Konversionsbericht: vom Judentum zum Christentum (1775)

Kurzbeschreibung

Die Konversion von Jüdinnen und Juden als Möglichkeit der Integration in die christliche Gesellschaft bedeutete meistens zugleich den Ausschluss aus der jüdischen Herkunftsgesellschaft. Für Friederica Paulusin war der Glaubenswechsel vermutlich ein besonderes Wagnis. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie und musste zur Verwirklichung ihrer Konversionsabsicht die Sicherheit des Elternhauses verlassen.

Quelle

Gütgen Steinhardin einer jungen Jüdischen Tochter nun aber, nach der, durch Gottes Gnade! mit Oberherrl. Erlaubnis den 25 Januar 1775. in der Kirche zu den Barfüßern erlangten heiligen Taufe Friederica, Elisabetha, Maria, Salome, Agnes, Margaretha Paulusin, gröstentheils selbst gefertigte Lebens-Geschichte und Glaubens-Bekenntnis zu christlicher Erbauung, vorgelegt von dem Taufer Diac. Laur. Herold. Nürnberg: gedruckt und zu finden bey Georg Friedrich Sir. [1775].

Lebensumstände.

Die wunderbaren Wege, welche der barmherzige Gott, manche in der Irre herum gehenden Seelen führet, zeugen von Ihm, daß Er gut und fromm ist, und daß Er sich das wahre Wohl seiner vernünftigen Geschöpffe bestens empfohlen seyn lässet. Dies erkenne ich aus meiner eigenen bisherigen Lebensgeschichte, die ich, nach meiner Schwäche im Denken und Schreiben, mittheile. Ich bin zu Bintzwang bey Dillingen, im Jahr 1752 von jüdischen Eltern geboren. Mein schon über 12 Jahre verstorbener Vatter, hies Juda Steinhard, und meine noch lebende Mutter, ist unter dem Namen Schönla bekannt. Diese geliebten Eltern unterliesen nicht, alles nur mögliche zu thun, was meine gute Auferziehung erfoderte. Sie versorgten mich, als wohlhabende Leute, nicht nur mit Nahrung und Kleidung reichlich; sondern liesen auch meinen Verstand, nach ihrer Art, wohl bilden. Zu dem Ende liesen sie mir, durch einen deswegen in ihr Haus geruffenen Präceptor, hebräisch lesen lernen. Dieses geschahe aber ohne den geringsten Unterricht in der Religion oder in den Glaubensartikeln; weil es nicht Sitte ist bey den Juden den Mädgen etwas von der Religion beyzubringen. Die Ursache von diesem unbarmherzigen Verfahren gegen die armen Mädgen, ist in dem Talmud zu finden, welcher sagt: Wenn jemand ihnen etwas von der תורה oder Gesatz lernet, das heiß so viel, als lernete man ihnen Hurerey. Daher erfahren die wenigsten etwas von der Religion, und müssen sich damit begnügen lassen, wenn sie nur hebräisch lesen können, ohne ein Wort davon zu verstehen. Da ich nun 9 bis 10 Jahr alt war, und lesen konnte, starb, zu meinem grösten Leidwesen, mein Vater im Jahr 1762. Unter den Veränderungen, die in unsrer Haushaltung, durch den Todesfall meines Vaters, vorgiengen, war auch diese, daß ich aus der Schule blieb, und gelehrt genug war. Meine Mutter nahm mich nun in die Unterricht in den Haushaltungsgeschäften. Sie hielt mich fleißig an zur Beobachtung des Mädgengottesdienstes, der in vielen lächerlichen und abgeschmackten Ceremonien bestehet. Von den Christen und dem Stifter ihrer Religion wurden mir die thörichtesten Dinge beygebracht; so daß ich damals einen Abscheu vor dieser Religion haben muste. Und ich würde mich auch gewiß nicht zu derselben bekannt haben, woferne mich nicht der heilige Geist aus Gnaden! mittel- und unmittelbarer Weise, erleuchtet hätte: woferne Er mir nicht meine Blindheit und Armuth so deutlich zu erkennen gegeben hätte, daß ich ganz anders Sinnes werden muste. Je gelassener ich nun der vorlauffenden Gnade Gehör gab, desto mehr dachte ich: daß Gott unmöglich so abgeschmackte Gesatze, als diejenigen sind, die ich beobachtete, habe verordnen können. Ich dachte bey mir selbst: Du verehrest und betest Gott schlecht an; denn du darfst in keine Schule gehen, es seye denn, daß der Haman erschlagen wird, oder das jüdische neue Jahr angehet. Darüber wurde mein Gewissen nicht wenig rege, so daß ich zu Gott, der mein Herz kannte, vielmals sprach: Lieber Gott! durch was soll meine Seeligkeit befördert werden, da ich Dich so schlecht verehre? ich habe doch auch eine Seele, die gen Himmel fahren will? Warum hast Du nicht auch dem weiblichen Geschlechte Gesatze gegeben, wobey es Dich verehren und seelig werden kann? Ach! es wird schlecht mit unserer Seeligkeit aussehen; weil unser ganzes Geschäfte mehr viehisch als menschlich ist. Mit diesen und dergleichen Gedanken wurde ich immer gemartert, und fand grosse Unruhe in meinem aufgewachten Gewissen. Ich kam auch dann und wann unter Christen, die mir mit starken Gründen allerley Vorwürffe machten. Unter andern gieng mir dieser am nähesten, wann sie sagten: daß wir Juden schon über 1700 Jahre vergeblich auf den Messias warteten, da Er doch würklich gekommen seye. Sie erklärten mirs auch umständlich, daß ich es für recht wahrscheinlich hielt. Ich entschloß mich dahero im Namen des Herrn, eine Ursache zu erdichten; um mit guter Manier von meiner Familie entweichen zu können, sodann christliche Leute zu suchen, die mich unterrichten und zu meiner Taufe Anstalt machen möchten. Und in diesem Gedanken wurde ich immer fester; weil ich aus vielfältiger Erfahrung wuste, daß schon Kinder von sechs Jahren bey den Christen zum Kirchgang und andern gottseeligen Uebungen anghalten werden, welches mir überaus wohlgefiel. Nachdem ich nun ein erdichtetes Einladungschreiben von meiner Freundschaft zu Fürth, welches mir mein Liebster verfertigen muste, in den Händen hatte; so kam ich damit zu meiner Mutter, und flehte sie: sie möchte mir doch erlauben, diese meine Freunde (d. i. den Rabbi zu Fürth) noch vor der Hochzeit zu besuchen, und zugleich einzuladen. Ich erhielt endlich die gewünschte Erlaubnis, und setzte mich, nach einem kurzen Besuch bey meiner Schwester in Kriegshaber, unter dem Vorwand meine Freunde zu besuchen, zu Augspurg auf den Postwagen, der nach Nürnberg gehet. Meine zween Brüder begleiteten mich ein Stückwegs, musten mich aber endlich verlassen. Zum Glücke, und nicht ohne göttliche Bestimmung, von diesen verlassen, betete ich herzlich, (weil ich nicht wuste, wohin ich mich wenden sollte) daß mich Gott den besten Weg führen möchte - - Auf dem Postwagen (daß ich auch hier das über mich wachende Auge der Vorsehung preisse) saßen verschiedene christliche Personen, welchen ich meine Angelegenheit und meine Begierde zur christlichen Religion entdecken konnte. Kaum war dieses geschehen, so verhies mir eine ansehnliche Person, daß sie mich Ihro Majestät seiner Königin vorstellen wollte: welche Gnade ich aber, als ein schüchternes Judenmädgen, in aller Demuth verbat. Je gewisser ich nun wuste, daß ich an diesem erwünschten Reisegefehrten einen Vertheidiger hatte, desto offenherziger fragte ich ihn um Rath. Er rieht mir, schnurstracks mit ihm nach Nürnberg zu fahren, wo mir von den daselbst wohnenden Christen gewiß hülfreiche Hand geleistet würde. Ich fuhr also, auf diesen Rath nach Nürnberg, und stieg den 26. April an. praet. im Gostenhof ab; wo mir der redliche Wirth, dem ich mein Verlangen sogleich entdeckte, jemand an die Hand gab, der mich zu dem Diac. Herold bey Lorenzen, führen muste. Gerührt von meinem Elende und Verlangen, und nachdem der Herr mir ein wohlthuendes Haus eröfnet, darinnen ich mitleidig aufgenommen worden, (welches Glück ich nimmermehr vergessen will) hat dieser Diac. mir die Gnädige Erlaubnis zu dem Unterricht erbetten. Und der himmlische Vatter, der da weiß, was mir bedürffen, erweckte mir auch andere wohlthuende Christen, die mir wechselsweise Speise und Trank gaben, und mich mit Rath und That unterstützten; so daß ich billig ausruffe: Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an mir gethan hast! so daß ich billig dankbar flehe: Herr thue wohl den guten und frommen Herzen! Ps. 125, 4. Nachdem ich nun um das Leibliche unbesorgt seyn durfte, fieng ich, unter Anweisung meines Wegweisers, an, die deutsche Sprache zu lernen. Kaum konnte ich buchstabiren und lesen, so wurde mir das Gebet des Herrn Messias, das Er seinem Volke vorgeschrieben, catechetisch leicht vorgetragen; denn ich war vor allen begierig nach dem Sinn des Herrn Messias beten zu können. Nach diesem lernte ich den kleinen Catechismus, und hörte ihn von Stück zu Stück, aus der heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments erklären. Die Beweise, die ich, auf Bestimmung, aufschlagen und zu Hause lernen muste, gaben mir eine solche Ueberzeugung, daß ich nach wenig Wochen, eine vollkommene Seelen- und Gewissensruhe fand. Jesus Christus, der längst gekommene Weltheiland, wurde mir so deutlich vor Augen gemahlet, daß ich Ihn nothwendig für meiner Seele Heyl erkennen muste; daß ich Ihn lieben muste, Ihn, der mich liebte, ehe ich Ihn kannte; daß ich Ihm Treue bis in den Tod zuschwören muste. Geseegnet seye der Augenblick, da ich aus göttlicher Ueberzeugung sagen konnte: ich habe den beynahe 4000 Jahr lang verheissenen und abgeschatteten Messias funden! den Sohn Gottes! den König von Israel, der in der Fülle der Zeit, Fleisch wurde! und der in keiner andern Absicht in die Welt gekommen ist, als thuend, leidend und sterbend, die Sünder seelig zu machen. O wohl mir, bey diesem vorausgesetzten Wissen, daß auch ich sagen kan: ich bin eine glaubige Sünderin, die der Heiligung nachjaget! Wohl mir, daß ich weiß, der Herr Messias, will mich, Kraft seines Verdienstes, schon in dem Heilbad gerecht und seelig machen. Auf dieses freuete ich mich, hörte aber von meinem Wegweise, daß er mich nicht so schleunig tauffen, sondern eine ausgebreitetere und lebendigere Erkenntnis bey mir erwarten wollte. Erschrocken über diese Antwort, stellte ich Ihm die Ungewißheit des Todes vor; konnte aber die heilige Taufe dadurch nicht befördern, sondern erhielt nur diese Antwort: wenn dich der Herr schnell mit einer tödtlichen Krankheit heimsuchen sollte, so bin ich bereit und verbunden, dich augenblicklich zu taufen, geschiehet dieses aber nicht, so will ich warten, bis du so viel weißt als eine getaufte Christin, die ihrem Taufbund gemäß leben soll, wissen muß. Ich war damit zufrieden, empfahl dem Herrn meine Wege, und hofte auf Ihn. Von diesem Zeitpunct an, lernte ich für mich, den Catechismus mit der Auslegung, hörte die Heilsordnung vollständiger erklären, und übte mich auch täglich in dem fertigen Lesen und Forschen der heiligen Schrift. Gepriesen seye der Herr! Der mich, durch wunderbare Wege, aus dem finstern Judenthum, zu dem hellscheinenden Licht des Evangelii gebracht hat. Der mich, ohne mein Verdienst, blos nach seiner Barmherzigkeit, aus einem Kind des Zorns, zu einem Kind der Gnade und Erbin des ewigen Lebens machet! Sollte ich dieses nicht Reichthum! Reichthum der Güte und Gnade nennen? O Gott Vater! erhalte mich nur ferner in deiner Gnade; denn ohne sie bin ich eine tode und verdammungswerthe Kreatur.

Heilige und befestige mein Gemüthe, o Jesu von Nazareth! wahrer Messia! daß ich von der Wahrheit deiner Gottheit allezeit göttlich überzeuget bleibe! Und Du, o heiliger Geist! heilige mich durch und durch, daß ich allezeit heilig leben! meinen Heiland auf Erden dadurch verherrlichen! das Ende meines Glaubens davon bringen! und freudig auf dem Richtstuhl sehen möge den kommenden Messias! welchen jene, meine Voreltern, zerstochen haben! Ja schaffe, daß ich mit dem eingenthümlichen Volke Jesu, allezeit sagen kann:

Der Herr ist unser Richter,
Der Herr ist unser Meister,
Der Herr ist unser König,
Der hilft uns. אמן

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Nun wolan, Gütigen Steinhardin, wie ich dich zum letztenmal nenne, dir sollen künftig, zu einem Zeugnis und Gedächtnis der heiligen Taufe, die du jetzt empfangen sollst, von den schönen Vornamne der gehorsamst erbettenen Theuersten Frauen Taufpathinnen, folgende christliche Namen beygelegt werden:

Friederica, Elisabetha, Maria, Salome, Agnes, Margaretha!

Und zur lehrreichen Erinnerung an den heutigen Tag, der von Pauli-Bekehrung den Namen trägt, sollst du, Paulusin, heissen! –

Komme nun,

Friederica, Elisabetha, Maria, Salome, Agnes, Margaretha Paulusin,

im Namen des Dreyeinigen Gottes hieher! –

Hierauf gieng der Taufactus vor nach Agendorum p. 62-71. lin. 1. und 2. mutandis mutatis.

Lied: Gott Vatter, Sohn und heilger Geist sc. v. 1. Und 7.

Gebet.

Quelle: Gütgen Steinhardin einer jungen Jüdischen Tochter nun aber, nach der, durch Gottes Gnade! mit Oberherrl. Erlaubnis den 25 Januar 1775. in der Kirche zu den Barfüßern erlangten heiligen Taufe Friederica, Elisabetha, Maria, Salome, Agnes, Margaretha Paulusin, gröstentheils selbst gefertigte Lebens-Geschichte und Glaubens-Bekenntnis zu christlicher Erbauung, vorgelegt von dem Taufer Diac. Laur. Herold. Nürnberg: gedruckt und zu finden bey Georg Friedrich Sir. [1775], S. 3–11 und S. 40) Online verfügbar unter: https://www.digi-hub.de/viewer/image/BV044261932/1/LOG_0000/

Gesine Carl, „‚Ich beschlos zu fliehen. Aber wohin? das wust ich nicht.‘ Konversionen von Juden zum Christentum und Mobilität im 17. und 18. Jahrhundert“, in Henning P. Jürgens und Thomas Weller, Hrsg., Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 81). Göttingen, 2010, S. 337–54.

Anne Kathrin Helbig, „Konversion, Kindheit und Jugend—Taufen jüdischer Kinder im 18. Jahrhundert“, WerkstattGeschichte 63/12 (2013), S. 45–60.

Konversionsbericht: vom Judentum zum Christentum (1775), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-256> [23.10.2024].