Andreas Gryphius, „Tränen des Vaterlands“ (1636)
Kurzbeschreibung
Die bekannteste bis heute rezipierte Dichtung aus dem Dreißigjährigen Krieg ist ein Gedicht von Andreas Gryphius (1616–1664) mit dem Titel „Tränen des Vaterlandes“, das er 1636 verfasst hatte. Bereits zeitgenössisch wurde das Gedicht mehrmals gedruckt, hier wird die Breslauer Ausgabe von 1657 wiedergegeben. In dem Gedicht werden die verheerenden Auswirkungen des Kriegs für die Bevölkerung sowie deren Leiden am Kriegsgeschehen beschrieben. Bereits der Titel verweist zum einen auf diese Leiden (Tränen) und zum anderen darauf, dass dieser Krieg durchaus als ein Krieg wahrgenommen wurde, unter dem die deutschen Territorien, die hier als Vaterland gefasst werden, und deren Einwohner besonders zu leiden hatten. Neben den vielen Todesopfern und anderen Gewalttaten des Krieges (wie Vergewaltigungen), wird darauf eingegangen, dass auch die politischen und kirchlichen Strukturen nicht mehr funktionierten. Zudem wird auf die religiöse und konfessionelle Dimension dieses Krieges hingewiesen.
Quelle
XXVII. Thränen des Vaterlandes/
Anno 1636.
Wir sind doch nunmehr ganz / ja mehr denn ganz verheeret.
Der frechen Völcker Schar / die rasende Posaun
Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun.
Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auff gezehret.
Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umbgekehret.
Das Rahthaus ligt im Graus / die Starcken sind zerhaun.
Die Jungfraun sind geschänd’t / und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer / Pest / und Tod / der Herz und Geist durchfähret.
Hier durch die Schanz und Stadt / rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr / als unser Ströme Flutt /
Von so viel Leichen schwer / sich langsam fortgedrungen.
Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod /,
Was grimmer denn die Pest / und Glut und Hungersnoth
Daß auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen.
Quelle: Andreae Gryphii Deutscher Gedichte/ Erster Theil. (Sonnette, Das Erste Buch). Breßlaw: Lischke, 1657, S. 14–15 (Scans 636–37). Online verfügbar unter: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000D85200000000
Weiterführende Inhalte
Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992.
Benigna von Krusenstjern und Hans Medick, Hrsg., Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001.
Markus Meumann und Dirk Niefanger, Hrsg., Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein, 1997.
Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648. Berlin: Rowohlt, 2017.
Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg. 6. Auflage. München: C. H. Beck Verlag, 2003.
Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg – Eine europäische Tragödie. Aus dem Englischen von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt. Darmstadt: Theiss, 2017.