Johann Nepomuk Hauntinger, Reise durch Schwaben und Bayern im Jahre 1784
Kurzbeschreibung
Von 1780 bis 1823 war der Benediktinermönch Johann Nepomuk Hauntinger (1756–1823) Bibliothekar in der Fürstabtei St. Gallen. Im Juli und August 1784 reiste Hauntinger zusammen mit Pater Pankraz Vorster und Pater Beda Pracher durch Schwaben und Bayern. Dieser Auszug aus seinem Reisetagebuch beschreibt das Naturalien-Kabinett der Benediktinerabtei Petershausen, den Kirchenbau und die Bibliothekssammlung der Zisterzienserabtei Salem und die Bibliothek in Schussenried (Prämonstratenserkloster). Das Tagebuch vermittelt einen allgemeinen Eindruck von der intellektuellen Atmosphäre in süddeutschen Klöstern im ausgehenden 18. Jahrhundert. Darüber hinaus liefert es Informationen über die Sammlungstypen in diesen Klöstern und erlaubt Rückschlüsse auf das intellektuelle Netzwerk gelehrter Mönche wie Hauntinger.
Quelle
St. Gallen bis München
Vom 12. Bis zum 20. Julius 1784
Den 12. Julius reisten wir, P. Pankratius und ich, in Gesellschaft des P. Beda von Neresheim auf Rorschach, wo Herr Beda dem Statthalter seine Abschiedsvisite abstattete. Er war unschlüssig, ob er das nämliche bei dem Herrn Pfarrer tun sollte, veränderte einige Male seine Meinung über diesen Punkt, und endlich wurde nichts daraus. Wir setzten also unsere Reise fort über Romishorn (Romanshorn), woselbst uns der Herr Obervogt mit einem Mittagsmahl bewirtete, bei Münsterlingen vorbei, durch Konstanz in das benachbarte Benediktinerreichsstift Petershausen.
[…]
Petershausen
Zu Mittag hatten wir die Ehre, zu Petershausen am Regulartische zu speisen. Die Tischlektion war 1. aus der Heiligen Schrift, 2. Fleury’s Kirchengeschichte, 3. ein vortrefflicher neuer Hirtenbrief vom Kurfürsten von Trier. Nachmittags besahen wir in der Abtei, deren Vorzimmer eine kleine Sammlung von Gemälden enthält, die berühmte Uhr. Sie steht auf einem Fußgestelle und zeigt alle Tage nach des Kopernikus System alle Läufe und die Veränderungen der Planeten; sie hat nebst diesem einen Minuten-, Viertelstunden- und Stunden-, Tag-, Monat-, Jahr- und Jahrhundertzeiger, und die Schnellfeder zum letztern darf auch nur alle hundert Jahre aufgezogen werden. Man kann ferner an dieser Uhr durch recht geschwinde Bewegung die allgemeine Weltgeschichte von Anfang der Erschaffung her bis auf unsere Zeiten, die größten Begebenheiten der Kirche sowohl als des Staates, sehen und von jedem dieser Vorfälle wissen, in was für einem Jahre er sich zugetragen habe. Auch sahen wir daselbst ein Modell von einem fliegenden Garten.
Von Kloster- und Kirchengebäuden schreibe ich hier nichts, weil sie fast jedem aus uns zur Genüge bekannt sind. Nachmittags, nachdem wir in Kreuzlingen eine kurze Visite gemacht hatten, besahen wir das berühmte Petershauser Naturalienkabinett, das schönste vielleicht, das ich meiner Lebtag sehen werde. Es ist in vier ungleich große Säle abgeteilt, alle diese sind mit Abgüssen antiker, griechischer und römischer Köpfe und Büsten berühmter Männer aus dem Altertum, und noch mit einer großen Anzahl, etwa 150, ausgestopften fremden Vögeln ausgeziert. Ringsherum sind Kästen angebracht, alle mir Glastüren verschlossen, und in der Mitte jedes dieser Säle ist eine Art großer, doppelter Pulte hingestellt, etwa jedes 10 Schuhe in die Länge und 5 in die Breite, alle mit Schubladen bis auf den Boden versehen und oben wieder mit gläsernen Deckeln zugeschlossen. In diesem Orte, welcher gewiß weit über eine halbe Million einzelner Stücke in sich enthalten muß, finden sich meist vollkommene Sammlungen folgender Naturseltenheiten: 1. Aller Naturalien, Tropfsteine, Inkrustationen und Versteinerungen, welche sich in Karlsbad und in den Gegenden um dasselbe finden. Diese Sammlung ist die vollkommenste und eben darum die seltenste. Sie ist wirklich durch das Zutun ihres Aufsehers in einem Foliobande mit Kupfern, nach der Natur illuminiert, im Druck erschienen. 2. Eine Sammlung aller Gattungen von Marmor aus den verschiedensten Gegenden. 3. Eine Sammlung verschiedener Agatsteine. 4. Inkrustationen. 5. Holzversteinerungen aller Arten, und einige Male von ungewöhnlicher Größe. 6. Das ganze Steinreich nach seiner Einteilung. 7. Eine Sammlung verschiedener Gattungen Holzes. 8. Siegelerde und andere Gattungen Erde. 9. Ausländische Raritäten. 10. Ein herrliches Stufenkabinett von Gold, Silber, Blei, Zinn, Kupfer, Eisen, auch gewachsenes Gold usw. aus den berühmtesten Bergwerken. 11. Noch eine Sammlung aller Arten Fossilien. 12. Einige tausend Steine verschiedener Art, welche in der Donau gefunden werden, alle auf der einen Seite geschliffen. 13. Eine Sammlung von Edelsteinmüttern: von Granit, Porphyr, Granaten usw. 14. Ein Kabinett von Meermuscheln, von seltenen Stücken und meist Dubletten. 15. Ammonshörner allerlei Arten und auch von ungewohnter Größe. 16. Steinmuscheln. 17. Oeninger Versteinerungen. 18. Gipsabdrücke von vielen tausend Münzen und Medaillen. 19. Eine Sammlung ausgestopfter Vögel. 21. Eine nicht unbedeutende Anzahl eherner Götzen und Helden aus dem Altertum. 22. Noch andere Natur- und Kunstprodukte, die ich nicht mehr herzuzählen imstande bin. Ein Kabinett also, welches vielleicht in ganz Deutschland, besonders in einigen Fächern, wenige seinesgleichen hat. Wir hielten uns so lange darin auf, daß wir darüber die Bibliothek ganz vergaßen. Wir würden gewiß schöne Werke, welche in die Naturhistorie einschlagen, darauf gefunden haben. Der Herr, welcher dieser ungemein raren Sammlung vorsteht, besitzt nach meiner geringen Einsicht die Kenntnisse dieses Faches vollkommen und verbindet damit einen eifrigen Hang zu diesem schönen Studium. Diese Sammlung hat Dasein und Zuwachs meist dem jetzt ziemlich unglücklichen Exbenediktiner P. Franz Übelacker, ehemaliger Subprior zu Petershausen, zu verdanken. In der Hauskapelle des Prälaten sahen wir zwei silberne Bilder der heiligen Gallus und Gebhard, welche unser Fürst Bernhard der Domkirche zu Konstanz bei Gelegenheit des mit dem dortigen Bischofe abgeschlossenen Konkordates geschenkt hat. Sie sind schon eine geraume Zeit an Petershausen verkauft worden.
[…]
Salem
Es liegt in einem Tal und ob demselben in einiger Entfernung des Schloß Heiligenberg. Das ganze Klostergebäude besteht aus drei Vierecken, eines derselben macht das Hofgebäude und die Abtei, die zwei übrigen machen das Konventgebäude aus. Der Umfang des Klosters ist von einer sehr weiten Strecke, und die Ökonomiegebäude, die Behausungen der Ministers (Dienerschaft), die ebenso weitläufigen als durch ihre Schönheit reizenden Baum-, Kräuter- und Blumengärten, die kleinen Weiher oder Fischgruben, welche alles innert einer einzigen Mauer eingeschlossen ist, geben dem Stifte von weitem das Ansehen einer kleinen Stadt. In dem Hofgarten sind einige aufgeworfene Terrassen mit großen gestrickten Blumenkörbchen nach der neuesten englischen Art ausgeschmückt. Nachdem wir dem gnädigen Herrn Reichsprälaten Robert unsere Aufwartung gemacht hatten, gingen wir in die Kirche, ein altes, gotisches, majestätisches Münster, und besahen ihre ganze innere Verzierung, die gewiß von jedem Zuschauer bewundert zu werden verdient. Sie hat drei Reihen Gänge nebeneinander, wie fast alle gotischen Kirchen, und an den Zwischenpfeilern sowie auch an den Hauptmauern sind zierliche Altäre, 27 an der Zahl, angebracht. Alle diese Altäre sind von Alabastersteinen verfertigt. Man kaufte diese Steine aus dem Gebiete der Republik Schaffhausen bei Schleitheim, den Zentner unbearbeitet für einen Gulden 30 Kreuzer. Sie sind weiß mit grauen Adern durchkreuzt. Die Bauart der Altäre ist ganz im schönsten antiken Geschmacke. Sie haben verschiedene Vorstellungen, z. B. eines stellt eine Art Urne, ein anderes ein Monument, eine Spitzsäule, Vasen, halbe und ganze Säulenwerke usw. vor. Und so wechseln sie immer anmutig ab. Die sogenannten Pfeifen der Säulen, die Leuchter, die Konvivien, die Ringe und Handhaben der Vasen sind allemal aus Kupfer verfertigt und im Feuer vergoldet und machen nebst dem, daß sie dauerhaft sind, ein recht herrliches Ansehen. Das Chorgitter ist nur etwa drei Fuß hoch, auch antik, und auf demselben sind wieder herrliche alabasterne Vasen aufgestellt, welche treffliche halberhabene Arbeit in sich enthalten. Die zwei Faldistorien sind das Schönste, was man von dieser Arbeit sehen kann. Eines stellt ein pyramidalförmiges Monument vor, auf welchem eine Lobschrift auf die Stifter dieses Ortes enthalten ist; die Buchstaben sind im Feuer vergoldet und das ganze Monument mit schönen Statuen geziert, welche Bezug darauf haben. Das andere gegenüber ist das Grabmonument für alle Äbte, weil es eben über ihre Gruft zu stehen kommt. Ein Engel hält eine große Tafel empor, worin alle ihre Namen und Sterbejahre mit goldenen Buchstaben eingezeichnet stehen. Weiter außen stehen noch zwei dergleichen Pyramiden, welche andere Vorstellungen haben. Ein jedes dieser vier Stücke ist nur aus etwa drei aufeinander getürmten großen Alabasterklumpen verfertigt und in der Kirche selbst ausgearbeitet worden. Die Altarblätter sind nicht Gemälde, sondern es ist halberhabene Arbeit aus Alabaster, welche etwa eine biblische Geschichte oder sonst etwas das sich zum Kirchendienste schickt, vorstellt. Einige Male besteht ein Altarblatt aus halberhabener Arbeit zur Abwechslung aus Blei gegossen und ganz vergoldet.
Der Choraltar steht am Anfange des Chores und ist auf römische Art so gebaut, daß man von beiden Seiten zugleich Messe darauf halten kann. Die ganze Verzierung aller Altäre ist auf ein Kreuzbild und Leuchter eingeschränkt. Alle Altäre sind sich das ganze Jahr hindurch immer gleich; nur an Festtagen werden die metallenen Leuchter auf dem Hauptaltare mit silbernen abgewechselt. Am Ende des Chores ist statt des Chortabernakels eine silberne vergoldete Bundeslade mit Cherubim angebracht und dann eine große Nische in der Mauer, worin Jesus am Kreuze zwischen zwei Mördern sterbend vorgestellt ist, von Brucker (Brugger). Das Chor selbst ist mit alten und neuen Basreliefs von Holzarbeit geziert, welche Geschichten vorstellen. Das Choraltarblatt das am Ende des Chores ob der oberwähnten Nische steht, wird gerade entfernt und man arbeitet schon jetzt an einem anderen, welches in anderer halberhabener Alabasterarbeit das nämliche vorstellen wird, was das Gemälde enthält. Das Stück ist etwa wenigstens 18 Fuß lang und stellt die Himmelfahrt Mariens vor; ein gutes Stück. Der Seitenaltäre, an beiden Hauptmauern angebracht, sind etwa acht; in jedem ruht ein heiliger Leib eines römischen Blutzeugen unter dem Altarsteine verschlossen. Diese heiligen Leiber liegen nämlich statt eines sogenannten Antipendiums in einem Sarge, und vor diesen Särgen sind kupferne vergoldete Gitter angebracht, daß man nur die Särge und nicht die heiligen Gebeine sieht. Das Altarblatt stellt jedesmal in alabasternen Basreliefs die wahrscheinliche Leidensgeschichte des darin ruhenden Heiligen vor. Oben auf jedem Altare steht die Statue des Heiligen mit dem siegenden Palmzweige in seiner Rechten. Es sind Werke von Georg Dürr, einem Bildhauer, der sich mit den größten Meistern messen konnte und sich durch seine Kunststücke auch in unserm Chor, besonders aber in Salem, ein ewiges, aber leider nur allzu frühes Denkmal errichtet. Die Kirche enthält auch zwei prächtige Orgeln. Gemälde hat sie keine, nur zwei kleine Nebenplafonds ausgenommen, welche Brucker (Brugger) in Fresko bearbeitet hat. Vom alten gotischen Stil ist in dieser Kirche, das Gebäude selbst abgerechnet, nichts mehr übrig als das sogenannte Sakramentshäuschen (hierotheca), welches jetzt auch noch zu einem Tabernakel dient. Es steht zur linken Seite des Chores und stellt einen sehr künstlich durchbrochenen gotischen Turm vor, welcher fast bis an das Kirchengewölbe hinaufreicht, eine mühevolle und in Hinsicht auf gotische Schönheit prachtvolle Arbeit. Noch sahen wir vormittags den Saal bei Hofe, welcher zur Zeit seiner Entstehung weit umher der schönste mag gewesen sein, allein er ist zu sehr mit schwerer Stukkatur und riesenförmigen vergoldeten Statuen überladen; dann die Sakristei, wo sich ein rotsamtener, ganz nach antiker Zeichnung mit Gold bestickter Kirchenornat und noch ein anderer befindet, der aus einem Galakleide der Tochter Kaiser Josephs II. verfertigt wurde. Das Tafelzimmer ist auch ganz im antiken Geschmacke mit Marmor bekleidet, und weil es, so wie die prächtige Prälatur, nur von einer Seite her wahre Fenster hat, so ist es auf der andern mit Spiegelfenstern versehen, welche gute Wirkung haben.
Den Nachmittag brachte ich größtenteils bei meinem Freunde und Korrespondenten P. Kaspar Oexle, Oberaufseher über die Bibliothek und Sekretär des gnädigen Herrn, auf dem Büchersaale zu. Dieser Saal enthält auf jeder Seite sieben Fenster und ist gleich dem unserigen mit einer Galerie versehen und mit Säulenreihen geziert. Er mag etwa 100 Jahre alt sein, woraus leicht auf den Geschmack der übrigen Bauart zu schließen ist. Oben auf der Galerie sind zur Verzierung Köpfe alter berühmter Griechen und Römer angebracht. Die Decke ist gemalt und die Kästen alle mit Glastüren verschlossen. Unter der Bibliothek ist noch ein Zimmer von der nämlichen Größe, ganz mit Büchern und meist mit Dubletten und alten Druckdenkmalen, welche stark an der Zahl und sehr beträchtlich sind, angefüllt. Unter diesen letzten sind auch auf Pergament gedruckte. Von der Galerie aus geht man noch in drei andere Zimmer, davon eines recht geräumig ist; alle sind wieder mit Büchern angefüllt, und da finden sich die prächtigsten, jene besonders, welche in die Literaturgeschichte, Altertumskunde, Profan- und Kirchengeschichte und in die beschreibende Naturhistorie einschlagen. Unter der vorigen Regierung war diese Sammlung die Prälaturbibliothek, jetzt aber sind diese Bücher sowie die übrigen alle gemeinnützig. Die ganze Sammlung erhält immer großen Zuwachs, und ich kenne einen Buchhändler, welcher neuere Bücher, wenn sie von einiger Bedeutung sind, unangefragt zur Vermehrung derselben hinschicken darf. Ich habe mir hier so wie fast in allen unten vorkommenden Bibliotheken einige der schönsten angemerkt und werde sie sämtlich am Ende des Diariums in einer systematischen Ordnung anführen; das versteht sich aber nur von jenen Büchern, die sich nicht auch schon auf unserer Bibliothek befinden. Alle diese in so viele Zimmer abgeteilten Bücher schätze ich samt den Dubletten wenigstens auf 30.000 Bände.
Von Handschriften sind nebst anderen, die man in Reisebeschreibungen nachsehen kann, merkwürdig: Silbereisens, Abt zu Wettingen, Chroniken, die Akten des Conciliums von Konstanz von 1492 mit illuminierten Wappen; die älteren und autographischen Abschriften sind dem Feuer zum Raube geworden. Die besten Handschriften enthalten Werke der Kirchenväter, das Leben des hl. Gallus von Walafried Strabo, Bernos Handmusik, ein Band Geschichten aus dem zwölften Jahrhundert mit Bildern; einige einheimische Autoren von Salem, bei denen die Rede auf eine Auslegung des Hohen Liedes verfiel, welche der Abt Berthold von Salem verfaßte. Diese Auslegung ist in Salem nicht mehr zu finden, auf unserer Bibliothek aber existiert sie noch in einem papierenen Codex vom 15. Jahrhundert unter Nr. 939.
Wir begaben uns hernach ins philosophische Armarium. Es besteht aus einem größeren und zwei kleineren Zimmern; im ersten sind meist mathematische, geometrische und zur Statik gehörige Instrumente. Im zweiten optische, dyoptrische und katoptrische; besonders ein sehr schöner neuer Brennspiegel von großer Stärke. Im dritten befinden sich Luftpumpen, elektrische Maschinen und mechanische Stücke, besonders das Modell des Salemischen Kirchturmes.
Den 15. Julius besahen wir am Morgen den Kirchturm. Man kann wohl sagen, daß ganze Wälder daran sind verschwendet worden. Er ist ganz aus Holz verfertigt, und man kann ohne alle Gefahr einzelne schadhafte Balken wegrücken und neue statt dieser hineinsetzen. Der Turm ist nicht von Grund aus gebaut, sondern er steht über den vier Hauptpfeilern des Kirchengewölbes hingepflanzt. Seine Bauart ist weder antik noch modern, er ist weder Kuppelturm noch ganz Helmturm, allein sein Ansehen ist nichtsdestoweniger sehr zierlich und geschmackvoll; er enthält 14-15 Glocken, welche ganz harmonisch sind und einen vollkommenen Akkord ausmachen. Die größte davon wiegt 160 Zentner. Der Turm selbst ist ganz mit Kupfer und Blei ausgefüttert, und auf jedem Stockwerke sind Wasserbehälter angebracht, um sich derselben im Notfalle bedienen zu können. Hernach besahen wir das Naturalienkabinett, welches im kleinen fast ebenso eingerichtet ist wie das zu Petershausen. Es enthält nebst dem, was man unter dem Namen Naturalien- und Muschelkabinett versteht, auch eine Sammlung von Vogeleiern, verschiedene Marmorarten, eine recht kostbare Sammlung vieler Gattungen Achatsteine, eine traurige Sammlung von Brot von 1771-1772 von allerlei Größe und Preisen aus den benachbarten Orten. Das ganze Kabinett ist von dem berühmten Kapuziner P. Andreas von Marchtal, ehemaligem markgräflich baden-badischen Hofbeichtvater, gesammelt worden. Er hat es dem Stifte Salem für eine schöne Anzahl Bücher, welche sie in duplo besaßen überlassen. Dieser brave Kapuziner ist jetzt Vikar zu Markdorf; er hat noch überdies eine herrliche, etwa aus 30-50 Foliobänden bestehende Kupfersammlung, die vielleicht auch einst diesem Stifte zuteil wird. Ich rechne es mir zur Ehre, mit diesem gelehrten Manne in Bekanntschaft zu sein und von ihm einige Briefe erhalten zu haben. Das Salemische Kabinett erhält auch immer wichtige Zusätze von allen Gattungen Seltenheiten, indem sogar bis in das entfernte Spanien Bestellungen gemacht werden, um von da aus einige Natur- und Landesprodukte zu erhalten. Von den Versteinerungen mag wohl das versteinerte Vogelnest samt der brütenden Alten und den zwei Jungen, auch versteinert, das seltenste sein. Hier wird auch ein schönes Münzkabinett gezeigt, über welches P. Malachias die Aufsicht hat, worin sich besonders ganze Folgen herzoglicher und fürstlicher Häuser auszeichnen. Dieses Naturalien-, Muschel- und Medaillenkabinett nimmt ein sehr geräumiges Zimmer ein.
Noch besahen wir kurz die schönen Marställe, die prächtigen Kutschenremisen; die schönsten Gefährte darin sind alle nach antiken Vorbildern verziert, unvergleichlich bequem und werden in Salem selbst von einem Klosterbruder angefertigt. Wir beschlossen endlich mit Ansehung des Ortes, wo die schönen halberhabenen Alabasterarbeiten verfertigt werden.
Der Eifer, mit dem man sich hier auf die Studien verlegt, ist ebenso groß als die Sorgfalt für die Klosterzucht, welche in diesem Stifte von jeher berühmt war. P. Firmus Blaibinhaus, Professor der Kirchengeschichte, P. Sekretär, Professor und Bibliothekoberaufseher Kaspar Oexle, P. Malachias, Professor der Theologie und Oberaufseher über die Naturalien- und Münzsammlung, und P. Bernhard, Bibliothekar, zeichnen sich jeder in seinem Fache aus. Die Orientalia wurden ehedem von dem berühmten Linguisten, dem Exjesuiten P. Weitenauer, gegeben, und P. Chrysostomus, ein geborener Ägypter aus Alcairo (Kairo), setzt sie fort. Das Arabische und Türkische ist seine Muttersprache; das Griechische und eine Menge anderer lebender Sprachen sind die Früchte seiner Reisen. Er war schon 38 Jahre alt und schon 18 Jahre Priester, ehe er Profession ablegte.
Herr Hofmedicus Michael Hornstein, unser ehemaliger Schulkamerad, ist hier bei allen wohlangesehen und beliebt.
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Schussenried
Denselben Abend hatten wir keine Gelegenheit mehr, etwas zu sehen. Der P. Kastner Siard, ein Bruder unseres P. Ulrich, ward uns nebst anderen Herren zur Aufwart gegeben.
Den 17. Julius besahen wir in der Frühe die Kirche und das Chor; beide sind alt und von keiner besonderen Schönheit. An den Chorstühlen sind die Statuen aller Ordensstifter im kleinen angebracht. Wenn dies Stift einst dem schönen Plane nach, den man uns vorgezeigt, ausgeführt wird, so muß es eines der herrlichsten in Deutschland abgeben. In der Sakristei, wo sich viel Silberzeug sehen läßt, wird ein Teil von St. Mangenstab, eine herrlich und reich gefaßte Reliquie von St. Johann von Nepomuk, welche Kaiser Karl VI. dahin verehrte, vorgezeigt. Der Bibliothekssaal ist der schönste, den wir auf unserer Reise gesehen haben. Er ist größer als der unserige, enthält aber nur einen einzigen Plafond, von Hermann dem Älteren in Fresko gemalt; man kann aber fast nicht klug werden, was diese Malerei vorstellen soll, weil darin gar zu viele Gegenstände nach und nach während der Arbeit eingeschoben wurden. Unten und auf der Galerie sind in allem 66 Kästen angebracht, davon sechs nur zur Symmetrie da sind und zugleich die Bibliothektüren ausmachen. Die Kästen sind nur aus Fichtenholz mit Perlfarbe angestrichen und mit Gold verziert, die Kastentüren mit Leinwand überzogen, worauf weiß eingebundene Bücher mit roten Titeln gemalt sind. Auf beiden Seiten des Saales stehen der Länge nach Reihen von gipsalabasternen Säulen mit Statuen, welche zueinander passen und sich sozusagen widersprechen, z.B. auf einer Seite die Freigeisterei, falsche Politik, Irrlehre mit ihren Kennzeichen, Devisen, auch Bücher, worauf Voltaire, Rousseau, Macchiavelli steht usf., auch Luther, Calvin mit ihren Lehrsätzen usw., und dann gegenüber die Statuen eines Propheten, Apostels, Evangelisten, welche die vorigen mit Schrifttexten widerlegen. Das ist ein Gedanke, welcher meiner Meinung nach an jedem anderen Orte besser als auf einer Bibliothek stünde, denn ein Büchersaal muß allen Gattungen Leute offen stehen, und er ist doch kraft seines Daseins der Ort nicht, wo man Religionsstreitigkeiten mit einem durchreisenden fremden Gaste ausmacht. Jetzt, da diese Statuen mit ihren Inschriften noch nicht vollkommen ausgearbeitet sind, ließe sich da noch Rat schaffen. Die Bibliothek ist sonst bequem eingerichtet; ein jeder Schrank, wenn er aufgemacht wird, hält ein kleines Pult und einen Sitz zum Herablassen in sich und hinter jedem dieser Schränke ist eine Höhlung angebracht, worin sich für jeden eine kleine Stiege befindet. Nur konnte ich, weil der Bibliothekar nicht zuhause war, nicht wissen, wohin der Lokalkatalog eines jeden Faches hinkommen sollte. Die ganze Bauart, die helle Perlfarbe, das herausblickende Gold machen der Bibliothek ein ungemein lichtes Ansehen, und ob sie gleich bei weitem nicht mit so kostbarer Holz- und Fournierarbeit ausgeziert ist wie die unserige, so fällt sie, wenn ich nicht irre, gewiß ebenso schön, wo nicht besser ins Auge. Neben der Bibliothek wird ein sehr großes Zimmer für den Aufseher derselben zugerichtet. Ich traf ihn wirklich nicht in Schussenried an, er arbeitet an einem Bibliothekkatalog, den er drucken zu lassen im Sinne hat. Was Hauptwerke von etwas älteren Büchern sind, so mag die Bibliothek so ein wenig vernachlässigt worden sein, allein jetzt wird das alles mit Wucher ersetzt. Man wird nicht bald ein neues merkwürdiges Buch nennen, das man sich nicht anschaffte. Auf einem Deckel eines alten Buches fand ich ein Stück aus Walafrieds Miraculis S. Galli, ungefähr aus dem X. Jahrhundert.
Wir besahen hernach den schönen und ziemlich großen Garten, das Sommer- und Winterpriorat, die Wohnungen der Patres, deren jeder ein Wohnzimmer mit einem eisernen Ofen, einen Alcoven und ein sogenanntes Studiol oder Kabinettchen zum Studieren innehat, alles reinlich und schön, ohne Pracht. Man führte uns auch in die Gastzimmer, worin zwei türkische, mit Perlmutter, Schildkröten und andern Steinen eigelegte Tische, deren jeder 6000 Gulden geschätzt wird, merkwürdig sind. Sie sind ein Geschenk eines Schussenrieders, welcher sich so weit erschwang, daß er eine der ersten Bedienungen am kaiserlichen Hofe erlangt. Mit flüchtigem Auge durchwanderten wir jetzt die Ökonomiegebäude, die schönen Kornspeicher, die Keller, den Komödiensaal, das Museum, oder vielmehr den Ort der geistlichen Exerzitien, welcher zugleich der Rekreationssaal ist. Das Brustgetäfel ist darin so passend eingerichtet, daß man daraus etwa auf jeder Seite 15 kleine Betstühle auf einmal errichten kann; nach dem Gebete oder geistlichen Lesung stößt man sie wieder ohne Mühe und Geräusch zusammen und nun sieht man es wieder für nichts mehr und nichts weniger als für ein Brustgetäfel an. Im Hofgarten werden in eigenen dazu bereiteten Beeten viele Ananas gepflegt. Nachmittags durchgingen wir noch das Refektorium, die Schulgebäude, welche etliche Zimmer enthalten und worin für die niederen Klassen das Einsiedler-Institut gegeben wird.
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Quelle: Johann Nepomuk Hauntinger, Reise durch Schwaben und Bayern im Jahre 1784. Herausgegeben von Gebhard Spahr. Weißenhorn: Anton H. Konrad Verlag, 1964, S. 25, 27–28, 29–35, 39–41. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Anton H. Konrad Verlag.
Weiterführende Inhalte
Georg Schrott und Manfred Knedlik, Hrsg., Klösterliche Sammelpraxis in der frühen Neuzeit. Religionsgeschichte der frühen Neuzeit, Bd. 9. Nordhausen: Traugott Bautz, 2010.