Adam Olearius, Die Gottorffische Kunst-Kammer (1674)
Kurzbeschreibung
Adam Olearius (1599–1671) war ein deutscher Gelehrter, Mathematiker, Geograf und Bibliothekar. Im Jahr 1639 wurde er Mathematiker am Hof Friedrichs III., Herzog von Holstein-Gottorp (1597–1659). Später wurde Olearius Kurator des Kuriositätenkabinetts des Herzogs. Im Vorwort seines Buches über die Gottorffische Kunst-Kammer beschreibt Olearius die zentralen Aufgaben der Wunderkammer: das Studium von Gottes Schöpfung, der Natur, der Antike und fremder Kulturen. Die Wunderkammer, so erklärt er, bietet die Möglichkeit, Objekte aus den vier Teilen der Erde an einem Ort zu studieren. Olearius nutzt das Buch zudem, um die Herrschaft seines Gönners zu loben.
Quelle
Guͤnstiger lieber Leser.
Wenn ein kluger Vater oder fleissiger Præceptor seinen Kindern und Schuͤlern etwas in Wissenschaft beybringen und sie lehren wil, thut ers nicht nur mit dem Munde, sondern auch mit der Feder, schreibet und mahlet ihnen vor allerhand Figuren und Abbildunge, und wil durch das Kleine was Grosses andeuten und zu verstehen geben. So thut ein Mathematicus und Geometra. Ein Astronomus zeiget auff einem kleinen Hand Globo Cœlefti die Beschaffenheit des grossen Himmels mit allen seinen sichtbaren Coͤrpern, da ein Punct einen grossen Stern bedeutet. Imgleichen auch ein Geographus bildet auff einer kleinen Erdkugel oder Globo terrestri ab den gantzen Kreiß der Erden, mit allen Landschafften, Seen und Stroͤmen, da auch ein Punct eine Stadt, eine Linie einen Strom, und ein Platz eines Daumens breit eine gantze breite See abbilden muß.
Eben auff solche Art handelt unser allgemeiner Vater im Himmel und klugester Lehrmeister GOtt der HErr mit uns seinen Kindern und Schuͤlern. Dann er uns neben seinem geoffenbarten Worte das grosse Wunderbuch die Welt mit den zwey grossen Blaͤttern nemlich Himmel und Erden vorgeschrieben, daß wir darinne studiren, und dadurch etwas groͤssers erkennen lernen sollen, nemblich, Ihn den Schoͤpffer selbst, seine Majestaͤt und Allmacht. Und ist nicht ohne, wenn man den schoͤnen Wunderbau des Himmels nicht nur mit leiblichen, sondern auch mit gesunden Vernunffts-Augen anschauen und betrachten wil, hilff GOtt, was fuͤr Wunder werden uns da vorkommen. Die Sterne, die wir von uns etliche tausend Meilen erhoͤhet, als kleine Lichter erblicken, seynd jeglicher groͤsser als der Erdboden, woruͤber, wenn wir ihnen nahe kommen solten, unsere Vernunft erstarren, und unsere Augen verblenden wuͤrden. Und gehen alle in ihrer gewissen Ordnung, daß man hierunten ihren Lauff ablernen, der Planeten Zusammenkuͤnffte, Entgegensetzunge und Finsternisse zuvor, ehe sie geschehen, beschreiben, und also wie die Einwohner des Himmels auff gewisse Maaß kuͤnfftige Dinge wissen koͤnnen. Wenn man nun solches sihet und bedencket, kan es nicht fehlen, man muß daraus schliessen, daß der HERR, so dieses gemachet, viel herrlicher ja ein uͤberaus Majestaͤtischer Gott seyn muͤsse.
Diß ist was wir uͤber unserm Haͤupte in regione Æterea schweben sehen. Wenden wir unsere Augen ad regionem Elementarem, in der wir wandeln, und theils mit Fuͤssen betreten, so finden wir daselbst der Wunder so viel, daß sie nicht alle zu erzehlen und zu beschreiben seynd. Wie mancherley Vogel in der Lufft, da immer einer schoͤner als der ander bekleidet und gezieret? Wie vielerley Arten Fische im Meer und fliessenden Wassern, wie vielerley Thiere auff Erden, was für koͤstliche Dinge finden wir im Schooß der Erden? Wenn man durch die tria regna, animalium, vegetabilium & mineralium gehen wil, was fuͤr Wunder trifft man da nicht an? Und zwar an unterschiedlichen Orten der Welt, da die Natur an einem Orte immer herrlicher, reicher und kuͤnstlicher sich erzeiget als am andern, darvon die Historienschreiber, Naturkuͤndiger und Chymici zu sagen wissen. Daß man billich mit David ausrufen mag. O Domine Dominus noster, quam admirabile est nomen tuum in universa terra? HERR unser Herrscher, wie herrlich ist dein Nahm in allen Landen? Und abermahl: HERR, wie sind deine Werck so groß und viel, du hast sie alle weißlich geordnet, und die Erde ist voll deiner Guͤte. Wer ihr achtet, hat eitel Lust daran.
Worbey zu wuͤnschen waͤre, daß alle Menschen, umb derer willen alles erschaffen, lust haͤtten solche herrliche Wercke Gottes in gebuͤhrlichen Augenschein zu nehmen, und den Sachen weiter nachzusinnen, so wuͤrde GOTT sein intent erreichen, und als der mildreiche Schoͤpffer geliebet und gelobet werden. Darzu vermahnet auch Paulus.
Aber es verhaͤlt sich mit uns, wie mit den Knaben in der Schule, etliche seynd faul und schlaͤfferig, etliche haben zwar das Buch in der Hand, sehen aber uͤberhin, etliche stecken das Buch unter die Banck, gaffen auff andere Sachen, und nehmen frembde Gauckeleien vor, etliche aber, so gute ingenia und Lust was zu lernen haben, lassen es ihnen, worauff sie gewiesen werden, angelegen seyn. So gehet es auch in der grossen Welt-Schule. Etliche haben wenig Lust, das Welt-Buch nachsinnlich anzuschauen, und GOTT aus seinen Wercken erkennen zu lernen; Etliche gaffen nach andern verbotenen Dingen, und suchen, wie sie die weisse und rothe Erde, worauff nicht die Natur, sondern der Muͤntzer Figuren gepraͤget, unter ihre Haͤnde und in Kasten bekommen, es geschehe mit Recht oder Unrecht. Etliche aber, derer Natur und Verstand sich auff etwas hoͤhers erstrecket, haben ihre meiste Beliebung und Ergetzung, nehest Beobachtung der Gottesfurcht, ihr Gemuͤthe mit herrlichen Wissenschafften der natuͤrlichen und ungemeinen Dingen zu zieren, und so viel in dieser Sterblichkeit zugelassen wird, vollkommen zu machen. Hierzu gehoͤret auch die Historische Wissenschaft der Antiquitaͤten, daß man weiß was bey den Alten, so laͤngst vor unsern Zeiten gelebet, passiret und im Gebrauch gewesen: item, was kuͤnstliche und frembde Haͤnde bereitet. Gibt auch durch Anschauung solcher Sachen nicht schlechte Ergetzung. Solche herrliche Ingenia werden bißweilen auch getrieben, zu erforschen, was in frembden weit abgelegenen Landen anzutreffen. Daher begibt sich mancher mit grossen Unkosten auff gefaͤhrliche Reysen, muß auch offt gleich wie Plinius bey Erforschung des Vesuvii sein Leben einbuͤssen.
Solchen Liebhabern aber kan gutes theils geholffen werden, wenn sie an gewisse Oerter kommen, da man solche herrliche, rare, wunderbare und frembde Sachen in den Cabinetten, Musæis und Kunst-Kammern zusammen getragen, findet, da man ohne Gefahr solche Dinge in Augenschein bekommen kan, die man sonst ausser dem auff weiten Reysen unmuͤglich alle antreffen wird. Und thun Potentaten, und andere, so des Vermuͤgens seynd, wol und loblich daran, daß sie zu Erforschung der Natur, und Befoderung der Wissenschafften von denselbigen, keine Unkosten sparen. Ein solcher freygebiger Herr ist in diesem fall gewesen Alexander Magnus, welcher dem Aristoteles 800. Talenta, (seynd bey fuͤnff Tonnen Goldes) gegeben, umb nur die Naturen der Thiere zu erforschen und zu beschreiben. Noch besser thun die, so solche denck- und besichtigungs-wuͤrdige Sachen in ein Corpus zusammen tragen, wenn sie Gelegenheit darzu haben, Kunst- und Raritaͤten-Kammern anordnen, und selbige nicht nur zu ihrer eigen Wissenschafft und Belustigung, sondern auch andere Liebhabere durch Anschauen derselben geniessen lassen, Wie solches an seinem Orte hoͤchstloͤblich gethan der weyland Durchleuchtigste Fuͤrst und Herr Hertzog Friedrich zu Schleßwig Holstein, rc. so diese Kunst-Kammer, neben einem Antiquario, grossem zwiefachen Globo und Sphæra Copernicana, so herrliche Opera thaumaturgica bey der Residentz Gottorff angerichtet. Die Kunst-Kammer betreffend, hat dieselbige ihren Anfang von der weitberuͤhmten Enckhusischen Kunst-Kammer, welche Paludanus der weyland fuͤrtreffliche Medicus in Ægypten und andern Australischen, wie auch Oriental und Occidentalischen Ortern, die er meist selbst besuchet, zusammen gesamlet, und in ein ansehentlich Corpus gebracht. Von Paludani Erben aber hat sie hoͤchstermelter Fuͤrst erkaufft, und Anno 1651. durch mich aus Holland in Holstein bringen und auff der Residentz Gottorff auffrichten lassen, woselbst sie nachgehends von Jahren zu Jahren mit allerhand raren auch preciosen kostbaren Sachen vermehret. Und wird itzo neben der kostbaren Bibliothec von dero Herrn Sohn Ihr: Fuͤrstl. Durchl. CHRISTIAN ALBRECHT, meinem gnaͤdigsten Herrn wol unterhalten.
Sonst seynd auch jetziger Zeit in den benachbarten Koͤnigreiche und Landen zweene fuͤrtreffliche Potentaten von grossen Wissenschafften, und sonderliche Liebhabere derer Dinge, so die Natur ungemein und kuͤnstliche Haͤnde bereitet, nemlich Ihre Maj. Koͤnig Friedrich III. zu Dennemarck Norwegen, und Ihre Churfuͤrstl. Durchl. Friedrich Wilhelm zu Brandenburg, so beyde unsere Gottorffische Kunst-Kammer durchzusehen gewuͤrdiget, nicht ohne ihre sonderliche Ergetzung, auch theils selbst etliche notable Stuͤcken, so die Natur auch Kunst außgearbeitet, hinein verehret. Und haben Ihr Koͤn. Maj. nach der Zeit selbst eine Kunst- und Rariteten-Kammer zu Copenhagen angeordnet, so noch taͤglich vermehret wird. Es haben Ihre Churfuͤrstl. Durchl. auch viele rare und alte Monumenta beysammen gehabt, seynd aber vor zwey Jahren durch die leidige Fewersbrunst meist darumb gekommen, welches zu beklagen ist.
Gleich wie es nun denen, so solche Kunst-Kammern besuchen, sonderliche Lust giebet, in dem sie gleichsam in einem wol angerichteten Lust- und Baumgarten von einer Blume, Gewaͤchsen und Fruͤchten zu den andern gehen, und ihre Augen weiden koͤnnen; also ist auch denen, so das Gluͤck nicht haben dahin zu gelangen, keine geringe Ergetzung, wenn sie die frembden Sachen mit Figuren abgezeichnet sehen und beschrieben lesen koͤnnen. Sonderlich ist es eine angenehme Sache fuͤr die, so ihr durch wichtige Geschaͤffte bemuͤhetes Gemuͤthe mit etwas Frembdes zu lesen ergetzen wollen, oder die jenige, so ihre langwierige muͤssige Zeit zu vertreiben nicht wissen. Dann da ist die Vielheit und Abwechselunge der frembden und ungemeinen Sachen, daß man immer von einem auff das ander kommen kan. Und weil es dann heisset: Varietas delectat, in der Veraͤnderung ist Belustigung, kan es ohne Ergetzung nicht abgehen. Wil derwegen hoffen, daß dem guͤnstigen Leser ich mit Beschreibung dieser Gottorffischen Kunst-Kammer (welche wegen der vielen raren auch pretiosen Sachen billich eine Schatz-Kammer zu nennen) einen gefaͤlligen Dienst werde erzeiget haben.
Ich haͤtte zwar eins und ander weitlaͤufftiger außfuͤhren koͤnnen, wenn nicht dieses nur als ein Compendium oder Prodromus der gaͤntzlichen Kunst-Kammer seyn sollen. Daher ich auch nur, was theils ich selbst aus den Orientalischen Ortern mitgebracht, theils bey andern angezogenen Autoren befindlich, Summarischer Weise eingefuͤhret. Das uͤbrige versparend, biß Gott die Feder ferner anzusetzen Gelegenheit verleihen wird, da dann auch die Beschreibung des zwiefachen grossen Globi, Spæhræ Copernicanæ und Antiquarii, in welchem viel alte frembde und bey außlaͤndischen Nationen uͤbliche guͤldene, silberne und kuͤpfferne Muͤntze und andere Sachen, so an stat der Muͤntze gebraucht werden, zu finden erfolgen sollen. Gehab dich wol.
Adam Olearius.
Quelle: „Vorrede“, in Adam Olearius. Gottorffische Kunst-Kammer, Worinnen allerhand ungemeine Sachen, So theils die Natur, theils künstliche Hände hervorgebracht und bereitet. Vor diesem aus allen vier Theilen der Welt zusammen getragen, und vor einigen Jahren beschrieben, auch mit behörigen Kupffern gezieret durch Adam Olearium, Weil. Bibliothecarium und Antiquarium auff der Fürstl. Residentz Gottorff. Anjetzo aber übersehen, und zum andern mal gedruckt, auff Gottfriedt Schultzens Kosten. 1674 In dessen Buchladen in Schleßwig solche zu finden ist. Online verfügbar unter: https://www.biodiversitylibrary.org/page/52957510
Weiterführende Inhalte
Kirsten Baumann, Constanze Köster und Uta Kuhl, Hrsg., Adam Olearius. Neugier als Methode. Tagungsband zur internationalen Tagung „Der Gottorfer Hofgelehrte Adam Olearius. Neugier als Methode?.“ Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2017.
Andreas Grote, Hrsg., Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10). Opladen: Leske + Budrich, 1994.
The Origins of Museums: The Cabinet of Curiosities in Sixteenth- and Seventeenth-Century Europe, herausgegeben von Oliver Impey und Arthur MacGregor. Oxford: Clarendon Press, 2001.