Sophie von La Roche, Reisen durch die Schweiz, Frankreich und England (1784–85)

Kurzbeschreibung

Sophie von La Roche (1730–1807) war nicht nur Autorin und Herausgeberin, sondern reiste als europaweit bekannte Schriftstellerin und Verlegerin. Ungewöhnlich war daran, dass sie als Frau eigenständig Bildungsreisen unternahm. Zu ihren Reisen verfasste sie Reisetagebücher, mit deren Publikation sie ihren Lebensunterhalt bestritt. In ihren Publikationen zu ihren Reisen in die Schweiz, die Niederlande, nach Frankreich, England und innerhalb Deutschlands erstellte La Roche auch ein Panorama der jeweiligen Länder und ihrer Bewohner. Darin beschreibt sie die Landschaft, die Geschichte, die Politik und die Menschen eines Landes für das Lesepublikum. Darin stellte sie auch die nationalen Eigenschaften und Charaktere dieser Länder nach zeitgenössischen Vorstellungen vor. Die charakterlichen Eigenschaften und Tugenden der jeweiligen Länder werden dabei in Abgrenzung zu deutschen Eigenschaften oder zu denen anderer Nationen beschrieben, wobei ständische Zuschreibungen nach wie vor eine Rolle spielen konnten.

Quelle

I. Tagebuch einer Reise durch die Schweiz

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Latuerberg, den. 26. Junii.

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Straßburg, die Hauptstadt vom Elsaß, war vor hundert Jahren noch eine teutsche Reichsstadt, so wie das schöne Elsasser Land 1647 noch dem kayserlich österreichischen Hause gehörte, beyde aber durch den Eroberungsgeist Ludwigs des XIV. der Krone Frankreich einverleibt wurden. Unser Rhein durchströmt dieses schöne, an Feld- und Baumfrüchten, Wäldern und Wissen so reiche Land, so wie es auf einer Seite durch die Kette der Vogesischen Gebürge begränzt wird, in welchen vortrefliche Bergwerke von Silber-, Kupfer- und Bleyerzen angelegt sind. – Man wundert sich bei dem Durchreißen gar nicht, das man in Frankreich bey der Eroberung Dankfeste hielt, und in Wien über den Verlust klagte. Die Gegenden um die Stadt sind durch den Verzierungsgeist der französischen Nation sehr verschönert worden. – Euer Bruder guckte bey dem Einfahren nach den Festungswerken und Soldaten; ich aber sah mich nach dem Gewimmel des Gewerbes und den so nett gekleideten Weibsleuten um. Der Gasthof zum Geist ist nicht mehr das alte winklichte Gebäude, welches mir vor achtzehn Jahren so viel Angst und beschwerliches Stiegengehen verursachte, sondern ein geraumiges, mit netten Zimmern versehenes Haus. []

Ich finde es herrlich, den Kunstfleiß zu bemerken, welcher in einer rauhen unfruchtbaren Gegend, wie diese ist, den Menschen alles schaft, und alles ersezt, was ihnen mangelt; aber es ist auch, wenn man nützlich reisen will, sehr nöthig, etwas von der Geschichte, der Regierung und dem Nationalkarakter des Landes zu wissen, welches man durchreißt, und auch Naturgeschichte genug zu kennen, damit man Wald- und Gartenbäume, Feldfrüchte und andre Pflanzen bemerke, mit welchen der Himmel hie und da die Erde schmükte und ihre Bewohner versorgte, damit man nicht mit leeren Kopfe ohne Nachdenken seine Augen umher schauen lasse, sondern Länder und Menschen nach ihrer Abändrung beobachte, die Mängel und Vorzüge dieser und jener Provinz gegen einander vergleichen und beurtheilen, sein eignes Glük besser fühlen, oder an dem Wohlstand der Andern mehr Antheil nehmen könne. Von dem Nachdenken und dem Fleiße der Schwarzwälder, wie sie ihren Boden, ihre Waldungen, ihr Wasser, Geld und Metalle benutzen, habe ich nun erzählt. Ihre Vaterlandsliebe beweißt sich dadurch, daß sie mit dem erworbenen Gelde immer wieder in ihre Heimath kommen. []

Lausanne, den 17ten Julii.

Nun sind wir an dem Ort unserer Bestimung. Der Weg von Bern hieher ist mit unbegreiflicher Mühe über Abgründe hin ganz vortreflich zu Stande gebracht worden. Die französischen Dörfer sehen traurig, und ihre steinerne Häuser sind bey weitem nicht so ländlich und reinlich wie die hölzern der teutschen Bauern. Die Leute haben auch das gesunde fleischige Aussehen nicht, alle Züge sind schärfer, mit anstrengender Arbeit bezeichnet; sie flößen Bedauern und zugleich eine Art von Ekel ein, weil sie nicht nur kümmerlich, sondern auch an Person und in ihren Hauswesen unordentlich und unreinlich aussehen. Gegen 7 Uhr erblickten wir die Spitzen des savoyischen Eißgebürges schön erleuchtet in röthlichem Feuer, und dann den Genfer See, der bey der Windstille Spiegelglatt die lezten Strahlen unserer gemeinsamen Sonne in Silberglanz zurückwarf, und die grosen Schattenabdrücke der andern Berge zeigte. An den beyden Ufern hin blicken noch beleuchtete Thurm- oder Schloßspitzen zwischen tausendfachen Grün hervor. Ein unnennbar Gefühl von Freude und Bewunderung durchdrang meine Seele bey dem immer stärkern Annähern gegen diese Berge und Gegenden, welche ich so viele Jahre gewünscht, und deren Geschichte ich gelesen hatte. Menschen und Natur waren meinem Verstand bekannt, und jetzo sah ich beyde vor mir. [] Diese Gebürge und der herrliche See waren mir majestätische Söhne der Schöpfung, welche ich mit eben so viel Ehrfurcht als Freude betrachtete. Es war ein erquickender Anblick für mein Herz; denn so lang ich deutlich denke und fühle, haben grose Gebürge immer mit einem Einfluß von Stärke auf mich gewürkt. Sie erniedrigen mich nicht, diese mächtigen Geschöpfe, im Gegentheil finde ich mich erhöht, wenn ich bey ihrem Anblick an unsern gemeinsamen Urheber denke, der mir zerbrechlichem Wesen eine unsterbliche Seele gab. Ein Geschenk, welches wohl alles übertrifft, was seine göttliche Hand austheilen konnte. Ich möchte nicht wie diese Gebürge bloß ein Gegenstand der Bewunderung seyn; es ist mir angenehmer, den Geist zu haben, der alle andere Güter dieses Lebens zu schäzen und zu lieben weiß. []

Geneve, den 21sten Julii.

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Man schreibt noch den Genfern den vortheilhaft vermischten Character zu, daß sie von dem benachbarten Helvetier den gesezten Verstand, ohne seinen Kaltsinn, sein gutes Herz, ohne die damit verbundene Unbesonnenheit, seinen Muth, ohne seine Verwegenheit: Von dem zweyten Nachbar, französischer Seite, den Witz und die Lebhaftigkeit des Geistes, ohne den Leichtsinn habe; galant und geziert wie er, aber nicht so eitel und verschwenderisch, kein so hitziger Freund, aber beständiger sey. Von dem Savoyer haben sie die mistrauische Arglist in politische Klugheit im Reden und Handeln abgeändert, und die Kargheit in vernünftige Haushaltungskunst. Das zusammen soll die Ursache seyn, warum Fremde aller Nationen sich gerne in Geneve aufhalten, denn dieser vielfache Geist hat Geneve grose Gelehrte in allen Wissenschaften und grose Künstler gegeben. []

II. Journal einer Reise durch Frankreich

[England]

Ich weis nicht, in wie weit das gemeine Volk in England oder Holland an der Reinlichkeit Antheil nimmt, welche an diesen zwo Nationen bewundert wird; aber das ist gewis, daß diese Tugend hier nicht herrscht, und daß gemeine Weiber, Kinder und Männer ekelhaft schmutzig sind, und daß viele tausende in den elendesten Winkeln wohnen, vor welchen das Auge zurück bebt. Denn ich habe auf allen meinen Reisen nichts traurigers und unreinlichers gesehn, als ich hier in diesen wenigen Tagen an vielen hundert Häusern sah. Unsere jungen und reichen Reisende werden durch den Schimmer geblendet, welcher ganz natürlich in der Hauptstadt eines grosen Königreichs glänzt, wo unter acht mal hundert tausend Menschen so viele Grose und Reiche sind, bey denen äusserliches Ansehen alles zu seyn scheint, und alles darauf verwendet wird. Mein Geist ist für das Geschmackvolle Schöne, welches in Gebäuden, Kleidung und Geräthe herrscht, gar nicht gleichgültig. Im Gegentheil segne ich die Reichen, welche so vielen Künstlern und Arbeitern Brod geben. Aber der so nahe daran gränzende Anblick des höchsten Elends rührt zugleich mein Herz, und ich kann es nicht stillen, ungeachtet öfter gesagt wurde: O hier müssen sie dies nicht achten, denn sonst werden die durch die Fühlbarkeit ihres Herzens eben so unglücklich, wie es diese Leute sind! []

[Frankreich]

[] Unter den Glücklichen sind Wenige, die von unserm Teutschland was wissen; nur Hamburg, welches jährlich einen Handel von mehr als 30 Millionen Livres mit Frankreich macht, Bremen, Lübeck, auch Frankfurt am Mayn, dessen Handel mit Frankreich 22 Millionen betragen soll, sind in dieser Gegend bekannt. Von England, Holland, Spanien und den andern Welttheilen wissen sie alles, was dem Geist der Handlung zu wissen nöthig ist. Überhaupt mischt sich etwas Eigensinn und Verachtung aller andern Nationen mit in ihre Gespräche, und die grose Simplicität, mit welcher unser Kayser reißte, fand wenig Beyfall. Unter den Gelehrten aber sind Spuren des Geistes von Montagne, von Montesquieu, und tausend schöne Ideen durch alte und neue Dichter, mit ihrem feurigen Nationalgeist verbunden, machen ihre Unterredungen sehr angenehm. Wie sehr ist es die Betrachtung, daß der gütige Geist der Welt allen seinen Geschöpfen eine Stütze von Freude über Vorzüge giebt. Ein Jahr ists, als ich die edle Freude der Schweizer über ihre Freyheit, Gesetze, Eißgebürge, Wasserfälle und einsame fruchtbare Alpen sah. Hier giebt der mit dem Meer verwandte Fluß und die Schiffe, welche in alle Welttheile seegeln und aus allen zurück kommen, auch frohen Stolz. Möge ihnen der Himmel auch immer eine edelmüthige Seele dazu geben! []

Den 23sten, Nachmittag, im Hotel de la Chine.

Mein Reisegefährte ist allein auf das Land, und ich bin froh, in meinem artigen Quartier und näher bey Teutschland zu seyn. Aber meine Aussicht ist sehr verändert: in Bourdeaux viele hundert Schiffe vor meinen Fenstern vorüber, hier so viele Kutschen; erstere still, diese lärmend; statt der herrlichen grünen Anhöhen des jenseitigen Ufers der prächtigen Garonne, werden mir gegen über hohe Mauern aufgeführt; die Matrosen lagen unter grünen Lauben, die Mäurer unter dem Bogen eines Kutschenthors; dort lagen Fässer, hier Steine vor meinen Fenstern. Ich werde auch hier von dem Gerassel etwas betäubt, sehe auch öfter um mich, als in Bourdeaux, und das Ganze meines Gefühls ist nicht wie dort. Mein größtes Vergnügen bey der Zurückkunft hierher war: Nachricht zu finden, daß meine Kinder und ihr Vater wohl sind, und mit Freundschaft auf meine Zurückkunft warten. Angenehm war mir doch auch zu hören, daß der zu Ende eines jeden Wochenbettes gewöhnliche Einzug der Königin erst morgen ist, und das die Familie Bachmann mir wieder einen Platz auf ihrem Balcon abietet. Diese tröstliche Empfindung eines Fremden, gute und liebreiche Menschen angetroffen zu haben, hat in mir den Vorsatz erneuert, allen Fremdlingen, so viel möglich, Achtung und Dienste zu beweißen; denn es muß doch billig unter den Menschen ein Wechseltausch von gefälligem Wesen und Tugenden seyn, so wie sie Gewächse und Kunstarbeiten gegen einander verhandeln. Seele und Verstand gewinnen dadurch eben so viel in Anmuth des Denkens und Betragens, als durch die Berechnung der vermehrten Kleidung und Nahrungsbedürfnisse Gold in die Kisten der Kaufleute strömt. Wie viele Ideen könnte ich in mein geliebtes Vaterland übertragen, wenn ich, wie Yorick, die Gabe hätte, aus dem vorübereilenden beweglichen Gemälde auf dieser Straße einige Stücke auszuheben, sie mit guten Bemerkungen zu umfassen, und bey Euch aufzustellen. Die Ämsigkeit und das Geschicke der Steinhauer und Mäurer an dem Gebäude gegen mir über freuen mich. Die königliche Bibliothek stößt nahe an meine Wohnung, und die Wohnung des Grossiegelbewahrers, Herrn von Miromenisl, liegt zu meiner Rechten. Unten im Hause ist ein Caffeewirth und nahe dabey ein Gastgeber, ein Sattler jenseits und oben ein Musikmeister. Wie würde Yorick das alles benüzt haben! Wie hätte er den nicht mehr ganz jungen Mann beschrieben, welcher vor einer Viertelstunde mit einem Hündchen auf dem Schoos vorbeyfuhr, das rothe und weise Schleifen um seinen braunen Hals hatte; die verschiedenen Formen der Kutschen und Fuhrwerke aber hätte er eben so wenig, wie ich, beschreiben oder zählen können. []

Quelle: I. Sophie von La Roche, Tagebuch einer Reise durch die Schweiz. Altenburg: Richter, 1787, S. 15–16, 51–52, 185–88, 225–26. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11248807-1; II. Sophie von La Roche, Journal einer Reise durch Frankreich. Altenburg: Richter, 1787, S. 79–80, 346–47, 366–67. Online verfügbar unter: https://books.google.com/books?id=f_5cAAAAcAAJ&pg=PP5#v=onepage&q&f=false

Sophie von La Roche, Reisen durch die Schweiz, Frankreich und England (1784–85), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-300> [06.12.2024].