Die „deutsche Nation“ katholisch: Michael Anisius (1599)
Kurzbeschreibung
Michael Anisius war ein Franziskanermönch. In seinen „sieben katholischen Predigten“ beschreibt er Ende des 16. Jahrhunderts die Ausdehnung des Osmanischen Reichs als Gefahr für das Christentum und die „deutsche Nation“. Im siegreichen Vordringen des Osmanischen Reichs sah er eine Strafe Gottes am Werk, die sich gegen die Reformation und gegen ein Deutschland, das vom einheitlichen christlichen Glauben abgefallen war, richtete.
Quelle
[…]
[Teutsche Nation in höchster gefährligkeit.]
Beuorauß / ist vnter allen Christlichen Prouincien vnd Koͤnigreichen / vnser Germania, die Teutsche Nation / in groͤssister Gefaͤhrligkeit. Die Teutsche Nation sag ich / die allerschoͤnist / die allervolckreichist / die aller weitist / ja die Keyserin vnnd Koͤnigin aller Reiche / die aller Edlist aller Herrschafften / vorzeiten die aller streitbarist / ist nun am allermeisten zertrennt / zertheilt / zerspalten / geschwaͤcht vnd erschrocken / dem Tuͤrckischen Joch am aller naͤhisten. Der Teutschen Nation setzet diser Feind am meisten zu / vmb dise Braut danket er am meisten / nicht vnwissent / braͤchte er Teutschlandt in sein gewalt / die andere Koͤnigreiche bleiben ihm kaum zum Morgenbrot. O was fuͤr ein starcken Schluͤssel zum Teutschen Reich / hat der Tyrann ietzund / an der Vestung Raab? O Raab Raab / wie bist du verwahrloset.
Cespitat, actenui pendet Germania filo,
Quam seruare, Deus tu nisi, nemo potest,
Ein schlechter Faden Teutschland helt /
Wo Gott nicht hilfft / ists bald gefelt.
Was hat aber / O Germanien / dich so fast zu Boden geworfen? was hat dich in solche Gefahr verwickelt? was hat dem Machometischen Tyrannē den Weg bereittet / den Paß zu dir eroͤffnet? Ich wils frey herauß sagen: dise drey haben es gethan: Dein Abfall / dein Vngehorsam / dein Vneinigkeit / so wol die Religion als das Reich betreffent. Die alte Religion / so anfaͤngklich dir von Gott zugebracht so dich Christo Jesu erstlichen gezeuget / vnnd einuerleibet / hast du verlassen / bist ihr vngehorsam worden / in mancherley newen Secten vnnd jrrigen Lehren zertheilt. Vund ob dises alles nichts sey / ist dir auch das darauß erfolget: dem Roͤmischen Reich / welches deiner Trew eingeantwortet / welches deine grosse Ehr vnd Zierd / dem bist du vngetrew worden / haltest es in keinen Ehren bist ihme vngehorsam / widerspenstig: fuͤhrest vnnd regierest die Keyserlich Cron vnnd Scepter ohn Fridt vnnd Einigkeit. Bist dir also selb zuwider / beyde in geistlichen vnd politischen Wesen zerstrewet / zerrissen / betruͤbt / verwirret vnd zuschanden worden. Seyt gebetten ihr geliebten / hoͤret gutwillig an / ich wil disen Handel etwas tieffers erholen / vnd außfuͤhrlicher erklaͤren.
Vor Christi vnsers Herrn Geburt waren zwo Kirchen inn der Welt. Der Hebreer eine / der Heyden die ander: dise deß Teuffels / jene Gottes deß Herrn: In diser vil præscripti, in jener vil prædestinati: was auß diser nicht glaubig worden / ist auß jener mit reichem Gewin̄ erstattet worden. Christus als ein Eckstein / der zwey Wende zusamb fuͤget hat dise beyde Voͤlcker zusamb than / vnnd auß beyden eins gemacht. Auß den zweyen Hauptvoͤlckern hat er ein einigs Christenthumb gemacht. Zu dises Christenthumbs ersten zeiten waren bey leben der H. Apostel / Martyrern ec. Vier Hauptkirchen: die zu Hierusalem / zu Antiochia / zu Alexandria / vnnd zu Rom. Zu welchen letzlich die Constantinopolitanisch (nach dem die Roͤmische Keyser zu Christo bekehret / vnnd den Keyserlichen Stul dahin tranßferieret) ist gezehlet worden. Unter welchen Kirchen / die Roͤmisch durch Gottes schickung gleichsam̅ mit stillschweigender bewilligung aller Voͤlcker den Primat vnd Vorzug allweg gehabt vnd behalten: vnd do die andere viere allgemach abgenommen / vnd mit der zeit gar vergangen / ist die Roͤmisch allein verblieben / als ein Mutter / als ein Grundstock / als ein Meisterin der Christlichen Religion vnnd seligmachenden Glaubens. Diser Kirchen Glaub vnnd Religion ist inn der gantzen Welt verkuͤndigt / habens so vil Koͤnigreiche vnd Voͤlcker gelernet / sich bestaͤndig vnd einhellig darzu bekennt / daß sie ein Kirch der gantzen Welt ist genan̄t worden: Non enim (inquit D. Hieronymus) altera Romanæ Vrbis Ecclesia, altera totius orbis existimāda est Ecclesia : Dan̄ es solle niemand gedencken / (sagt S. Hieronymus) noch darfuͤr halten / daß die Roͤmisch Kirch ein ander Kirch sey / als die so inn der gantzen Welt außgebreit ist.
Dise Roͤmisch Kirch / hat eben auch vnser Teutschland / wie alle andere Koͤnigreich gegen Nidergang / zu Christo bekehret. S. Peter der Apostel Fuͤrst / vnd erster Bischoff zu Rom / hat von Rom auß zum Reinstrom gen Meintz / Coͤln / vnnd Trier / die Heiligen / S. Maternam / S. Eucharium / S. Valerium / S. Crescentem / das Euangelium Christi zupredigen abgesandt / welche den Saamen deß Christlichen Glaubens mit vnaußsprechlicher Frucht außgesaͤet. Bapst Cuno / oder Cunon / hat S. Chilianum / vmb das 700. Jar Christi in Teutschlandt abgefertigt / durch welches Lehr vnd Predig gar vil Staͤtt / insonderheit Wuͤrzburg / zu Erkanntnuß Christi bracht worden. Bapst Gregorius der ander hat im Jar Christi 716. die heiligen Bonifacium / Buchardum / Wilibaldum zu den Teutschen geschickt / durch welche der Name Christi / an vilen Orten vnd Enden / sonderlich in dieser Gegend herumb außgebreit vnd bekraͤfftigt worden. Bapst Leo der dritt / hat auß anhalten Keyser Caroli Magni / die Sachsen vnnd Schweitzer / durch sendung getrewer Bischoffen vn̄ Lehrer zu Glidern der Kirchen Gottes gemacht vnd angenom̅en. Also ist auch gantz Bayerland durch die Heiligen Rupertum un̄ Virgilium mit dem Liecht deß Catholischen Roͤmischen Glaubens erleuchtet worden. Bedenckets nun vnnd erwegts inn ewren Hertzen / wie hoch dessentwegen / vnser Vatterlandt Teutscher Nation / der Roͤmischen Kirchen verpflicht sey. Woͤllen wir Teutschen solches nicht erkennen / geben wir zuuerstehen / die Erkanntnuß Jesu Christi vnsers einigen Erloͤsers vnd Heylandts sey vns ein geringes / sey vns nicht lieb sey vns eben so vil / als hetten wirs niemaln empfangen.
Aber es ist noch kein end: dan̄ bey vnd neben der vnaußsprechlichen Wohthat Christlicher seligmachender Religion / seynd auch andere nicht schlechte Wolthaten / gleichsamb auff die Versen erfolget vnd mit geflossen. Lese einer die Historien / wirdt er befinden / wie Teutschlandt vor seiner Bekehrung zu Christo / vber die massen vnartig / grob vnnd wild gewesen / keine Staͤtte nicht gehabt / keiner Schrifft noch Buchstaben erfahren / ja anzusehen gewesen / als wuͤrde es keine ehrliche / hoͤffliche / freundliche vnd burgerliche Zucht nit annem̅en noch ertragen. Jedoch / ist es nach empfangnem Christlichem Glauben / allgemach so treffentlich erbawet / bewohnt / geziert vnd praͤchtig worden / das ihrs kein andere Prouintz beuor thut.
Die Mayestet / die Hocheit deß Keyserthum̄s / was ist die / woher hat sie Teutschland empfangen? Weme hat es darumb zudancken? die Mayestet / sag ich / deß Keyserthumbs / dardurch der Teutschen Name so hoch beruͤhmt vnnd lautbrecht worden / vnnd darumb alle andere Nationen jnen so mißguͤnstig / woher ist solch Hocheit kommen? kompt sie nicht von der Roͤmischen Kirchen? vnnd allererst vom Bapst Leone dem dritten / welcher den Carolum Magnum zum Keyser deß Occidents erwoͤhlet vnd gecroͤnet. Hernacher aber eigentlicher von Gregorio dem fuͤnfften / vnter dem Keyser Otthone von Sachsen / da die siben Churfuͤrsten verordnet worden / damit also das Roͤmisch Reich desto gewisser kraͤfftiger vnnd bestaͤndiger / bey den Teutschen / dazumaln ein getrewes / streitbares / andaͤchtiges / vnnd vmb die Catholisch Religion wol verdientes Volck / verbleibe vnd beharre. Ja in der warheit solche Ehr vnnd Wuͤrde / hat Germanien durch Kriegßgewalt nit erobert. Geb mir einer zwey edler vnnd groͤssere Kleinot / dann die Christlich Religion vnnd Hocheit deß Keyserthumbs. Ist auch vnter der Sonnen ein Nation / die der Roͤmischen Kirchen / sie zubeschirmen vnd schuͤtzen / mehr verbunden sey / als Germanien? O wie gluͤckselig war dazumal Teutschland / da es dise seine beyde Wuͤrdigkeiten / in Bestaͤndigkeit / in Gehorsam̅ / vnd in Einigkeit erhielte vnd bewahrte? O wie vnuͤberwindlich / wie erschroͤcklich ware Teutschland allen Voͤlckern? die gantze Christenheit leinet sich vor zeiten an der Teutschen Man̄heit : der Teutschen Dapfferkeit war die gantze Christenheit vor zeiten hoch verpflicht. Was fuͤr Sieg haben jemaln die Christen / wider ihre Feinde erhalten / ohne beystandt der Teutschen Kriegßleut? Ja zwar / was fuͤr Triumph haben sie nicht / durch Huͤlff vnnd Standhafftigkeit der Teutschen Landßknecht / daruon getragen?
Do nun die alt listig Schlang / der neidisch hoͤllisch Drach solches gar wol vermercket / vnd feindtselig darauff gelauschet: wie er dann Christo dem HErrn stets widerwertig: hat er offtermaln sein Heil versucht / vnnd solche vereinigte macht der Teutschen zuschwächen vnd auffzuloͤsen sich vnterstanden: hat weder Rast noch Ruhe gehabt / biß er sein fuͤrnem̅en außgemacht / vnd im Werck vollendet. Dann er leichtlich erachtet / wann nur Teutschland wer verwirret / vnd vnruͤwig in sich selbst / vnd wider sich selbst / wuͤrde leichtlich die gantze Christenheit betruͤbt vnd zerruͤt werden. Aber O ein jaͤmmerlichs ding / O ein ding mit blutigen Zaͤhern zubeweinen: Mit was so abschewlichen Lastern / mit was so boͤslicher Undanckbarkeit / hats das Teutschland verschuldet / daß es von Gott so weit verlassen / vnd durch Goͤttliche Verhencknuß in deß Sathans hinderlist gefallen? so schaͤndlich verfuͤhrt vnnd betrogen worden? Zu voͤrderst ist es abgewichen vom Gehorsam der Religion / welche es von anfang gehoͤrt vnd empfangen: hat dieselbig als Antichristisch verworffen: Newe / vnerhoͤrte / auch laͤngst verdampte Lehren angenommen / die Einigkeit deß Glaubens verlassen / vnd in etlich hundert Secten vnd Opinionen zerteilt: Achtet deß Christlichen Namens nicht wuͤrdig / die jenigen / welche es Christlich gemacht: Der Name deß Bapsts / deß Bischoffs allgemeiner Catholischen Kirchē / wirdt mit grossem mutwilligen Spott / auch von den kleinen Kindern verlacht / verhoͤnt vnnd außgerauscht / da die Hund werden mit dem Namen Bapst genannt. O du vnuerstaͤndiges Teutschland / wer hat dich bezaubert / daß du der Warheit nicht gehorchet / vnnd Christus vor deinen Augen verdampt? vnd das bey dir nicht bleibt / was du gehoͤrt hast von anfang / vnd haltest nicht die Satzungen / die du gelehret bist / es sey durch Schrifft oder muͤndlichs Wort? Vnnd von jedem Winde der Lehre / durch Behendigkeit / in Schalckheit der Menschen / zu vmbgebung deß Irrthumbs vmbgefuͤret wuͤrdest? wer hat dich / leider / O du vnuerstaͤndiges Teutschland also bezaubert? Ach / ach / was fuͤrtreflichen Trost / was starcken Schutz / was Him̄lischen Schatz vnd Gut hastu an der Religion verloren?
[…]
Quelle: Michael Anisius, Siben Catholische Predigen/ Bey gemeinen Processionen/ Kirch vnnd Bittfahrten wider deß Christlichen Namens Erbfeind dem T[ue]rcken/ gehalten zu Bamberg/ im 4. vnnd 95. Jar. Durch Franciscanum. München: Adam Berg, 1599, S. 8–11. Online verfügbar unter: http://data.onb.ac.at/rec/AC09658649
Weiterführende Inhalte
Wolfgang Reinhard, „Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters“, Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), S. 226–51.
Ulinka Rublack, Reformation Europe. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.
Heinz Schilling, „Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620“, Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1–45.
Alexander Schmidt, Vaterlandsliebe und Religionskonflikt: Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648). Leiden: Brill, 2007.