J. G. Büsch, „Abhandlung über die verfallene Haushaltung der meisten Gelehrten unserer Zeit“ (1774)
Kurzbeschreibung
Johann Georg Büsch (1728–1800), ein Ökonom und Professor für Mathematik am Hamburger Gymnasium, beklagt die bedauerliche Tendenz der Gelehrten, sich zu verschulden. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Gelehrte und Professoren nun ein geselliges Leben führten (während sie früher von der Gesellschaft – auch von Freunden und Familie – isoliert waren). Die Verschuldung der Gelehrten und Professoren, so Büsch, sei vor allem auf die allgemeine Inflation, die hohen Studienpreise und vor allem auf den erwarteten luxuriösen Lebensstil der Professoren zurückzuführen. So dauerte es nicht lange, bis sich junge Akademiker in einem Teufelskreis aus Konsum, Luxus und Verschuldung befanden. Büsch drängt die Akademiker, Geld zu sparen und auf einen luxuriösen Lebensstil zu verzichten. Hier unterschied er sich von jenen, die im Zeitalter der Aufklärung eine größere Geselligkeit unter den Hochschullehrern und Wissenschaftlern forderten.
Quelle
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Sollte ich zu viel sagen, wenn ich behaupte, daß die gewoͤhnliche Lebensart der Gelehrten sie mehr als jeden andern Stand zum Schuldenmachen verleite, und der scheinbare Aufwand, den sie machen, dem Umlauf des Geldes mehr schaͤdlich als nützlich sey? Ich will denen, die meine Behauptung als uͤbereilt ansehen moͤchten, Gruͤnde anfuͤhren, welche dieselbe theils bestaͤtigen, theils meine Meynung deutlicher erklaͤren werden.
Ich rede hauptsaͤchlich von solchen, die nicht als bloße Namensgelehrte studiren, um mit einer gewissen Würde das Erbtheil ihrer Vaͤter oder das Heyrathsgut ihrer Frauen zu verzehren, sondern von solchen, die in Hoffnung aufs kuͤnftige Brodterwerben sich den Wissenschaften widmen, bis sie dasselbe durch Geschaͤffte, die sich nur für Gelehrte schicken, mit freyem Verdienst, oder in Civil- und geistlichen Bedienungen genießen. Nun ist es unstreitig, [daß:]
[…]
II. Ehemals machten die Gelehrten einen durch Lebensart und Sitten sich merklich unterscheidenden Theil der buͤrgerlichen Gesellschaft aus, und lebten groͤßtentheils nach ihrer eignen Weise, außer einer genauen Verbindung mit ihren ungelehrten Mitbuͤrgern. Sie hatten ihre Studierstube lieber, als ein Paradies. Hier ließen sie nur durch Schubfenster mit sich sprechen. Hier ließ sich ein Vieta, wenn er in einer algebraischen Entzuͤckung saß, mehrere Tage durch, wie Thuanus von ihm erzaͤhlt, das Essen hinschieben und wieder wegziehen, ohne sich nach dem Menschen, der es that, umzusehen. Und dieser Mann lebte in Paris, dem Hofe nicht unbekannt, zu mancherley Geschaͤfften gebraucht, und folglich in genauem Bande mit der großen Welt. Ein Budaͤus konnte es seiner Frau Lebenslang nicht vergessen, daß er an dem Tage seiner Hochzeit mit ihr, nur vier Stunden haͤtte studiren koͤnnen. Wie angst moͤchte dem Manne geworden seyn, wenn man ihm haͤtte zumuthen wollen, nur Eine Stunde taͤglich im gesellschaftlichen Umgange zu verlieren. Kurz sie waren theils fleißiger, und wollten des gesellschaftlichen Umganges nicht, theils minder ankoͤmmlich, oder es gab mehr Pedanten unter ihnen; und so wollte man ihrer nicht. Jetzt aber sind wir ganz anders Sinnes in diesem Stuͤcke geworden. Wir haben das Amtsgesicht, die hochgelahrte oder hochehrwuͤrdige Mine zu sehr aufgegeben, mit welcher sich sonst der Gelehrte bey seinen Umgangsfreunden als den Mann ankuͤndigte, der nun erschien, um zu belehren, keinesweges aber um zur Aufheiterung der Gesellschaft das geringste beyzutragen. Wir finden nicht nur an den Freuden des geselligen Lebens mit unsers gleichen mehr Geschmack, sondern wir draͤngen uns auch zum Theil ehrsuͤchtig an die Großen der Welt an. Mancher unter uns findet seinen Himmel auf Erden in der Erlaubniß, sich ihnen von Zeit zu Zeit naͤhern zu duͤrfen, und schafft sich bloß zu diesem Zweck eine Garderobe an, wenn sein gutes Weib Muͤhe hat, ein bischen Kleidung fuͤr sich und ihre Kinder auf Credit zu finden. Dies alles verwickelt uns in einen oft sehr kostbaren Umgang des gesellschaftlichen Lebens mehr, als es zu unsrer Vaͤter Zeiten fuͤr den Gelehrten Sitte war. Zu geschweigen, daß der Gelehrte durch den jetzigen Ton des akademischen Lebens, von welchem ich bald mehr sagen werde, zum geselligsten Geschoͤpfe unter der Sonne gemacht wird, und sich fruͤhe verwoͤhnt, seinen Hang zur Geselligkeit auf Unkosten seiner nothwendigsten Beduͤrfnisse zu befriedigen. Wird er nachhero befoͤrdert, so findet er bey seiner ersten Einrichtung alle die Zuruͤstungen des Wohllebens, die er bey seinen Umgangsfreunden kennen gelernt hat, eben so noͤthig für sich, als diese es thun, nimmt die Einladungen derer, mit welchen ihn Freundschaft und Geschaͤffte verbinden, gerne an. Aber die Zeiten sind vorbey, da der Gelehrte als von Amtswegen in Gesellschaften erschien, und da man noch dem Doctor der Rechte ein Goldstuͤck unter den Teller legte, wenn er eine Hochzeit mit seiner Gegenwart beehrte. Wir muͤssen uns jetzt auf Gegenbewirthung einlassen, wenn wir unter Menschen mit Menschen leben wollen. Wir muͤssen so gut Ehrengaben, als andre geben, wenn unser Freund Hochzeit macht, oder eines andern Frau ins Kindbett koͤmmt. Ob dies nicht unsre Schuld sey, daß wir von unsrer Hoͤhe zu sehr herabgelassen, und den Vorrechten eines Gelehrten aus voreiligem Hange zur Geselligkeit unbedachtsam entsagt haben, weiß ich nicht. Genug, es ist in vielen Stuͤcken anders geworden, als es zu unsrer Vaͤter Zeiten war, und die Kosten des geselligen Lebens kommen uns mehr, als ihnen, zur Last, ohne daß unsre Einnahme sich in gleichem Maaße vermehrt haͤtte.
III. Die Vorbereitungsjahre kosten den meisten Gelehrten mehr als die zweckmaͤßige Vorbereitung zu den Geschaͤfften andrer Staͤnde des buͤrgerlichen Lebens. Von dem Soldaten rede ich nicht, der schon unter der Muskete verdient. Den Handwerker werde ich nicht mit dem Gelehrten vergleichen duͤrfen. Aber der Handwerksjunge ißt doch schon sein Brodt auf Kosten seines Lehrherrn. Ein junger Mensch, der mit der Feder sein Gluͤck zu machen sucht, bringt es bald so weit, daß er Kost und Kleidung verdienen kann. Wenigstens wird sein Vater nie auf lange und kostbare Lehrjahre rechnen duͤrfen. Die groͤßre Zahl derjenigen, die sich dem Kaufmannsstande widmen, fallen ihren Vaͤtern nach dem zwanzigsten oder zwey und zwanzigsten Jahre nicht mehr zur Last. Und wenn auch ein bemittelter Vater noch so viel an seinen zur Kaufmannschaft bestimmten Sohn wendet, wenn er ihn sogar auf der von vielen für so theuer ausgeschrieenen Hamburgischen Handlungsakademie zwey oder drey Jahre lang unterhaͤlt, was ist dies alles gegen diejenigen Kosten, die ein zum Studiren bestimmter Juͤngling in der gewoͤhnlichen Ordnung zu bestreiten hat? Zwey oder drey Jahre auf den hoͤhern Schulen, wenn man mit einem Haus-Informator nicht mehr ausreichen kann, drey bis vier Jahre auf der Akademie, und dann noch eine Reihe von Jahren, die er sich aus seinem oder seines Vaters Beutel erhalten muß, ehe er zu einem einigermaaßen hinreichenden Auskommen gelangt, dies alles sind geldfressende Schwierigkeiten, mit welchen kein anderer Stand des buͤrgerlichen Lebens zu kaͤmpfen hat. Hier truͤgt schon manchen die Rechnung, der mit eigenem Vermoͤgen bis an die Jahre einer hinlaͤnglichen Versorgung auszureichen gedachte. Andre rechneten nicht ganz auf ihr Vermoͤgen, aber Mangel an Weltkenntniß und zu feurige jugendliche Hoffnungen stellten ihnen ihr Gluͤck zu nahe vor, und sie wissen sich alsdenn vollends nicht zu rathen, wenn es mit ihrer Versorgung zu lange zoͤgert. Und wie viele sieht man nicht ihren Lauf mit fremden Vorschuͤssen antreten, deren Bezahlung ihnen in der Aussicht so leicht erscheint, und wovon sie die Folgen nimmer verwinden koͤnnen. Kurz es ist kein Wunder, wenn die groͤßre Zahl der Gelehrten auch bey einer guten Haushaltung schon in Schulden geraͤth, ehe ihr eigentlicher Brodtverdienst angeht.
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V. Jetzt aber komme ich zu einer Hauptursache der zerruͤtteten Haushaltung, in welche die groͤßre Zahl der Gelehrten fruͤher oder spaͤter hinein geraͤth. Diese ist unsre akademische Lebensart. Ich meyne hier nicht bloß die aus natuͤrlichen Ursachen zunehmende Kostbarkeit derselben, von welcher ich schon oben gesagt habe, und auf welche auch der sparsamste Juͤngling oder sein Vater nothwendig Rechnung machen muß. Ich rede vielmehr von der seltsamen Ausbildung des Charakters, welche so viele Studirende in dieser Lebensart annehmen, und welche gerade so beschaffen ist, daß nur uͤberwiegende Reichthuͤmer oder ein alle Erwartung uͤbersteigendes Gluͤck in der Folge den Wohlstand eines Menschen einigermaßen sichern koͤn̄en, der an dieser Lebensart rechten Geschmack gefunden hat. Ohne Ruͤcksicht auf dies akademische Leben, frage ich allgemein: was fuͤr Hoffnung kann der Vater von dem kuͤnftigen Gluͤck seines Sohnes haben, den er gerade in denjenigen Jahren, in welchen Blut und Luͤste am lebhaftesten schaͤumen, in eine Gesellschaft junger Leute ohne Aufsicht schickt, unter welchen nach deren gewoͤhnlicher Denkungsart derjenige die meiste Ehre hat, der am meisten Geld aufwendet, und unter welchen Schuldenmachen und allenfalls um eine Schuld betriegen nie fuͤr Schande geachtet wird? Wenn ich sonst einem vernuͤnftigen Vater eine Erziehungsanstalt vorschluͤge, und bei allen Vortheilen, die eine solche haben koͤnnte, ihm eingestehn muͤßte, daß sie den jetzt bemerkten Fehler habe, so wuͤrde er es für eben so gefaͤhrlich ansehn, als wenn er seinen Sohn in die offne Hoͤlle schickte. Aber in den Augen des Vaters, dem sein Sohn zur Akademie reif geworden ist, verschwindet diese Schwierigkeit. Er verlaͤsst sich gewoͤhnlich auf die guten Sitten seines Sohns und den eifrigen Trieb zum Studiren, welchen er zu Hause bewies, auf die Ermahnungen, welche er ihm auf den Weg mitgiebt, auf die Strenge der akademischen Obrigkeit, und allenfalls noch auf eine Empfehlung an diesen oder jenen Professor, und glaubt vollends sicher seines Sohns wegen zu seyn, wenn er ihm ein Auskommen aussetzt, mit welchem er seiner Rechnung nach anstaͤndig ausreichen kann. Dann macht er allenfalls mit Sorgen seine Rechnung, um es von seinem eignen Auskommen zu ersparen, oder wenn ihm dies nicht moͤglich ist, es auf Zeit von einem Freunde zu borgen. Der Juͤngling zieht hin voll guten Vorsatzes; findet aber ganz andre Sitten und Beyspiele, als er zu Hause zu sehen gewohnt war. Den muthwilligen Verschwender sieht er vor allen geschaͤtzt, den Armen verachtet, und den Sparsamen gespottet. Er findet auf jedem Schritte Anfuͤhrer zum Wohlleben und Aufwande. Der Professor, dem er empfohlen war, ist zu beschaͤfftigt und zufrieden, wenn er ihn nicht gar zu unfleißig in seinen Vorlesungen sieht, und die akademische Obrigkeit hat nicht ehe ein Recht, ihn einzuschraͤnken, als bis Verbrechen und Schulden ihn in deren Haͤnde liefern. Nun das Ungluͤck ausgebrochen ist, singt noch alles Freude um ihn her. Niemand spricht ihm von Schande vor, sondern sein Ungluͤck, unter welchem sein Vater zu Hause bitter seufzet, wird ihm als ein akademischer Spaß vorgebildet, und selbst die ersten Bewegungen der Reue uͤber seinen anfangenden Verfall werden unterdruͤckt.
Die Fortsetzung folgt künftig.
Quelle: „Abhandlung über die verfallene Haushaltung der meisten Gelehrten unserer Zeit.“ Von Herrn Prof. J.G. Büsch in Hamburg, Hannoverisches Magazin, 31. Stück. Montag, den 18. April 1774, S. 483–89, 494–96. Online verfügbar unter: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0070-disa-2105263_012_18
Weiterführende Inhalte
Marian Füssel, „Von der Sodalitas zur Loge. Professorale Geselligkeit an der vormodernen Universität“, in Matthias Asche und Dietmar Klenke, Hrsg., Von Professorenzirkeln, Studentenkneipen und akademischem Networking. Universitäre Geselligkeiten von der Aufklärung bis zur Gegenwart (Abhandlungen zu Studenten- und Hochschulwesen 19), Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, 2017, S. 49–63.
Elizabeth Harding, Der Gelehrte im Haus: Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstedt. Wiesbaden: Harrassowitz, 2014.