Die „deutsche Nation“ protestantisch: Ulrich von Hutten (1520/21)

Kurzbeschreibung

Die protestantische Kritik am Papst und der papsttreuen Kirche konnte von Anfang an auch patriotische Züge annehmen, wie bspw. in den Polemiken von Ulrich von Hutten (1488–1523). Hutten war ein bereits zeitgenössisch viel gedruckter und viel gelesener humanistischer Autor, der in seinen Schriften Humanismus und deutschen Nationalismus verband. In den folgenden Texten—einer ein Gedicht, der andere ein Prosawerk—stellt Hutten die deutsche Einheit als durch den katholischen Glauben und seine Orientierung an Rom gefährdet dar.

Quelle

Ulrich von Hutten, Klage und Ermahnung gegen die Gewalt des Papstes (1520)

Wir wollens halten ingemein.
Laßt doch nit streiten mich allein.
Erbarmt euch übers Vaterland,
ihr werten Teutschen, regt die Hand.
Jetzt ist die Zeit, zu heben an
um Freiheit kriegen, Gott wills han

Herzu, wer Mannesherzen hat,
gebt fürder nit den Lügen statt,
damit sie han verkehrt die Welt.
Vor hat es an Vermahnung gfehlt
und einem, der euch sagt den Grund,
kein Lai euch damals weisen kunnt,
und waren nur die Pfaffen glehrt,
jetzt hat uns Gott auch Kunst beschert,
daß wir die Bücher auch verstahn.
Wohlauf, ist Zeit, wir müssen dran.

Da uns die Schrift noch unbekannt,
da hattens alls in ihrer Hand,
und was sie wollten, war der Glaub,
das Volk sie machten blind und taub,
ward bald ein Schlechter überred,
die Wahrheit schmählich untertret.
All Predigt war auf ihren Nutz,
da leid die Wahrheit manchen Stutz.
Denn wer die sagen wollt und lehrt,
ward von demselben bald gefährdt.

Wer weiß, was jedem ist beschert,
wir haben ja viel Leut bekehrt.
Darum ich hoff, es hab nit Not.
Wär mir denn schon gewiß der Tod,
noch wollt ich als ein frommer Held
bei Wahrheit setzen Spieß und Schild
und den Tyrannen widerstreben,
vor welchen niemand frei mag leben.
Die schrecken uns mit ihrem Bann,
den mancher fürcht und geht von dann,
ich bin des aber nit gesinnt,
wiewohl sie handeln fast geschwind.

[]

Um Geldes willen und um Gut
den Bann man jetzo üben tut.
Das ist nit recht und wider Gott,
denn bannen ist die letzte Not,
wann helfen will kein Straf noch Lehr,
und sich der Sünder nit bekehr,
ist doch vorhin so oft vermahnt,
alsdann er rechtlich wird verbannt.
Wer aber jetzt die Wahrheit sagt,
mit Bannen den man bald verjagt.
Das ist nit göttlich und nit recht
und der nit solches widerfecht
mit Gott er übel wird bestahn,
des will ich ihn gewarnet han.
Und hör nit auf, ich schrei und gilf,
bis man der Wahrheit kommt zu Hilf,
und schicket sich zu diesem Krieg.
Wer weiß, ob ich noch unterlieg.
Am Rechten sind die worden zag,
drum denken sie mir heimlich nach.
Man soll noch sehen seltsam Schrift.
Nächst wollen sie mir schenken Gift.
Gott half mir auch an einen Ort,
daß man mich heimlich nit ermordt.

[]

Jetzt klag ich teutscher Nation,
hab ichs verschuldt, man geb mir Lohn.
Kein Recht ich nie geflohen bin,
und wär zu Rechten noch mein Sinn.
Dieweil sie aber brauchen Gwalt,
so bin ich auch dargegen gstalt,
und hoff, man werd mich lassen nit
und werd der Wahrheit helfen mit.

[]

Herzu ihr frommen Teutschen all,
mit Gottes Hilf, der Wahrheit Schall,
ihr Landsknecht, und ihr Reuter gut,
und all die haben freien Mut,
den Aberglauben tilgen wir,
die Wahrheit bringen wieder hier.
Und weil das nit mag sein in gut,
so muß es kosten aber Blut.
Da nehm ich ihm kein Bschwernis ab,
wiewohl ichs selbst gescheuet hab,
hofft zu erfinden ander Maß.
Nun aber nit will helfen das,
so muß man tun, was fügen will.
Wohlauf, es ist die Zeit und Ziel.
Wir haben Schimpfs gehabt genug,
und sehen nun ihr List und Btrug,
glaub niemand fürder mehr ihr Sag.
Die Wahrheit liegt am hellen Tag.
An dieser Sach kein Mann verzag.

[]

Drum her, ihr Teutschen, nehmt ein Herz,
ihr habt gelitten großen Schmerz;
daß Müßiggänger sonder Zahl
in Freuden lebten überall,
die weder Leuten nütz noch Gott,
des leiden ander Armuts Not.

[]

Die Lügen wolln wir tilgen ab,
auf daß ein Licht die Wahrheit hab,
die war verfinstert und verdämpft.
Gott geb ihm Heil, der bei mir kämpft.
Des hoff ich, mancher Ritter tu,
manch Graf, manch Edelmann dazu,
manch Bürger, der in seiner Stadt
der Sachen auch Beschwernis hat.
Auf daß ichs nit anheb umsunst.
Wohlauf wir haben Gottes Gunst.
Wer wollt in solchem bleiben dheim?
Ich habs gewagt, das ist mein Reim.

Ulrich von Hutten, Deutschlands Leiden und Hoffnung (1521)

EHRENHOLD. [] Es ist ein jämmerlich Ding um dieses und dergleichen mehr, das wir Deutschen leiden und tragen. Wann will es doch ein Ende nehmen mit den Bischofsmänteln, den Annaten, Pensionen und der Unzahl der Räubereien? Wann wollen doch die Römer einmal ihren Dingen ein Maß setzen? Ich fürchte, wir Deutschen werdens nicht länger dulden können. Ihr unbilliges Gebahren, wodurch sie uns vergewaltigen, nimmt täglich zu, ihre Geldforderung hat kein Aufhören, keine Art kein Maß.

HUTTEN: Wie du sagst. Sie geben ihren Dingen keine Gestalt, sie halten in ihrem Leben kein Maß; aber es dünkt mich, die deutsche Nation habe wieder Augen bekommen und erkenne jetzt, wie höchst ungerechterweise sie bisher irregeführt und betrogen worden ist, wie man das Volk so fälschlich blendet, eine freie streitbare Nation, ein starkmütig Volk, viel stolze Edelleute und Fürsten verschmäht und verachtet hat. Ich höre jetzt ihrer viele sehr freimütig darüber reden und sich auch stellen, als wollten sie das Joch unserer Dienstbarkeit abwerfen.

EHRENHOLD: Wollte Gott, das geschähe, damit wir nicht länger von unseren Nachbarn und Ausländern verachtet würden.

HUTTEN: So wirds geschehen, es trügen mich denn alle meine Sinne. Ich sehe an allen Orten auf Freiheit denken und Verbindungen sich zusammenthun; auch was von Adel ist oder sonst ein ehrbar Gemüt hat, trägt großes Mißfallen und Ungeduld darüber, daß die Güter, welche unsere Vorfahren einst in guter christlicher Meinung und Glauben den Kirchen schenkten, jetzt ich weiß nicht wem in Rom zufallen, daß man alle Jahre mehreremale eine neue Steuer uns Deutschen auflegt und mancherlei Weisen und Wege erdenkt, um von uns wegzutragen, was wir noch an Geld haben. Diese frevelhafte Kühnheit ist soweit gegangen, daß sie jetzt mit Drohen und Gewalt zu nehmen sich unterstehen, wo sie mit Betrug, Gleißnerei und List nichts erlangen konnten. Ist das nicht eine unbillige, unerhörte Gewaltsamkeit? Oder wie könnte man uns schwerer belasten? Wie könnte man verächtlicher und schmählicher ein Volk unterdrücken, dem die ganze Welt zu regieren gebührt und zu regieren gegeben ist? Gleich als hätten sie uns im Kriege mit den Waffen bezwungen und sich zinsbar gemacht. Daher habe ich große Hoffnung, weil es jetzt zum höchsten gekommen ist und vielleicht nicht höher steigen kann, es werde brechen und wir werden erlöst.

Quelle: Ulrich von Hutten, Klaue und Ermahnung gegen die Gewalt des Papstes (1520) und Deutschlands Leiden und Hoffnung (1521); abgedruckt in Heinz Ludwig Arnold, Hrsg., Deutsche über die Deutschen. Auch ein deutsches Lesebuch. München: C. H. Beck, 1972, S. 6–10. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlags C. H. Beck.

Ulinka Rublack, Reformation Europe. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.

Kurt Stadtwald, Roman Popes and German Patriots: Antipapalism in the Politics of the German Humanist Movement from Gregor Heimburg to Martin Luther. Genf: Librairie Droz, 1996.

Die „deutsche Nation“ protestantisch: Ulrich von Hutten (1520/21), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-259> [05.12.2024].