Erstellung einer Biographie für Dürer: Heinrich Arend, Das gedechtniß der ehren eines derer vollkom[m]nesten künstler seiner und aller nachfolgenden zeiten, Albrecht Dürers…(1728)
Kurzbeschreibung
Zu Ehren des zweihundertsten Todestages Dürers geschrieben, war Das gedechtniß... eine der ersten Monographien über einen einzelnen Künstler. Der Autor, Heinrich Conrad Arend, war ein lutherischer Pastor, der zahlreiche Drucke Dürers in der Herzoglichen Bibliothek Braunschweig-Wolfenbüttel, der heutigen Herzog-August-Bibliothek, eingehend untersucht hatte. Neben seinen eigenen Kenntnissen aus erster Hand stützte sich Arend vor allem auf Sandrarts Biographie, die wiederum durch Neudörffers Berichte und unveröffentlichte Werke Dürers selbst untermauert wurde. Insofern ist diese Quelle durch ihren Platz in der Kunstgeschichte von Bedeutung. Sie zeigt auch, wie Dürer noch Jahrhunderte nach seinem Tod als einer der „Großen“ in der deutschen Kunstgeschichte verewigt wurde.
Quelle
Das gedechtniß der ehren eines derer vollkom̅nesten künstler seiner und aller nachfolgenden zeiten, Albrecht Dürers / um eben die zeit, als er vor 200 jahren die welt verlaßen, aus besonderer verehrung vor deßen verdinste ans licht gestellet von Henrich Conrad Arend, Prediger der freien com̅union bergstat Grund. Schottelius descript. Germ. p. 1164
Diser teutscher Mann, Albrecht Dürer, hat in vielen stücken seine übertreffer oder seines gleichen nimals, in diser welt, soviel man gelesen und gehöret, gehabt, sondern wie er gewesen, also bleibt er wol hirin der unvergleichligste. Goßlar, bey Joh. Christ. König, Buchhändler. Im jahr Christi 1728.
§. 1.
Mir deucht, es sey so richtig als vernunfftmäßig geurteilet, daß wenn die tugend bey einen menschen der mittelpunckt sey, um welchen das gantze leben als ein cirkel gezogen, der in einer ehrligen geburt den anfang von dem zusam̅enhang wolanständiger tugenden seine rundung, und in einen seligen tode das ende nimt, so könne der gantze umfang solches kreises nicht anders als glücklich und gut seyn. Ich wurde bey anfang gegenwärtiger arbeit, da entschloßen bin eines der vollkom̅nesten künstler seiner und aller nachfolgenden zeiten höchstverdientes ehren gedechtniß zu beschreiben, nicht leicht auf solche gedanken, welche aus der mathesis ihre ausdrückung entlehnen, geraten seyn, wenn nicht derselbe, deßen leben ich hiemit vor die hand nehme, durch seine gantz besondere zuneigung zu denen mathematischen wißenschafften gelegenheit dazu gegeben hätte. Es füren mich aber solche gedanken noch weiter, und geben mir anlaß solcher kunstgenoßen bemühung, eines cirkels rundung in ein richtiges viereck bringen zu wollen, nicht sowol zu untersuchen, als nachzumachen. Solte ich also den langen inhalt des zu beschreibenden kurtzen lebens, das als ein cirkel den mittelpunckt der tugend umschlossen, in ein richtiges viereck bringen, würden eine angeborne geschickligkeit, unabläßiger fleiß, aufgemerckte scharffsinnigkeit und adelmütige redligkeit die vier seiten ausmachen. Das vorgengige titulblat gegenwärtiger arbeit wird bereits dem geneigten leser einen begriff meines jetzigen unternemens gemacht, und mir folglig die mühe benom̅en haben, zu sagen, ich wolle des Albrecht Dürers leben beschreiben. Es wäre schon genung den bloßen namen zu nennen, weil derselbe bewegend genung ist, die verehrer seiner unzälbaren verdienste in aufmerksamkeit zu setzen, ich füge aber dennoch hinzu, daß er einer der vollkom̅nesten künstler seiner und aller nachfolgenden zeiten gewesen, [1] und damit meine ich alles gesagt zu haben, sowol daß er ein mahler, als formschneider, und kupfferstecher, und bildhauer, und baumeister, und eisenschneider, und mathematicus gewesen.
§. 2.
Folglich dürffte es sich wol vor die mühe belonen, von deßen ursprung, vielen preiswürdigen unternemungen, meisterligen kunststücken, und übrigen umständen wolgegründete und zuverläßige nachricht einzuziehen, und zwar solches um desto mehr, je mehr es uns Teutschen von andern / völkern dürffte zu einer tadelnswürdigen nachläßigkeit vorgerücket werden, eines so grossen künstlers leben [2] nicht ausfürlig beschrieben zu haben, und je weniger wir bißher aufzeigen können, welche in unserer sprache dergleichen unternom̅en; außer was etwan aus der feder des kunstliebenden Herrn Joachim von Sandrart in das unvergleichlige werk welches er nennet: Teutsche Academie der edlen bau-bild- und mahlerey-kunst, [3] gefloßen. Gleich wie aber dieses ein so rares, als wegen der darin befindligen kupfferstiche, deren jedes billig ein meisterstück der damaligen berühmtesten künstler zu nennen, kostbares werk ist, solches auch unter hundert kunstverwanten wol kaum zehen zu sehen kriegen / so vergnüge ich mich die ehre zu haben, unter eines so grossen künstlers lebensbeschreibung meinen namen setzen zu dürffen, und bin mit dem glück derer kutscher und postillions gern zufrieden, welche einiges ansehen daher zu erhalten glauben, daß sie einen grossen herrn fahren. Müßen nun aber die der richtigsten und gebantesten spur folgen, so enthalte ich mich auch aller um- und ausschweiffungen, und melde sofort, daß unser Albrecht 1471 den 20ten May [4] das licht dieser welt erblicket, [5] und daß durch solche geburt eines in zukunfft weltberühmten mannes die nicht minder berühmte stat Nürnberg [6] sich erfreuet gesehen. Der vater dieses wolgebildeten kindes, der ebenmäßig Albrecht hieß, hatte seine eigendlige herkufft aus Ober-Ungarn, da sein vater Anton in dem dorffe Eytas, ohnfern den flecken Eula [7] und der stat [8] Wardein sein verkehr und nahrung von vieh und landbau hatte. Gleichwie aber demselben das landleben absonderlig wegen des mangels einer beliebten und belebten kinderzucht fast gantz zu wieder war, also faßete er den vorsatz, seine kinder dem ungezügelten dorffleben gleich in zarter jugend zu entfernen. Sein ältester sohn Albrecht, als unsers Albrechts vater, [9] mußte von diesen endschluß die erste probe machen, als er bey einen goldschmid in besagten stätlein Cula zum lehrling aufgedungen wurd: Lasse, so hieß der andere sohn, wurd ein sattler, und Johannes, als der jüngste, brachte es durch erlernung guter wißenschafften dahin, daß er prediger in benannter stat Wardein wurd, woselbst er auch bey die 30 jahr mit ruhme gestanden. [10]Albrecht der ältere, nachdem er alles gefaßet, weßen er von seinem meister treulich unterichtet worden, glaubte daß man in der fremde mehren wachßtum, eben wie die Corallen stauden außer waßer mehrere härte, und liebreizende gestalt, erlangen könne, und in solcher hoffnung näherte er sich 1455, dem teutschen boden, und endlich der werckstat belustigender und nutzlicher künste, ich sage der stat Nürnberg, [11]welche denen kunstverwanten damals eben das, was Athen vormals denen studirenden war. Und gleichwie er vorher, ehe er sich fremder lufft anvertrauet, bey sich selbst den schluß festgesetzt, bey seiner vorhabenden reise zugleich sein herzt zu Gott, die augen in die welt, und den verstand gleichsam zum jarmarkte zu schicken, also konte der einkauff nicht anders, als nutzbar und vorteilhafft seyn, denn er fand in gedachten Nürnberg bey Hieronymus Haller, einen wolberuffenen goldschmid, mehr als er gesucht und vermutet hatte, denn nachdem er bey denselben eine lange, doch unvermerkt verstrichene zeit vor gesell gedienet hatte, konnten die geleisteten dienste nicht würdiger, als mit deßen tocher, Barbara, belonet werden. Und ob er zwar anfangs besorgete, daß man nach damaliger schulsprache aus Barbara celarent mit ihm disputiren würde, so gerieten doch seine præmissæ so wol, daß die conclusion seines meisters ihm recht vergnügend klang. Daß diese ehe so vergnügt als fruchtbar gewesen, davon war unser Albrecht ein ungetadelter zeuge, denn ob er wol 2 andere zeugen vor, und 15 nach sich hatte, [12] so schien es doch, als wolte die natur auch hier dem auspruch des H. Geistes sich unterwerffen, daß in 2. oder 3. erwachsener zeugen munde die warheit bestehe, indem von allen 18 Kindern nur 3 in leben blieben, unter welchen Albrecht der erste war, zum ausdrükligen beweiß, daß die natur, ob sie zwar ihm den ausnemenden vorzug der erstgeburt entzogen, dennoch bemühet sey, solch versehen auf das besorgsamste zu verbeßern.
[…]
Anmerkungen
Quelle: Heinrich Arend, Das gedechtniß der ehren eines derer vollkom[m]nesten künstler seiner und aller nachfolgenden zeiten, Albrecht Dürers: uem eben die zeit, als er vor 200. jahren die welt verlaßen, aus besonderer verehrung vor deßen verdinste ans licht gestellet. Goßlar: König, 1728, 5 (o. S.). Online verfügbar unter: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10915242-4
Weiterführende Inhalte
Babette Bohn und James M. Saslow, Hrsg., A Companion to Renaissance and Baroque Art. Chichester: Wiley-Blackwell, 2013
Susie Nash, Northern Renaissance Art. Oxford und New York: Oxford University Press, 2008.
Sandrart.net: A Net-based Research Platform on the History of Art and Culture in the 17th Century, http://sandrart.net/en/ (letzter Zugriff 11. November 2021)
Larry Silver und Jeffrey Chipps Smith, Hrsg., The Essential Dürer. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2010.