Conrad Gessners Vorwort zu Josua Maalers Die Teütsch spraach (1561)

Kurzbeschreibung

Die Teütsch spraach ist ein 1561 veröffentlichtes deutsch-lateinisches Wörterbuch des Schweizer Lexikographen und Buchbinders Josua Maaler (1529–1599), dessen Name als Pictorius latinisiert wurde. Die Teütsch spraach gilt als eines der frühesten deutschsprachigen Wörterbücher und enthielt wichtige Neuerungen (z. B. wurden die deutschen Begriffe vor den lateinischen aufgeführt). Die humanistische Idee, die sich mit solchen Wörterbüchern verband, war, die deutsche oder „vaterländische“ Sprache aufzuwerten. Diese Idee geht auch aus dem hier wiedergegebenen Vorwort zu dem Wörterbuch hervor, das von dem Schweizer Gelehrten Conrad Gessner verfasst wurde.

Quelle

Als ich und der für seinen Scharfsinn und seine Gelehrsamkeit berühmte Herr Johannes Frisius, mein größter Freund, freundschaftlich im Gespräch waren (bei dem damals zufällig auch unser Mitbürger Josua Maler anwesend war, ein vornehmlicher und recht gelehrter, frommer und treuer Mann, Priester des Wortes Gottes bei Elgg, das eine kleine Stadt im ländlichen Gebiet von Zürich ist), wurde unter anderem das Thema der heutigen europäischen Volkssprachen erwähnt und es fiel uns auf, dass die meisten der uns benachbarten Völker, wie die Gallier, die Italiener, die Engländer und andere, ihre Sprachen von Tag zu Tag, mehr und mehr schmücken und bereichern und dass sie zahlreiche Wörterbücher besitzen, in denen die einzelnen Wörter sowie ihre Möglichkeiten, Bedeutungen und Ausdrücke der Reihe nach erklärt werden. So schmerzte es uns, dass es in unserem Deutschland an solchen Wörterbüchern fehlte, die das Gleiche für unsere Sprache leisteten. Und diese Vernachlässigung schien uns umso mehr schmerzhaft, weil unsere Volkssprache sicher keiner anderen Sprache (mit der Ausnahme der ersten aller Sprachen, nämlich des Hebräischen) bezüglich ihres Alters und der Fülle der Wörter und Ausdrücke nachstand, und sicher viel altertümlicher und ehrlicher und reiner ist als die italienische, französische und englische Volkssprachen von heute, welche alle teilweise aus verstellten lateinischen Wörtern bestehen und teilweise mit gotischen oder sächsischen und mit irgendwelchen anderen Wörtern gemischt und vermengt sind. Obwohl ja zum Glück von manchen solche Wörterbücher angefangen wurden, bleiben allerdings bis heute sehr viele Wörter unbehandelt, mit Hilfe deren unsere Sprache erläutert werden kann. Und weil es ja schien, dass Pictorius[1] etwas mehr Freizeit von seinen Beschäftigungen als wir übrig hatte, wurden wir zu seinen Förderern, damit er seine ganze Muße eine Zeit lang in diese wunderschöne Arbeit verwandelte, die künftig willkommen und nützlich sein wird, und zwar nicht nur zu Hause, sondern im ganzen Deutschland und für alle Gelehrte von beiden Sprachen (ich meine, der lateinischen und der deutschen Sprache). Und wir behaupteten auch, dass diese künftige Aufgabe nicht fremd von seiner kirchlichen Funktion ist, wenn er auch, bisher blühend im Alter und Verstand, ebenfalls sehr viel in den eigenen, reinen und reichlichen Ausdrücken beider Sprachen und in den Ausdrucksweisen des Sprechens übt. Jener, überzeugt von diesen Argumenten, erklärte sich zu unserem Vorschlag geneigt und bot sich selbst und alle seine Möglichkeiten für die Förderung der guten Studien und auf diese Weise gleichzeitig für die Vaterlandsliebe und für die Erläuterung der heimischen Sprache freiwillig an, so dass er nicht dem Lob anderer nachgab. Deshalb schien uns, dass er etwas tun würde, was der Mühe wert ist, wenn er das Latein-Deutsch Wörterbuch des Johannes Frisius heranzog, in welchem dieser Frisius das Latein-Französisch Wörterbuch des Robertus Stephanus (freilich ein sehr gebildeter Mann, der sich in allen guten Wissenschaften verdient gemacht hat) auslegte, wodurch Pictorius das sehr breite Material eines Deutsch-Lateinischen Wörterbuches zu Verfügung hatte. Dass er die deutschen Begriffe den lateinischen voranstellte, und er sie aber anderseits in die Reihenfolge des Alphabets brachte, geschah nicht ohne Verstand und Gefallen. So konnte er irgendwelche Wörter überspringen, wenn er zum Beispiel der Meinung war, dass sie entweder redundant oder in unserer Sprache wenig vorzufinden waren, auch wenn sie an einer früheren Stelle in den lateinischen Lemmata, die zu übersetzten waren, vorkamen. Ferner überzeugten wir ihn, eben jenes Wörterbuch zu verfassen, anstatt ein anderes, und zwar sowohl deswegen weil dieses Wörterbuch wortreicher als alle anderen war (was die Lemmata und die Sätze der lateinischen Sprache angeht, und die Wörter die aus so vortrefflichen Autoren ausgesucht worden sind), als auch deswegen weil gleichzeitig dieses Wörterbuch sehr üppiges Material aus der deutschen Sprache bot. Und so, nachdem er auf unserem Rat an die Sache herangegangen war, brachte er sie schließlich mit großer Mühe zu Ende. Auch wenn er nicht alles vollenden konnte, wie er wollte oder wie es gemacht werden konnte, verdanken wir Forscher der heimischen Sprache ihm trotzdem alle sehr viel, weil er uns ein so reiches Material lieferte und es ferner nach der Reihenfolge der Buchstaben ordnete, und in den einzelnen Lemmata und in den Erklärungen ihrer Bedeutungen Großteils einem zuverlässigen Prinzip folgte, wodurch alles einfacher zu finden und die Nutzung des Wörterbuches schneller war. Aber vieles wird noch vermisst. Wir geben das zu. Alle Unterfangen dieser Art sind nämlich unermesslich groß und unendlich. Auch kann im Bereich jener drei sehr gelehrten und vornehmlichen Sprachen, deren Wörter viele und sehr eifrige Männer schon so oft und vor so vielen Jahrhunderten versuchten aufzulisten und in Ordnung zu bringen, kein Band gefunden werden, dem nichts hinzugefügt oder entfernt werden kann. Ich glaube, dass er niemals gefunden werden wird.

Es ist bei jedem Gegenstand so, dass jene, die ihn zuerst behandelten, alle andere überragten. Die Sachen nämlich, die im Überfluss vorhanden zu sein scheinen, sind so viel einfacher zu entschuldigen. Wie einfacher [ist es] in allen Sachen, die auf Fertigkeit und Mühe beruhen, wegzunehmen, als hinzuzufügen. Extrem schwierig ist sicherlich, eine reichhaltige Materie in die Linien und Grenzen seiner Form so zu zwingen, dass nichts überflüssig ist. Es ist besser in diesem Bereich zu sündigen als im Gegenteil, da dem Menschen nicht zugemutet werden kann, völlig ohne Fehler („anamarteton“) zu sein (Gellius nennt das „impeccabilis“, fehlerfrei). Alle Sünden werden nämlich entweder wegen eines Überflusses oder wegen eines Mangels an lobenswertem Mittelmaß begangen. Die Begriffe, die den Deutschen vielleicht überflüssig erscheinen werden, werden sicherlich den meisten ausländischen Freunden unserer Sprache als eine Übung, um viele Ausdrücke zu lernen, nicht nutzlos gewesen sein. []

Anmerkungen

[1] d.h. Maaler.

Quelle: Conrad Gessner, „Vorwort“, aus: Josua Maaler, Die Teütsch spraach: Alle wörter, namen, un[d] arten zu reden in Hochteütscher spraach, dem ABC nach ordenlich gestellt, unnd mit gutem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bißhär nie gesähen = Dictionarium Germanicolatinum novum. Tiguri: Froschoverus, 1561, S. 3–4. Online verfügbar unter: https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb10164043

Übersetzung: aus dem Lateinischen ins Deutsche: Eva Ferro

Magdalen College, University of Oxford, „Die teütsch Spraach: The first ‘true’ German dictionary from 1561“. 21. April 2021. Online verfügbar unter: https://www.magd.ox.ac.uk/libraries-and-archives/illuminating-magdalen/news/die-teutsch-spraach-the-first-true-german-dictionary-from-1561/ (letzter Zugriff 30. März 2022).

Conrad Gessners Vorwort zu Josua Maalers Die Teütsch spraach (1561), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-283> [24.10.2024].