Ein deutsches „Picnic im Wald“ als zivilisatorischer Einfluss auf die US-amerikanische Kultur (1896)

Kurzbeschreibung

Die Quelle schildert ein Picknick des deutschen Arbeitervereins in Chicago 1896. Man unterhielt sich bei Musik, Bier und Tanz und schwärmte vom deutschen Wald, der neben Sprache, Bescheidenheit und dem Feiern-Können als Symbol für Deutschsein galt. Deutsche aus verschiedenen deutschen Regionen schlossen sich zur imagined nation im Ausland zusammen. Das Fest integrierte auch junge AmerikanerInnen, doch unterschied der Text, indem er die Deutschen als sportlicher und anmutiger beschrieb.

Quelle

Picnic des Arbeitervereins der Desplaineshalle in Ogdens Grove

Ogdens Grove. — Kaffee und Topfkuchen. — Beim Glase. — Musik und Musikanten. — Ach ich bins so müde etc. — Tänzerinnen und Tänzer. — Jung Amerika tanzt auch und wie!. . .

„Nimm deinen Weg nach Nordavenue, hinauf, bis zur Halstedstreet; gehe dieser Straße nach, rechter Hand, bis du gelangst zur Willowstreet; dort wende dein Angesicht gen Sonnenniedergang, hebe deine Augen auf und du wirst schauen die Gipfel grüner Bäume, dorthin schreite deinen Pfad bis zum Eingang; tritt getrost ein durch die Pforte — und Schatten des Waldes wird dich kühlend umgeben.“ — So hatte mir ein Freund den Weg nach Ogdens Grove beschrieben.

„Waldesschatten!“ wer könnte dieser Verheißung widerstehen? ich machte mich auf gen Ogdens Grove; schon in Halstedstreet schallte mir der Klang jubelnder Hörner entgegen und ließ mich meine Schritte beschleunigen. Richtig, der Ruf der Hörner dringt dort aus dem Waldesgrün! —

Sonneschein, Waldesgrün, Waldesschatten, Hörnerklang! am Sonntagnachmittag, was wünscht ein deutsches Herz sich mehr?! — Ein gut Glas Bier! —

„Landsmann“, fragte ich den Cassierer, der meine 15 Cents entgegennahm, „habt ihr hier denn auch‘n Druppen Bier?“

„Oh. plenty!“ antwortete der Holsteiner . .„und muntere Gesellschaft dazu!“

Der Arbeiterverein der Desplaineshalle feierte ein „Picnic“ in Ogdens Groves Eichenhallen und hatte sich mit Weib und Kind zahlreich eingefunden, auch das Publikum feierte so zahlreich mit, daß sämmtliche Tische und Bänke besetzt waren.

Muntere Gruppen überall, hier befreundete Familien beim Sonntags-Nachmittags-Nektar, extra steifen Kaffee, und notwendig dazugehörender Ambrosia in Gestalt von „Stippels“, Topf- und Butterkuchen. Dort, in allen Dialekten des lieben, deutschen Heimatlandes mit- und durcheinander schwatzend und schwätzend . . . und Bier trinkende Gruppen von jungen und alten Männern . . . Daß es an einer großen Schaar „hüpfender und springender Jungs und Dirns“ . . . nicht fehlte, versteht sich natürlich von selbst; darin sind ja nun einmal die Deutschen ganz und gar überein . . . Aber boys und girls „jumpten“ auch mit unter den Bäumen herum.

Die Musik machte zur Zeit eine Pause; aber die Musikanten . . . waren fleißig beim Biere . . . dann aber kletterten sie wohlgemuth . . . wieder hinauf zum altersschwachen Musiktempel und lustig klang alsobald Horn, Flöt‘ und Fidel durch den Wald . . . Von allen Seiten stürmte es hinauf auf die Tanzbrücke . . . Schlanke jugendkräftige Gestalten: die jungen Mädchen im besten Sonntagsschmuck, einfach, geschmackvoll, elegant, nach Mitteln und Kräften, doch durchaus nicht auffallend costümirt. Die wenigen jungen Damen mit Tituskopf- Frisuren und der griechischen „Bebändelung“ gehörten anscheinend dem celtischen oder anglo-amerikanischen Stamme an, waren aber deswegen nicht weniger schmuck; die Geschmacksrichtungen sind ja nun einmal verschieden . . . Das ganze Deutschland, vertreten . . . von der „Seekant“ bis zum hohen Schwitzerland, tanzte hier vereint . . . Jung Amerika war auch dabei; aber diese, gewöhnlichen Gangs doch so lang und schlank ausschreitenden, langen Jünglinge, hier beim Tanzen . . . ängstlich angeklammert . . . ganz entsetzlich, krampfhaft . . . als sei ihnen Tanzen als schwere Strafe auferlegt . . . Tact und Tacthalten scheint Jung-Amerika’s Ohren und Füßen gänzlich verborgen zu sein. Mein heut‘ erworbener jüngster Freund, ein Hannoveraner, wußte seine langen Beine besser zu gebrauchen . . .

Ha! nichts geht den Deutschen doch über ein Fest im Walde unter Eichengrün! Das haftet uns noch an vom Waldleben unserer Voreltern . . . Ich vergaß, daß ich so weit, weit entfernt vom Heimatland unter fremden Eichen ein Fest feierte, tauschte mit Vielen manch munteres Wort und war fröhlich mit Fröhlichen. Leider sollte ich gar bald wieder an die Wirklichkeit, an mein Fremdlingsdasein erinnert werden; warum bin ich auch so schwerfällig und weiß mich so wenig in hießige Verhältnisse zu fügen!

Quelle: Der Westen, 22. Juli 1869; abgedruckt in Hartmut Keil, Hrsg., unter Mitarbeit von John B. Jentz, Deutsche Arbeiterkultur in Chicago von 1850 bis zum Ersten Weltkrieg. Eine Anthologie. Ostfildern: Scripta Mercaturae Verlag, 1984, S. 214–15. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Scripta Mercaturae Verlag.

Krista O’Donnell, Renate Bridenthal und Nancy Reagin, Hrsg., The Heimat Abroad: The Boundaries of Germanness. Ann Arbor, MI: University of Michigan Press, 2005.

H. Glenn Penny und Stefan Rinke, „Germans Abroad: Respatializing Historical Narrative,“ Geschichte und Gesellschaft 41 (2015), S. 173–96.

Ein deutsches „Picnic im Wald“ als zivilisatorischer Einfluss auf die US-amerikanische Kultur (1896), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-222> [05.12.2024].