Übermäßige Pracht, Fressen und Saufen: Martin Luther’s Tischreden (nach 1537)

Kurzbeschreibung

Die Tischreden von Martin Luther (1483–1546) sind eine Sammlung an verschriftlichten Notizen, die angeblich zu Martin Luthers Reden bei Tisch angefertigt wurden. Neben kirchlichen und theologischen Debatten wurden hier auch „weltliche“ Dinge sowie deutsche Tugenden und Laster thematisiert. In den hier ausgewählten Passagen kritisiert der Reformator die deutschen Sitten, allerhand Unrat zu sammeln, zu kostspielige Stoffe und Kleider zu tragen, zu viel zu Essen und zu viel Alkohol zu konsumieren.

Quelle

VON BESTÄNDIGKEIT UND GLAUBEN DER TEUTSCHEN

Doktor Martin Luther und H. Philippus zogen mit einander gen Torgau, den 3 Apr. 1537. und redeten von mancherley dingen. Da lobte Philippus die Chronick Cornelii Taciti, der zur zeit des kaisers Caligulä gelebt, und Teutschland sehr fein beschrieben hätte, und hoch lobete, von wegen der beständigkeit und glaubens: Denn teutsche wären beständig und hielten glauben, sonderlich in der ehe, damit sie alle andere nationen überträfen, und vortreflich wären. Ja sprach doctor Martin Luther: Bey den alten ists wol etwa gewesen, da sind feine leute gewesen, aber leider jetzund, in den letzten Zeiten, haben sie sehr abgenommen, sind aus der art geschlagen, und zu unflätern worden. Vor der sundflut, da ist die beste zeit gewesen, daran zweifelt niemend, da die leute lang gelebet, und sehr alt worden sind, haben sich fein mäßig gehalten mit essen und trincken, nicht geschlämmt, nicht gekrieget, nicht gezanckt, haben mit fleis GOttes creaturen angesehen, beide himmlische und irrdische, und daran ihre lust und freude gehabt; da ist ihnen ein frischer, kühler brunn lieblicher gewesen, hat ihnen besser geschmeckt, denn jetzt alle köstliche wein und malvasier. Ach was soll doch jetzt solch schlemmen, fressen und saufen? Germania ist eine schöne nation, und mich dünckt, das H. sey verwandelt ins G. vorhin haben Germani geheissen Hermanni.

GASTFREIHEIT IN DEN LANDEN TEUTSCHER NATION

Wenn ich viel reisen solt, wolt ich nirgend lieber, denn durch Schwaben und Bayerland ziehen, denn sie sind freundlich und gutwillig, herbergen, gehen fremden und wandersleuten entgegen, und thun den leuten gütlich und gute ausrichtung um ihr geld. Hessen und Meissen thun es ihnen etlicher massen nach, sie nehmen aber ihr geld wohl drum. Sachsen ist gar unfreundlich und unhöflich, da man weder gute wort noch zu essen giebt, sagen: Live gast, ick weit nit, wat ick ju to eten geuen schol, dat wif ist nit daheimen, ick kan ju nit herbergen. Ihr sehet hie zu Wittenberg, wie unfreundlich volck es hat, fragen weder nach erbarkeit noch höflichkeit, noch nach der religion; denn kein bürger läst seinen sohn studiren, da sie doch ein gros exempel sehen, und eine solche anzahl der fremden studenten und gäste; ach, das land trägts nicht.

UNRATH TEUTSCHESLANDES

Wozu dienet doch so viel zienen gefäs; es ist nur ein überflüßiger unrath, ja verderb. Türcken, Tartern, Italiäner und Wahlen brauchen solches nicht, denn nur zur nothdurft; allein wir Teutschen, Böhmen, Polen etc. prangen damit. Alles bringen wir also um, und verschwendens, und wendens unnütz an, mit überflüßiger kleidung, seidenwerck, fressen und saufen; das wissen die Fugger und Franckfurthische messen wohl, wie wir das unsere vernarren und verschläudern; wir sind untreu, gläuben nicht, daß ein GOtt sey.

ÄNDERUNG DER KLEIDER IN TEUTSCHLAND

Es ward gedacht der Veränderung mit kleidern und anderm geschmuck, so jährlich vorgenommen wird, und geschicht; da sprach doctor Martin Luther: Die Veränderung der kleider, wird auch bringen ein veränderung der regiment und sitten, wir ringen leider allzusehr darnach.

Der kaiser Carl soll gesagt haben: Die Teutschen lernen von Hispaniern stehlen, so lernen die Spanier von Teutschen fressen und saufen.

VON DEM ÜBERMÄSSIGEN PRACHT, FRESSEN UND SAUFEN TEUTSCHLANDES

Doct. Martin Luther sagte: Wenn man im teutschen lande gleich nicht so viel sammets und seiden hätte, noch so viel würtz ge­brauchte, so wäre es ohn gefähr; so wäre Teutschland auch viel reicher, denn es ist. Item, wir könten der gersten auch wohl entrathen, und vor das bier wasser trincken; wiewol die junge gesellen schier ohne bier sonst gar keine freude haben; denn spielen macht nicht frölich, darum nehmen sie das trincken mit sich. Wie mans auf dem fürstlichen beylager zu Torgau nächst bewiesen hat. Da man nicht zu gantzen und halben getruncken, sondern einer hat dem andern gantze halbe stübigens kandel voll bescheid tun müssen, das haben sie genennet einen guten trunck. Sic inventa lege, inventa est & fraus legis, mit dem gesetz ist auch dessen verkehrung aufkommen. M. Georg Spalatinus hätte einmal an churfürst Friedrichs zu Sachsen hofe gesagt, daß Cornelius Tacitus schriebe daß bey den alten teutschen eine schande gewesen, tag und nacht zu saufen. Solchs höret nun ein edelmann, und fragt ihn, wie alt solches wohl sey, da dis geschrieben worden wäre? Als er nun antwortet, es sey wohl bey 1500 jahren; da spricht der edelmann: O lieber herr, weil vollsaufen also ein alt, ehrlich herkommen ist, so lassets uns jetzunder nicht abbringen.

[]

Quelle: Martin Luther, Tischreden (nach 1537); abgedruckt in Heinz Ludwig Arnold, Hrsg., Deutsche über die Deutschen. Auch ein deutsches Lesebuch. München: C. H. Beck, 1972, S. 10–12. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlags C. H. Beck.

Übermäßige Pracht, Fressen und Saufen: Martin Luther’s Tischreden (nach 1537), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-263> [01.12.2023].