Aus der Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch (1693/1706)

Kurzbeschreibung

Der Astronom und Kalendermacher Gottfried Kirch (1639–1710) erwähnt in seiner Korrespondenz seine zweite Frau Maria Margaretha Kirch (geb. Winckelmann, später „Kirchin“, 1670–1720) als „Gehülfin“ (auch seine Kinder) bei astronomischen Beobachtungen. Maria Margaretha wurde schon in ihrer frühen Jugend von ihrem Vater Christoph Arnold (1650–1695), einem evangelischen Theologen und Astronomen, der als Landwirt in der Nähe von Leipzig arbeitete, ausgebildet. Durch Arnold lernte Maria Margaretha Gottfried Kirch kennen, den sie 1692 heiratete. In den folgenden Jahren arbeitete das Paar gemeinsam an astronomischen Beobachtungen, Ephemeriden und Kalendern für Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657–1713). Im Jahr 1700 wurde Gottfried Kirch zum ersten königlichen Astronomen in Berlin ernannt. Maria Margaretha arbeitete als Assistentin ihres Mannes in der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Frauen waren nicht als offizielle Mitglieder der Akademie zugelassen). Sie machte auch unabhängige astronomische Beobachtungen, und im April 1702 entdeckte sie den Kometen C/1702 H1.

Quelle

An Adam Adamandus Kochanski
Guben, 27. Juni / 7. Juli 1694

Guben, 28. Juni 1694

Dancksagung vor das gute Anerbieten.

Der neue im Serpentario noch so klein, wie im Herbst 1693.

1693 Ephem. ist nicht gedruckt, nur Planeten Auff- und Untergang habe ihn aber nicht schicken wollen, weil doch die Zeit vorbey.

Wo Sie unter deßen den Neubarthischen Kalender 1694 noch nicht von Breßlau bekommen haben, will ich mein Exemplar schicken, oder nur die Beschreibung des Micrometri abschreiben laßen, damit die Post nicht zuhoch komme.

Die neulichste Sonnenfinsterniß, am 22 Jun. Dienstags, welche (laut Rechnung) nicht hier her gelangen solte, haben wir doch allhier gesehen, wie wol sehr klein. Um 5 Uhr 30 Min. war die ʘe noch gantz rein. Um 5 Uhr 41 Min. aber sahen wir schon ein fein Stückchen verfinstert, als die Sonne hinter einer Wolcken herfür kam. Um 6 Uhr 12 Min. war die Finsterniß noch zu spüren, um 6 Uhr 13 Min. aber war die ʘe wieder gantz rein. Also haben wir sie von erster Erscheinung an biß zu Ende gewiß gesehen 31 Min. Und weil doch schon ein fein deutlich Stücklein vom Mond in der Sonnen war, als wir die Finsterniß zum ersten mahl sahen, so kan sie leicht 1/2 viertel Stunde schon zuvor sich angefangen haben. Jedoch weiß mans nicht genau. Und wann wir auch gleich helle Wetter zum Anfange gehabt hätten, so ist doch bekandt, daß es bey solchen kleinen Finsternißen sich lange schleppet, ehe man des gantz genauen Anfanges versichert ist. Von der Größe kan ich nichts gewißes sagen, weil der Ort allwo ich observirte, und das unbeständige Wetter, nicht zulaßen wolten, das Micrometrum zugebrauchen. Jedoch deuchtete mich, daß sie kein Zoll erreichte. Künftig (geb’s Gott) kann die Größe durch Hülffe des geschätzten Anfanges, und des genau observirten Endes, ziemlich nahe gerechnet werden.

Damit nun die Zeit corrigiret werden könne, nahm ich, nach geendigter Finsterniß, folgende Altitudiens Solis:

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Hoch Ehrwürdiger, Hochgelahrter || Insonders Hochgeehrtester Herr, und sehr großer || Gönner und Förderer!

Die sonderbare hohe Gewogenheit, welche E. Hoch Ehrw. zu meiner Wenigkeit tragen, und vielfältig bezeugen, sonderlich auch in Dero letzten an mich abgelaßenen Schreiben vom 20 May, welches ich am 3 Junii empfangen, kan ich nicht gnugsam verdancken. Der Höchste laße E. Hoch Ehrw. Anschläge, zu Auffnehm- und Beförderung der Sternkunst, wolgerathen, und erfreue auch mich, Ihren Diener, mit deme, was Sie hoffen mir zu guthe auszuwircken. Bescheret Gott eine Hülffe, also, daß ich nicht auff andere Weise vor Nahrung vor mich und die Meinigen sorgen darff, so hoffe ich, mit Gottes Hülffe, der Welt mit meinem von Gott bescherten Pfündlein schon also zu dienen, daß man ein Gnügen dran haben wird. Und so auch etwas Guts in Astronomicis, durch meine Wenigkeit, erfunden oder zu Wege gebracht werden wird; so wird es die Welt, nächst Gott, niemand anders zuzuschreiben haben, als E. Hoch Ehrw. meinem hochgeehrtesten Herren und Förderer solcher Künste. Angesehen doch ich, in deme mir die Mittel mangeln, von mir selbst nichts haubtsächliches thun kan.

Ich bin auch erböthig, der Regirung und Führung E. Hoch Ehrw. willig und gern zu folgen, wie und was Sie anordnen werden, so weit sich meine Kräffte erstrecken. Der neue Stern im Serpentario will noch nicht wachsen. Die Ephemeride 1693 ist nicht gedruckt, sondern nur die Auff- und Untergänge derer Planeten, ich habe sie aber, un nöthiges Post-Geld zu ersparen, nicht mit schicken mögen, weil doch die Zeit vorbey ist. Den Neubarthischen Kalender werden Sie unterdeßen, hoffe ich, von Breßlau wol bekommen haben, wo es nicht geschehen, so will ich die Beschreibung des Micrometri schon abschreiben laßen, und E. Hoch Ehrw. schicken.

Ich hätte zwar wol eher wieder geschrieben, aber ich wartete erstlich auff die kleine Sonnenfinsterniß, und endlich auch auff die Mondfinsterniß. Was wir nun allhier observiret haben, ist inliegend zu sehen, welches meine Ehefrau (die E. Hoch Ehrw. ihren Ehrendienstlichen Gruß hier mit vermeldet) ab geschrieben hat. Sie hat große Lust zur Sternkunst, und ist mir, wie sonsten, also auch hierinnen eine gute Gehülffinn. Der Herr laße alles wol gerathen, und erhalte E. HochEhrw. noch lange Zeit bey guter Gesundheit! Ich verbleibe iederzeit

E. Hoch Ehrw. || Dienstwilligster || Gottfried Kirch.
Guben, den || 7. Jul. 1694.

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An Johann Philipp Wurzelbaur
Berlin, 1. Dezember 1706

Hoch Edler || Insonders hochgeehrtester Herr, großer || Gönner.

Nach dem Der Herr Hoff-Rath und Archivarius Chuno, mein großer Patron, nach Hause kommen, habe ich mich zwar als bald, wegen MhhĮ. Sachen bey Demselben erkundiget, Er aber wuste nichts davon, versprach doch gleichwohl deswegen bey Hofe nach zu fragen. Nun war ich vor etlichen Tagen abermahl bey Ihm, und zwar im Archiv, da zeigete Er mir MhhĮ. Observation, so wol geschrieben als gedruckt, welche Ihm vom Hofe ins Archiv geschicket worden, daher zu sehen, daß S. KönigĮ. Majestät sie empfangen und gesehen haben. Hochgedachter Herr Hoff-Rath, vermeinete auch, es würde die Antwort deswegen schon erfolget seyn: Solte es sich aber anders befinden, so könte MhhĮ. nur bey dem Herrn Baron von Reichenbach nach fragen, und Ihn bitten, daß Er bey Hofe um Antwort anhalten möchte. Sonsten kann ich nichts erfahren, daß etwas deswegen an die Königliche Societät gekommen wäre. Meines Hochgeehrten Herrn geliebtes Schreiben aber, vom 24. Julii, noch lauffenden Jahres, nebenst einem Exemplar gedachter sehr fleißig gehaltenen Sonnenfinsterniß, habe ich am 10. Aug. richtig erhalten, wie ich auch solches in einem Schreiben an MhhĮ. vom 12 Octobr. berichtet, worvor ich mich nochmals auffs fleißigste bedancke. Es hatte auch solche Observation der HĮ. Secretarius etliche Tage bey sich gehabt, auch habe ich sie so wol Hochgedachten HĮ. Hoff-Rath und etlichen andern Herren zugeschickt, oder selbst bracht, da sie denn sehr angenehm gewesen. Vor itzt schicke MhhĮ. ich meine schlecht gehaltene Observation der neulichsten Mondfinsterniß inliegend: wolte wüntschen, daß ich Sie mit guten Instrumenten hätte verrichten sollen. Aber es hat noch nichts angeschaffet werden können, weil das Observatorium inwendig noch nicht ausgebauet ist, da man solche Sachen hinsetzen, und verwahrlich halten könte. Habe derowegen in meiner Wohnung observiret, so gut ich gekont. Denn ob ich gleich sonst schlechte Bequemlichkeit hatte, so war ich doch allein. Ich observirte auff einem Boden, über meiner Studir-Stube durch einen Tubum von 10 Schuhen mit meinem Micrometro: Meine Ehe-Frau schrieb als bald die Partes Micrometri auff eine Tafel, und mein kleiner Sohn Christfried von 12 Jahren, notirte, nach einem gegebenen Zeichen, unten in der Stuben, da die Perpendicul-Uhr hing, die Zeit in Minuten und Secunden. Hoffe doch es soll noch gut genug getroffen seyn. Was Herr Hoffmann (welcher mit guten Instrumenten, vom Herrn von Crosieck versehen ist) auff Desselben Observatorio observiret hat, weiß ich nicht, weil ich seine Observationes noch nicht zu sehen bekommen, werde sie auch wol nicht eher zu sehen kriegen, biß sie gedruckt seyn. Wolte sie sonst gern mit geschicket haben.

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Quelle: Gottfried Kirch, Die Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch: (16391710); in drei Bänden, herausgegeben und bearbeitet von Klaus-Dieter Herbst. Jena: IKS Garamond, 2006, S. 190–94, 496–98. Wiedergabe auf dieser Website mit freudlicher Genehmigung von Format Verlagsgruppe Gera.

Jürgen Hamel, Hrsg., Gottfried Kirch (1639–1710) und die Berliner Astronomie im 18. Jahrhundert: Beiträge des Kolloquiums am 6. März 2010 in Berlin-Treptow. Frankfurt am Main: Deutsch, 2010.

Dorothy O. Helly und Susan Reverby, Gendered Domains: Rethinking Public and Private in Women's History: Essays from the Seventh Berkshire Conference on the History of Women. Ithaca, NY: Cornell University Press, 1992.

Klaus-Dieter Herbst, „Wer half dem Astronomen Gottfried Kirch?“, in Klaus Hentschel, Hrsg., Unsichtbare Hände: zur Rolle von Laborassistenten, Mechanikern, Zeichnern u. a. Amanuenses in der physikalischen Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Diepholz: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaft und der Technik, 2008, S. 52–68.

Monika Mommertz, „Schattenökonomie der Wissenschaft. Geschlechterordnung und Arbeitssysteme in der Astronomie der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert“, in Theresa Wobbe, Hrsg., Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700–2000. Berlin: Akademie Verlag, 2002, S. 31–63.

Londa Schiebinger, The Mind Has No Sex?: Women in the Origins of Modern Science. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1989, S. 21–38.

Aus der Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch (1693/1706), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-177> [05.12.2024].