrten Herrn Reise wird hochnützlich seyn, von der ich mir ein grosses promittire. Mir ist erfreulich zu vernehmen, daß es sich in der Schweitz so wohl anlässet, als mein hochgeehrter Herr meldet, ich finde aber bey dessen Schreiben die Beylage nicht, darauf es sich dießfalls beziehet, wird beyzulegen in der Eil vergessen worden seyn.

Höre auch gern, daß mein Einfall wegen des Calenders ingress gefunden, und Gelegenheit gegeben, die ehmahligen Gedancken von einer Churfürstl. Societät, dadurch gründliche Wissenschaften und gemein nützliche Künste zu verbessern, wieder vorzunehmen. Und will ich meines wenigen Ortes gern alles beytragen, werde auch dabey meiner Gewohnheit nach mehr auf Ehre und Ruhm als meine Privat-Angelegenheiten sehen; doch ein und anders dabey in Betrachtung zu ziehen haben, welches aber keine Hinderung bringen wird. Das vornehmste aber, so vorietzo zu erinnern habe, ist dieses, daß man die Sache nicht hauptsächlich und allein auf das Observatorium richte, noch an die Proventus Calendarios binde, weilen solches nicht anständig genung scheinet. Ich hätte gern etwas mit der Zeit, davon ein realer Nutz und nicht blosse Curiositäten zu erwarten. Nun wird das Observatorium, wenn es auch noch so wohl eingerichtet wäre, daran doch Anfangs viel fehlen wird, lange Zeit wenig mercklichen Nutzen schaffen können, und viele Jahre darzu gehören, ehe man sich was rechtes davon wird versprechen dürffen, so weiter gehe, als was bisher in Franckreich, Engelland und anderswo bereits entdecket. Ist demnach solches zu consideriren als ein schön accessorium, und nicht als das principale, mithin wäre meines wenigen Ermessens das Project so fort anfangs zu extendiren, und auf etwas wichtigers und grössers mit zu richten; zu deren künftiger Execution mir einige Vorschläge beygefallen, welche neben dem Calender-Wesen die Nothdurfft darzu auf eine zulängliche Weise ex ipso publico bono dargeben würden. Derowegen stehe ich in den Gedancken: die Societät unter Churfürstl. Protection (denn so wollte ichs nach dem exemplo Regiae et Leopoldinae lieber nennen, als Academie) sollte aus einigen membris ordinariis nebst einem Directore mit vielen Honorariis bestehen, welche nicht nur die Astronomie, sondern totam Matheseos et Physices latitudinem zu dem hauptsächlichen Objecto hätten, sonderlich aber auf gemein-nützige Applicationes bedacht wären. Dazu würde gehören cura Astronomiae, Mechanicae, Architectonicae, Chymiae, Botanicae et Anatomicae, also neben dem Observatorio auch ein Laboratorium, samt allerhand Kunst-Wercken; zu geschweigen des übrigen physici apparatus, daran denn bey eines grossen Potentaten Hof nicht wohl ermangeln kan. Solte nun gleich anfangs die Sache nicht in dieser Extension zu exequiren seyn, so müste doch um der Reputation willen das Concept also gefasset werden, damit man sich vorsetze einen scopum dignum magnitudine et gloria fundatoris. Wenn ich aber füglich meine Gedancken der Feder vertrauen könnte, wegen Erhaltung eines zulänglichen fundi, bilde ich mir ein, mein hochgeehrter Herr würde es neben dem Herrn Requesten-Meister sehr approbiren, und nicht anstehen, so fort auf die Vollstreckung zu gedencken, zumahlen dadurch die grosse Absehen nach Moscau und China, zu Ausbreitung der Evangelischen Wahrheit, auch zu befördern. Sollte man aber ad plenam executionem so bald nicht kommen können, wäre inzwischen genung, nachdem das Werck wenigstens pro dignitate gefasset, die execution per gradus zu veranstalten, und zuförderst von dem Observatorio und re Calendaria anzufangen, weilen bey diesen beyden periculum in mora. Denn wenn sie jetzo nicht getrieben werden, sie gar unterbleiben möchten. Doch, wenn es möglich, wäre guth, da gleich anfangs neben dem Astronomo oder Observatore ein Physicus und ein Mathematicus in re architectonica et Mechanica probe versatus bestellet würden, des Directoris et Secretarii zu geschweigen.

Gott gebe nur, daß unsere gute Gedancken, in dieser so wohl, als in der andern grossen Sache, durch einen neuen Sturm-Wind aus Norden nicht verrücket werden. Denn nachdem Dännemarck und in effectu Pohlen in Liefland mit Schweden gebrochen, man auch aus Holstein nunmehr ein gleichmäßiges besorget, in Sachsen gleichsam einen fecialem geschickt, und also ein schwehrer Krieg entstehen könnte, so dürfften die Protestirenden sich vollends aufreiben, und ihren Feinden ein gladiatorium spectaculum geben, wenn Churfürstl. Durchl. von Brandenburg nicht ins Mittel treten. Alles kommt auf selbige an, sie sind arbiter belli et pacis, und ihre hohe Weisheit wird sie und ihre vortreffliche Ministros überlegen machen, was vor grosse Dinge zu gutem und bösem daraus entstehen könnten, um den rechten Ausschlag zu geben. Es geschehe aber was da wolle, so haben wenigstens Churfürstl. Durchl. vor ihre Lande nichts zu besorgen, und können also unsere Concepte, doch vielleicht, wo nicht so bald den völligen, doch einigen Fortgang haben. Mein hochgeehrter Herr Hof-Prediger als gegenwärtig, wird von allem bestens, insonderheit auch vor fortgehender Reise nach Preussen, urtheilen können. Sollte das vorhabende Project de societate mir mit communiciret werden, würde ich gern das meinige beytragen. Ich hätte bald der überschickten Beylagen vergessen, dafür mich dienstlich bedancke, die Confessionem Polonicam finde sehr schön, und wird gut seyn, sich zu erkundigen, von wem und bey was Umständen sie abgefasset worden. Herr D. Mayer unterrichtet nicht übel, und wirft die Sache nicht weit. Aber was mein hochgeehrter Herr ihm weiter darauf schreibt, ist das rechte Mittel von Complimenten zu Realitäten zu kommen. Ich glaube so wohl als mein hochgeehrter Herr, daß Herr Breithaupt es nicht übel gemeynet, ja man kan einen Nutzen aus dessen seinem Versehen nehmen, nehmlich diesen, daß man durch ein lebendiges Exempel siehet, wie es in primitiva Ecclesia zugangen, daß man erstlich es mit der compellatione sanctorum so wie hernach nicht gemeynet, biß man endlich auf einen so schlüpfrigen Weg in die Superstition verfallen. Ich verbleibe etc.

Quelle: Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, herausgegeben von der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften Göttingen. Erste Reihe: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, 18. Band. Berlin: Akademie Verlag, 2005, S. 447–50.

Leonhard Stroux, „Die Gründung der Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften durch Gottfried Wilhelm Leibniz und Daniel Ernst Jablonski“, in Joachim Baalcke und Werner Korthaase, Hrsg., Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Berlin: Harrassowitz Verlag, 2008, S. 409–34.

Brief von Gottfried Wilhelm Leibniz an Daniel Ernst Jablonski über das Vorhaben eine Akademie in Berlin zu gründen (12. März 1700), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-175> [24.10.2024].