Oskar von Miller, „Technische Museen als Stätten der Volksbelehrung“ (1929)

Kurzbeschreibung

Der Gründungsdirektor des Deutschen Museums, Oskar von Miller, legte 1929 seine konzeptionellen Überlegungen zur Gestaltung eines technischen Museums dar. Er diskutiert neben der Bedeutung der Elektrizität an der Wende zum 20. Jahrhundert die Frage, welche Bereiche aus Naturwissenschaft und Technik in das Museum aufgenommen werden müssten. Dabei präsentiert er auch Versuchsanordnungen, die im Museum dargestellt werden sollten. So würden sich u.a. chemische Reaktionen gut darstellen lassen. Außerdem geht er detailliert auf den Aufbau und die Funktion eines Planetariums ein.

Quelle

Wenn ein technisches Museum der Volksbelehrung dienen soll, darf dessen Ausgestaltung nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern es muß von Anfang an in all seinen Teilen planmäßig entworfen und ausgeführt sein.

Die ausschlaggebende Bedeutung dieses Grundsatzes war mir bereits klar, als ich im Jahre 1882 die erste deutsche Elektrizitätsausstellung im Glaspalast zu München organisierte. Damals überließ ich es nicht dem Zufall, was und wie die einzelnen Firmen ausstellen wollten, sondern entwarf von vornherein ein Projekt, welches nicht nur der Industrie Gelegenheit zur Bekanntgabe ihrer Leistungen bot, sondern vor allem auch die Besucher durch eine besonders lehrreiche Aufstellung mit den neuen Errungenschaften vertraut machte und sie zur Ausnützung derselben anregte. Im Vordergrund des Interesses stand im Jahre 1882 die elektrische Beleuchtung, und es wurde deshalb systematisch deren Anwendung in Wohnungen, Geschäftsräumen, Bildergalerien, Theatern usw. dargestellt.

Den gleichen Grundsatz befolgte ich bei der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Frankfurt a. M., für welche ein gründliches Projekt um so wichtiger war, als ich mir hierbei die Lösung bestimmter Aufgaben vorgenommen hatte.

Es war zu dieser Zeit ein heftiger Streit zwischen den Vertretern der verschiedenen Stromsysteme im Gange, und es mußten deshalb den zahlreichen Städten, die vor der Errichtung von Elektrizitätswerken standen, die Vor- und Nachteile des Gleichstromes wie des Wechselstromes in unparteiischer Weise klargemacht werden.

Die Möglichkeit der elektrischen Kraftübertragung auf weite Entfernung war bereits in der Münchener Ausstellung theoretisch erwiesen, es war aber noch zu entscheiden, ob durch die Anwendung der inzwischen gemachten Fortschritte besonders günstige Energiequellen über ganze Provinzen und Länder wirtschaftlich verteilt werden könnten. Aus diesem Grunde habe ich die Kraftübertragung von Lauffen nach Frankfurt a. M. trotz größter Schwierigkeiten mit der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft und der Firma Oerlikon durchgeführt.

Zur Zeit der Frankfurter Ausstellung war die Herstellung fast aller elektrotechnischer Fabrikate in den Händen einiger weniger Großfirmen.

Zur Ergänzung derselben erschien mir die Förderung von Spezialfirmen erwünscht, welche der Entwicklung bestimmter Fabrikationszweige ihre ganze Aufmerksamkeit schenken und durch innige Verbindung mit den Abnehmerkreisen die Verbreitung der elektrischen Beleuchtung, Motoren­betriebe usw. erleichtern.

Dies wurde erreicht, indem ich die Ausstellung nicht nach Firmen, sondern nach den einzelnen technischen Gebieten unterteilte, wobei alle Firmen gezwungen waren, ihre Maschinen in der Maschinenhalle, ihre Motoren in den verschiedenen Werkstätten, ihre Sicherungen und Schalter in der Installationsabteilung, ihre Instrumente in den Meßräumen unterzubringen und dadurch beizutragen, daß auch die Leistungen der kleinen Firmen von den Besuchern gewürdigt werden konnten.

Wie bei diesen Ausstellungen, habe ich auch beim Deutschen Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik die größte Sorgfalt auf eine planmäßige Projektierung der Sammlungen verwendet.

Die erste Frage betraf die Auswahl der darzustellenden Zweige der Naturwissenschaft und Technik.

Es konnte nur eine beschränkte Zahl von Gruppen ausgewählt werden, und es waren hierbei diejenigen Gebiete zu bevorzugen, welche für die allgemeine Volksbildung besonders wichtig erschienen: unter den Naturwissenschaften die Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie und Geologie; aus dem Gebiet des Verkehrswesens die Straßen, die Bahnen, die Kanäle, die Landtransportmittel, die Schiffe, die Flugzeuge; von den zahlreichen Industrien der Bergbau, das Hüttenwesen, die Kraftmaschinen, das Textilgewerbe, die Landwirtschaft usw.; aus dem Gebiet des Bauwesens die Baumaterialien, der Hausbau, der Städtebau und die Versorgung der Städte und Wohnungen mit Licht, Wärme, Wasser, Gas und Elektrizität usw. Im ganzen wurden 40 Hauptgruppen zur Darstellung im Deutschen Museum ausgewählt.

In jeder Gruppe mußte die Entwicklung des entsprechenden Gebietes von den ersten Anfängen bis zur neuen Zeit dargestellt werden. Um die verschiedenen Gebiete auch dem nicht vorgebildeten Laien verständlich zu machen, erschien es am zweckmäßigsten, wenn die Darstellung einer Entwicklungsreihe entsprach, die beim Einfachsten beginnt und zu immer vollkommeneren Formen übergeht, wie dies auch in Lehrbüchern vielfach üblich ist. Auf diese Weise wurde bei jedem Objekt erkannt, wie es sich auf den Errungenschaften der vorhergehenden Stufe aufbaut und wie es seinerseits wieder die Grundlage für die folgenden Verbesserungen bildet. Es mußte außerdem gezeigt werden, welchen Einfluß die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Entwicklung der Technik genommen haben.

Nach diesen Grundsätzen erfolgte die Ausgestaltung der einzelnen Gruppen, wobei auch hier wieder die äußerste Beschränkung notwendig war, da zwar für den Fachmann eine möglichst vollständige Darstellung in Fachmuseen wünschenswert ist, der Laie aber gerade in einer möglichst gedrängten Übersicht die beste Belehrung findet.

Die Projektierung jeder einzelnen Gruppe geschah in der Weise, daß zunächst eine Liste der wünschenswerten Gegenstände mit Angaben über die Art der Darstellung und über die Möglichkeit der Beschaffung angefertigt wurde, wie dies aus dem Muster, Beilage 1, ersichtlich ist.

In den Listen wurden die gewünschten Gegenstände in der Reihenfolge der historischen Entwicklung eingetragen. Sodann wurde für jeden einzelnen Gegenstand angegeben, ob er in einem Original, einer naturgetreuen Nachbildung, einem verkleinerten oder vergrößerten Modell, in Bildern oder Plänen dargestellt werden sollte. Es wurde weiter angegeben, ob das betreffende Original oder Modell in den einzelnen Teilen aufgedeckt oder geschnitten, ob es beweglich bzw. betriebsfähig sein sollte, ob die zur Erläuterung vorgesehenen Versuchsanordnungen durch den Aufseher oder durch die Besucher selbst in Betrieb gesetzt werden sollten.

Für die Beschaffung der gewünschten Gegenstände wurde angegeben, an welchem Orte sich derartige Objekte befinden, ferner die Namen der Besitzer oder die Personen, Firmen und Körperschaften, welche als Stifter in Betracht kommen könnten.

Die nach diesen Listen gewünschten Sammlungsgegenstände wurden in die Grundrisse und Abwicklungen der Gruppenpläne, Beilage 2 und 3, eingetragen, so daß von Anfang an ein vollständiger Überblick über die künftige Ausgestaltung des betreffenden Gebietes gegeben war.

Die Listen und Pläne wurden unter der unmittelbaren Leitung des Museumsvorstandes im Museum selbst ausgearbeitet, weil nur auf diesem Wege die Gewähr für eine von gleichen Gesichtspunkten ausgehende und dadurch einheitliche Gesamtdisposition aller Sammlungen geboten war. An den Arbeiten waren etwa 30 Mathematiker, Physiker, Chemiker, Bau-, Maschinen- und Elektroingenieure, Berg- und Hütteningenieure usw. jahrelang mit größtem Eifer beschäftigt, wobei sie ihre Fachkenntnisse durch historische Studien ergänzten und auch Nachbargebiete so weit studierten, daß es ihnen möglich war, auch Gruppen zu übernehmen, die sich mit ihrem ursprünglichen Arbeitsgebiet nicht vollständig deckten. Es wurde keineswegs übersehen, daß die so hergestellten Listen und Pläne noch der Ergänzung und Verbesserung durch besonders erfahrene Sachverständige bedurften, und es wurden dieselben deshalb an eine Reihe von freiwilligen Mitarbeitern gesandt, die die nötigen Korrekturen vornahmen und Vorschläge in der Rubrik „Bemerkungen“ eintrugen.

In den meisten Fällen fanden hierauf noch Besprechungen mit den einzelnen Sachverständigen oder mit den Vertretern der in Betracht kommenden Körperschaften statt.

Auf Grund der schriftlich und mündlich erhaltenen Vorschläge und Ratschläge wurden neue definitive Listen und Pläne hergestellt und diese für die Werbung von Stiftern für die gewünschten Gegenstände benutzt, wobei einflußreiche Persönlichkeiten um ihre Vermittlung gebeten wurden.

Die Gründlichkeit der Projekte, welche einen Einblick in die große wissenschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der geplanten Museumsgruppen gestattete, hat viel dazu beigetragen, dem Museum Freunde, Gönner und opferwillige Stifter zu gewinnen, wie ich dies bei meinen Reisen und Besuchen häufig wahrnehmen konnte.

Durch den Schriftwechsel, die Reisen und Besichtigungen wurde nunmehr auch von allen wichtigen Gegenständen ein genaues Bild der äußeren Erscheinung durch Skizzen, Photographien u. dgl. ermittelt, es wurden die für die Aufstellung erforderlichen Fundamente, Schränke usw. entworfen, die etwa nötigen Antriebseinrichtungen u. dgl. festgestellt.

In besonders wichtigen Fällen, wie z. B. bei der Ausgestaltung des Bergwerkes, der chemischen Laboratorien u. dgl., wurden Modelle der betreffenden Saaleinrichtungen hergestellt oder auch größere Objekte in natürlicher Größe auf Kartons skizziert und in den Sälen probeweise angebracht, bevor die endgültige Aufstellung erfolgte.

Besondere Sorgfalt erforderten die Versuchsanordnungen, für die nicht die Demonstrationsapparate brauchbar waren, wie sie für Mittel- und Hochschulen Verwendung finden, weil diese einen geschulten Experimentator, einen mit den Grundbegriffen des betreffenden Wissenszweiges bereits vertrauten Hörerkreis, vor allem aber auch die mündliche Er­läuterung der vorgeführten Erscheinungen voraussetzen.

Versuchseinrichtungen, welche der Volksbelehrung in einem Museum dienen sollen, mußten außerordentlich einfach in der Handhabung sein, weil sie von den ungeschulten Museumsbesuchern selbst, bestenfalls von den Aufsehern, in Betrieb gesetzt werden. Sie mußten sehr robust ausgebildet und ihre empfindlichen Teile mußten vor direkter Berührung geschützt werden. Sie mußten die gewünschten Ergebnisse rasch zeigen und zu diesem Zweck vielfach kontinuierlich arbeiten. Die Ergebnisse mußten so sinnfällig sein, daß sie leicht und sicher beobachtet werden konnten.

Mit Rücksicht auf diese Forderungen mußten fast für sämtliche Versuchsanordnungen völlig neue Dispositionen entworfen werden. Als Beispiel hierfür sei auf die Versuchsanordnungen zur Erläuterung der chemi­schen Reaktionen, Abb. 1. verwiesen. Hier wird der Nachweis von Eisen in einer Lösung durch Zusatz von Blutlaugensalz erklärt, wobei sich bekanntlich ein Niederschlag von Berliner Blau bildet. Es ist charakteristisch für diese Versuchsanordnung, daß der Besucher sich zuerst durch Drücken eines Knopfes in einem kleinen Sammelgefäß, das die Stelle des Reagenzglases vertritt, eine kleine Menge der zu untersuchenden Lösung einfüllt, daß er sodann durch Drücken eines zweiten Knopfes eine kleine Menge Blutlaugensalz hinzuschüttet, wobei der charakteristische Niederschlag entsteht, und daß er schließlich durch Ziehen an einem Handgriff das Sammelgefäß entleert und ausspült, so daß es für den nächsten Versuch wieder bereit ist. Er bewirkt also innerhalb eines geschlossenen Glaskastens genau dasselbe, was ein Chemiker im Laboratorium zu tun hat, wenn er Eisen in einer Lösung nachweisen will.

Erwähnt seien hier auch besonders wertvolle Versuchseinrichtungen des Deutschen Museums, wie z. B. die Planetarien, bei welchen ich es zur Klärung der sehr schwierigen Sternbewegung im Weltall nicht für genügend hielt, wenn der Beobachter außerhalb des Planetariums steht, sondern verlangte, daß er innerhalb desselben sich befindet, wie er auch auf der Erde innerhalb des Weltalls ist.

Abb. 1. Beispiel einer Versuchsanordnung

Das geschah bei dem Planetarium, welches die scheinbare Bewegung der Himmelskörper zeigt, und das ich ptolemäisches nannte, dadurch, daß er ruhend im Mittelpunkt desselben steht, Abb. 2, und es geschah bei dem Planetarium, welches die wirkliche Bewegung der Himmelskörper zeigt (kopernikanisches Planetarium), in der Weise, daß er mit der Erdkugel auf einem kleinen Wagen zwischen den übrigen Planeten um die Sonne sich bewegt, Abb. 3.

Diese weitgehenden Forderungen wurden von der Firma Zeiß in glänzender Weise erfüllt, und zwar beim ptolemäischen Planetarium durch die geistreichen Konstruktionen von Professor Dr. Bauersfeld und beim kopernikanischen Planetarium durch die vollendete Mechanik von Oberingenieur Meyer. Die Planetarien bilden damit ein Lehrmittel ersten Ranges, das in zahlreichen Städten Nachahmung fand.

Abb. 2. Ptolemäisches Planetarium mit ruhendem Besucher im Innern der Weltkugel

Abb. 3. Kopernikanisches Planetarium mit auf Wagen durch das Weltall fahrendem Besucher

Mit der Aufstellung und der richtigen Anordnung der Museumsgegenstände, den hierfür getroffenen Betriebseinrichtungen usw. ist die Aufgabe einer möglichst eindringlichen Belehrung noch keineswegs gelöst; denn es genügt nicht, wie etwa bei einer Gemäldegalerie, eine kurze Bezeichnung der Gegenstände, sie müssen vielmehr durch schriftliche Erläuterungen, wenn nötig mit Schnittzeichnung und dgl., dem Besucher erklärt werden.

Die Abfassung gemeinverständlicher, dabei aber genügend kurzer Erläuterungen gehört zu den schwierigsten, aber auch zu den dankbarsten Aufgaben eines wissenschaftlich-technischen Museums.

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Quelle: Oskar von Miller, Technische Museen als Stätten der Volksbelehrung. Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, Jg. 1, Heft 5, 1929, S. 1-7.

Oskar von Miller, „Technische Museen als Stätten der Volksbelehrung“ (1929), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-207> [23.10.2024].