Die „Germania“ des Tacitus in deutsch-humanistischer Rezeption: Johann Eberlin von Günzburg, Ein zamengelesen buochlin von der Teutschen Nation (1526)

Kurzbeschreibung

Der antike Autor Tacitus (ca. 58–120) verfasste mit „Germania“ eine Studie über die Germanen, um die römischen Eliten davon zu überzeugen, dass die Germanen besiegt und unterworfen werden müssten, weil sie dem römischen Imperium ansonsten gefährlich werden würden. Von den deutschen Humanisten wurde Tacitus wiederum rezipiert, um einen Mythos der Germanen zu erschaffen. Johann Eberlin von Günzburg (ca. 1470–1533) war ein lutherischer Prediger und Verfasser reformatorischer Flugschriften. Er ist der erste, der sich um eine Übersetzung des antiken Textes ins Deutsche bemühte, allerdings ist diese nie im Druck erschienen. Tacitus‘ Schrift wird den deutschen Lesern hier als Einblick in eine nationale Vergangenheit vorgestellt, die jedoch nachträglich konstruiert war.

Quelle

Es ist schimpflich, das ain Teuseh Teutscher Mann, so gar nichts wisse von seiner Nation zů wi sagen vnd gedencken, dar vmb thuͮe ain ieglicher fleis, diser loblichen Nation Anfang, furgang, Redliche handlungen vnd zůfällige schäden, auch widerwere an tag zů bringen, andernn zůr vnderweisung vnd warnung.

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Die teutschen haben jhr reichtumb am vihe vnd haben mer acht auff die vile dan auff die hüpsche. Die teutschen haben gemainklich trutzige ougen har, vnd grosse corper alain zů aim gwalte touglich.

Die teutschen Mogen den durst vnd hitz wbel leiden, aber wol kelte vnd hunger aber wol. Jhr land ist wäldig und pfitzig. Gegen den Galliernn, ists feuchter, de gegen Nor Noricum vnd Pannoia windig. [Noricus ist das land zwischen der Tonaw vnd Behemer bald vom fueß an biß an vnger Osterreich.] Jst gnůg fruchtbar, hat aber on daß hat nit fruchtbar bawm, vil hat vil vihe aber klain vnd vngestalt. Jhre reichtumb ligt am vihe, haben mehr acht auff die vile dan auff die hüpsche.

Sie haben auch vil eysen eysen nit vil eysin, das sicht man wol an jhrem gschoß wol. Wenige gebrauchen sich der schwerter oder grossen lantzen. Sie haben spieß, die sie frammea nennen [vileicht nent man daher ainen pfriemen an neben neben dem messer aufm tegen], wilche kurtze vnd wenig eysin haben, aber spitzig, vnd gebrauchlich, das sie da mit ferr vnd nach fechten mögen. Ein reitter hat ain sollichen spieß vnd ain schilt, Der Die fůßknecht hat haben ain gschoß (die sie werffen) vnd ain ietlicher hat deren vil. Send nackent, oder haben kittel an kurtze kittel an, da ist kain gepreng jn klaidern. Alain die schilt streichen sie hupst mit auß mit farben. Wenig tragen bantzer, kom, ainer oder Zwen haben beckelhauben oder helm.

Sie haben nit hupsche noch schnelle pferd. man leret sie auch nit sich hervmb dreen wie vnsere pfert. Sie reitten ln aim hauffen vnd ringk, also das kainer der letst ist, vnd halten, die fůßknecht seyen weerlicher, dar vmb mischend sie reitter vnd fůß volk vnderainder. Das fůß volk erwölen sie auß den besten Junglingen, vnd stellends fornen an spitz. vnd der fůß knecht ist ain bestimpte zall. Man nympt auß ietlichem dorff hundert, Vnd wilcher ainer auß den erwolten ist, wurt fur ehrlich gehalten. [Sie baweten jhre heuser an die bch, fur auff darv vnd ain ietlicher bach gab hundert. hie wurt dorff fur alle heuser genommen die an aim buch ab vnd ab ligen] Die heer spitzen machen sie also, das sie er fornen schmal ist vnd dar nach mehr vnd mehr braitter. Sie haltens da fur wan ainer neben sich trit jh (doch das er wider antrett) sey mer ain klůgheit dan ain forcht. Welche ers Der erschlagnen Cörper füren sie mit sich haim, auch jn gferlichen kriegen. Die höchst wbelthat vnd schand ists, wan ainer seynen schilt verlieret, ain sollicher darff darnach zů kaim gottis dienst noch zů kainer andern versamlung kommen. Es haben sich auch vil vor scham gehenckt.

Einen könig erwölet man nach dem Adel, aber die fursten, nach der stercke vnd loblichen thatten. Die konig haben nit ain vngemessen freyen gwalt. Die fursten fleissen sich mehr vor zů stehn mit thatten, dan mit gebotten, wan sie behendt, loblich vornen am spitz stondt, so hält man vil auff sie. Alain die pfaffen dörffen straffen, binden oder schlahen ain wbelthätter, Auch das nit alß auß gebot fe befelhe ains fursten, noch aIß zůr peen fur ain peen menschliche straf, sonder alß auß dem geheiß gottis wilcher (als sie glouben) be jhnen bey stand thůt jhm krieg, vnd trag nemend etliche bid bilder vnd zaichen auß den geweichten welden, die sie mit sich jn krieg tragend.

Das thůt vil zů raitzung der stercke, das man die erste glider jhm heerhauffen nit ongefar macht [Sie louffen nit zamen on ordnung wie die schaff!], aber nach ordnung der gschlecht, vnd gfrainden, dar nach jhre Sune, also das man mög horen die weiber vnd vnmundigen kindlin wainen, wilche gegenwertig send alß gwisse zeugen, vnd die grösten lober vnd preiser. Wan sie haim kommen, zaigen sie jhren mttern vnd weibernn die wunden, dan zelen sie die wunden vnd wans die sune vnd männer nit selbs weisend, so erfoderens die weiber von jhnen, vnd die můtern. Die mtternn vnd weiber tragen speiß vnd vermanungen jhns heer.

Man lißt auch, das oft ain hauff erlegen was, vnd dem vnder ligen nache, aber die weiber sterckten sie mit bitten mit anzaigung-kunft zaigtend jhre bruste, das sie wollen gedencken, wo sie vnderliegend, so miessten sie gefangen lewt sein, Dan die teutschen mogen sonderlich nit leiden das jhre weiber gfangen werden.

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Wan jn ainer Stat die lewt lang frid gehabt haben [Lands Knecht!], so ziehen die edlen Jungling jn andere land da krieg ist, (dasn die teutschen mogen nit frid rẘ haben) das sie jn gfarlichen sachen dester achtbarer werden. Der furst gibt jhnen auß gnaden, p das kriegs pferdt, vnd den s blůtigen sighaftigen spieß [Das ist, die fursten geben jhren gsellen, pferd vnd harnisch!], Die zeche vnd praß, oder profant (wie wol welche nit scheinbar aber reichlich send) gibt man jhnen vmb jhren sold. Die fursten Sie wberkommen jn kriegen vnd durch rouben, so vil, das sie mogen milt vnd freygäbig sein. Sie send nit so gnaigt zů pflůgen vnd der erer erm erend zů warten, alß den veind zů raitzen vnd nach wunden zů stellen. Sie haltens für ain fawl vnärtig ding, das die narung durch schwaiß zgwinnen, so mans durchs blůt erlangen mag [Vnchristlich!].

Wan sie nit kriegen, so fleissen sie sich nit vil der Jägerey des iagens, aber sie gohnd miessig, essent, schlouffend, auch die sterckesten vnd streitbarste, vnder jhnen. Das haußhalten, der götter dienst, vnd den die den akkerbau, befelhen sie den weibernn, den alten, vnd den schwachen. Sie haben ain wunderlich natur wider wertige natur, sie mögen weder rẘ noch arbeit haben.

Die Germanier wonent nit jn Stätten, sie bawen auch die heusör nit nach zů samen. Jetlicher wonet wa er will, wa er ain brünnen, ain feld, ain wald findet. Sie machen nit dörffer wie wir, ain hauß am andernn, aber ietlicher macht ain hoffraite vmb sein hauß, aint weder für gfarlichait des fewrs, oder aber daß sie nit wissen zů bawen. Sie h gebrauchen weder mergel no kalch noch schindel. Alle ir materi ist vngestalt vnd vnlustig on lust. Etliche örter klaibend sie fleissiger dan andere, also klar vnd scheinbarlich, als weren sie gemalet. Sie machen tieff grůben vnder der erden vnd deckens mit vil mist zů, dar yhn sie sich jhm winter mit den fruchten vnd traid sich erhalten, vnd da mit behalten sie das s ir, auch vor den veinden, die nach dem verborgen nit fragen. [Schlösser!]

Sie tragen kittel, bindens zamen mit ainer haften oder mit aim dornn, sonst send sie bloß, vnd sitzen den gantzen tag beim fewr. Die reichesten send vnderschaiden durch klaidern, haben aber nit weitte klaider wie die Sarmaten vnd Parther, aber enge so enge das man alle glider glidmassen da durch mag kennen.

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Quelle: Ein zamengelesen buochlin von der Teutschen Nation gelegenheit, Sitten vnd gebrauche, durch Cornelium Tacitum vnd etliche andere verzeichnet (1526), herausgegeben von Achim Masser. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft/Germanistische Reihe 30. Innsbruck: Institut für Germanistik, 1986, S. 33, 45, 47, 49, 55, 57. Mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Germanistik, Innsbruck.

Caspar Hirschi, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Göttingen: Wallstein Verlag, 2005.

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Die „Germania“ des Tacitus in deutsch-humanistischer Rezeption: Johann Eberlin von Günzburg, Ein zamengelesen buochlin von der Teutschen Nation (1526), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-251> [01.12.2023].