Erwin Baur, „Die experimentelle Erzeugung leistungsfähigerer Rassen unserer Kulturpflanzen“ (1927)

Kurzbeschreibung

Der Gründungsleiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung in Müncheberg, Erwin Baur (1875–1933), war Anfang des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Vertreter der Rassenhygiene in Deutschland. Sein eugenisches Denken lässt auch dieser Text deutlich erkennen, den er als Direktor des Instituts für Vererbungsforschung der landwirtschaftlichen Hochschule Berlin in Dahlem verfasste. Zudem befasste sich Baur mit der Züchtung von Nutzpflanzen, wie einer genießbaren Variante der proteinreichen Lupine: der Süßlupine. Sie sollte helfen, die Eiweißlücke zu schließen. Abschließend macht er sich für einen institutionellen Ausbau der Züchtungsforschung stark, was er auch in zahlreichen anderen Publikationen und Vorträgen wiederholte.

Quelle

Die experimentelle Erzeugung leistungsfähigerer Rassen unserer Kulturpflanzen[1]
Von Erwin Baur, Berlin.
(Aus dem Institut für Vererbungsforschung.)

[]

Die Grundlage für die Fortschritte auf dem Gebiete der Züchtung hat die Erkenntnis gegeben, daß die einzelnen Unterschiede, die zwischen den verschiedenen Rassen bestehen, unabhängig voneinander vererbt werden. Ich darf Ihnen da wohl ein ganz einfaches Beispiel vorführen, damit das Prinzip klar wird, und ich will, weil das immer etwas verständlicher ist, ein zoologisches Beispiel nehmen, obwohl ich ja eigentlich von Kulturpflanzen zu reden habe. Wenn wir ein schwarzes und ein weißes Kaninchen, die beide aus reiner Zucht entstammen, miteinander paaren, sind die Kinder aus dieser Paarung schwarz. Und wenn wir diese schwarzen Kinder untereinander sich paaren lassen, treten in der nächsten Generation, in der Enkelgeneration der ursprünglichen Kreuzung, weiße und schwarze Tiere auf. Die beiden Eigenschaften „schwarz“ und „weiß“ „mischen“ sich also nicht. Das ist die eine wichtige Feststellung.

Die andere ist die: wenn wir zwei Rassen kreuzen, die sich in zwei Dingen unterscheiden, etwa ein schwarzes Stehohrkaninchen und ein weißes Hängeohrkaninchen, dann sind die Bastarde schwarz und haben Stehohren, und in der nächsten Generation kommt das, was die Grundlage gegeben hat für die ganze moderne Züchtung, zur Erscheinung, es vererben sich die beiden Eigenschaften schwarzweiß und Steh- und Hängeohr unabhängig voneinander und verteilen sich in den überhaupt möglichen Kombinationen auf die nachfolgende Generation. Es treten dann die Kombinationen auf: schwarz mit Stehohren, schwarz mit Hängeohren, weiß mit Stehohren und weiß mit Hängeohren. Sie sehen, wir hatten zwei Unterschiede, vier Kombinationsmöglichkeiten und dementsprechend in der zweiten Bastardgeneration nun vier Sorten von Tieren.

[]

Man kann heute oft theoretisch schon ganz genau voraussagen, welche Steigerungsfähigkeiten der Leistungen in einer bestimmten Richtung möglich sind, aber die Durchführung einer solchen Züchtung setzt eine außerordentlich große, intensive Arbeit voraus. Immerhin, Sie sehen, wir sind hier aus dem Zustande der ganz rohen Empirik, des reinen Herantastens, vollkommen heraus. Wir analysieren unsere Kulturpflanzen soweit als möglich mit ausgiebigen Vererbungsversuchen. Wir kennen ganz bestimmte Erbfaktoren, die den Leistungen zugrunde liegen, und es ist heute eigentlich die hauptsächlichste Züchtungsaufgabe, die jetzt schon erkennbare beste Kombination von Erbfaktoren herzustellen. Wir wissen, daß die Pflanzen, die einigermaßen diesem unbedingt erreichbaren Idealbilde nahekommen, die schon vorhandenen besten Typen von Kulturpflanzen ganz außerordentlich an Leistungen übertreffen müssen.

[]

Es gibt noch eine Menge anderer solcher Arbeiten, die heute unbedingt in Angriff genommen werden müssen. Sie alle wissen, daß wir noch viel zu wenig eigenes Eiweiß von unseren Feldern herunterholen. Wir importieren immer noch Kraftfutter, Eiweißfutter aus dem Auslande. Wenn es uns gelingen würde, eine gelbe Lupine zu züchten, die nicht giftig ist und nicht bitter schmecken würde, wäre das ganze Problem mit einem Schlage gelöst, damit wäre auch wahrscheinlich die ganze wirtschaftliche Kalamität, mit der heute unser ganzer leichter Boden, unser ganzer Osten, zu kämpfen hat, zu einem guten Teil behoben. Also diese züchterische ist ebenfalls wirtschaftlich außerordentlich wichtig, und nach allem, was wir heute wissen, ist sie wahrscheinlich auch lösbar, aber nur, wenn man in einem Umfange die Untersuchungen ansetzt, an den heute ein privater Zuchtbetrieb absolut nicht denken kann. Es müssen für derartige Untersuchungen große Mittel flüssig gemacht werden, dann geht es; sind die Mittel nicht da, hat die Arbeit gar keinen Zweck. Entweder man macht sie richtig oder gar nicht.

[]

Wir müssen unter allen Umständen mehr Mittel für das Studium und die genetische Durcharbeitung unserer Kulturpflanzen aufwenden, und das gilt auch für die Tiere, für unsere Haustiere. Wenn wir das nicht tun, kommen wir auf diesem Gebiete dem Auslande gegenüber ganz hoffnungslos ins Hintertreffen. Allein schon auf dem Gebiete der rein theoretischen Vererbungswissenschaft sind wir in Deutschland rückständig. In Nordamerika gibt es heute schon über hundert Spezialinstitute für Vererbungswissenschaft. Jede Universität hat dort eines. In Deutschland haben wir nur zwei: das CORRENSsche Institut und mein Institut, und alle anderen, die bei uns auf dem Gebiete der Vererbungswissenschaft arbeiten, sind Professoren der Botanik und Zoologie, die immer noch nebenbei ihre ganze übrige Berufstätigkeit haben und vor allen Dingen nicht die Mittel haben, experimentell auf diesem Gebiete so zu arbeiten, wie sie es möchten. Besonders fehlen bei uns spezielle Institute für die Durcharbeitung von Kulturpflanzen und Haustieren vollkommen. Allein in Rußland wird für diese Zwecke mindestens zehnmal soviel aufgewendet als bei uns. Es ist für uns beschämend, aber es hat gar keinen Zweck, da Vogel-Strauß-Politik zu treiben. Es besteht z.B. in Rußland ein sehr großes Institut für züchterische und genetische Arbeiten mit Kulturpflanzen mit einem Jahresetat von 1,2 Millionen Goldrubeln. Das ist eine zehnfach größere Summe, als in Deutschland für die sämtlichen genetischen Arbeiten überhaupt aufgewendet wird! Ähnlich liegen die Dinge in anderen Ländern. Vor allem Nordamerika leistet, wie ich vorhin schon sagte, auf diesem Gebiete außerordentlich viel, und es ist für uns eine absolut notwendige Aufgabe, daß wir diese Scharte auswetzen und versuchen, wieder Anschluß an die große Wissenschaft draußen zu gewinnen, sonst kommt unter allen Umständen hinter dem wissenschaftlichen Nachhinken auch ein wirtschaftliches Nachhinken, und das ist das, was wir heute am allerwenigsten ertragen können.

Anmerkungen

[1] Vortrag, gehalten im Anschluß an die Hauptversammlung der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften am 26. Juni in Dresden.

Quelle: Erwin Baur, „Die experimentelle Erzeugung leistungsfähiger Rassen unserer Kulturpflanzen“, in Die Naturwissenschaften, Fünfzehnter Jahrgang, Heft 36 (9. September 1927), S. 721–25.

Erwin Baur, „Die experimentelle Erzeugung leistungsfähigerer Rassen unserer Kulturpflanzen“ (1927), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-23> [05.12.2023].