Keine Juden in der deutschen Nation: „Deutsch“ und „Jüdisch“ bei Achim von Arnim in der „Christlich-Deutschen Tischgesellschaft“ (1810)
Kurzbeschreibung
In der von ihm mitbegründeten „Deutsch-Christlichen Tischgesellschaft“ (später: christlich-deutsch) hielt der Schriftsteller Achim von Arnim (1781–1831) 1810 die Tischrede „Über die Kennzeichen des Judenthums“. Die Rede war nicht öffentlich, wurde in Berlin jedoch zirkuliert und heftig diskutiert. Arnim lehnte Juden als Mitglieder der Tischgesellschaft ab und verwarf ihre Gleichberechtigung: Er beschrieb sie als Nicht-Deutsche und unterstellte ihnen, die Differenz durch Assimilation zu verschleiern. Wie Adam Heinrich Müller (1779–1829) fasste er deutsch als nichtjüdisch, womit auch er den konfessionellen Unterschied in eine wesenhafte Differenz umdeutete.
Quelle
Bericht von einem der Mitglieder des gesetzgebenden Ausschusses.
Einer verehrten Gesellschaft bin ich verpflichtet, über einen wichtigen Zusatz zu den Gesetzen meinen Bericht abzustatten, der zwar aus dem Geiste der Gesetzgebung notwendig hervorgegangen, der aber in unseren Versammlungen noch keineswegs ordnungsmäßig verhandelt worden ist, der aber in unsren Tagen, wo außerordentliche Verhandlungen in Religionsangelegenheiten bevorstehen, nicht ohne dringende Gefahr noch vierzehn Tage aufgeschoben werden konnte. Dem Gesetze über Philisteraustreibung glaubte ich aus deutscher christlicher Gemeinschaftigkeit beifügen zu müssen, daß die schriftliche Erklärung von zehn Mitgliedern genüge, heimliche Juden oder solche, die zum Judentum übergetreten, von der Gesellschaft abzusondern. Bei der schnellen Ausbreitung unsrer Gesellschaft, von der, wie wir hören, schon bei den Karaiben und Kannibalen, welche nach einigen Theologen von den Juden abstammen, die Nachricht erschollen ist, daß sie ein Illuminatenorden sei, weil im Stiftungsgliede von Strahlen die Rede gewesen, bei dieser schnellen Ausbreitung schien es höchst bedenklich, daß sich heimliche Juden durch Verstellung oder Wechselverhältnisse einschmuggeln könnten, um wieder eine Zehnzahl von ihren Leuten einzuschwärzen, die dann als bekannte vieljährige Feinde der Philister uns alle, die wir ihnen im gleichen Maße verhaßt sind, unter diesem Namen gesetzmäßig heraus zu schaffen vermöchten, also, daß an die Stelle dieser christlichen Tischgesellschaft ein Synagoge versammelte, welche statt des frohen Gesanges auerte, statt der Fasanen Christenkinder schlachtete, statt der Mehlspeise Hostien mit Gabel und Löffel zerstäche, statt der großen Wohltaten, die wir künftig noch wollen ausgehen lassen, die öffentlichen Brunnen vergiftete und dergleichen kleine Missetaten mehr verübte, um derentwillen die Juden in allen Ländern Europens bis aufs Blut geneckt worden sind. O meine Herren, welche Reue empfinde ich, daß ich so oft über die größten Gesetzgeber gelacht habe, die ihre Völker mit geheim ausgeheckter Weisheit plötzlich über Nacht überraschen und zu ihrer Glückseligkeit zwingen wollen, während sie in der Heftigkeit mit einer Hand auslöschen, was die andre geschrieben hat wohl reuet mich dieses Lachen, wenn ich sehe, daß ein so wichtiger Gegenstand, der die ganze Gesetzgebung aufheben konnte, trotz der vielen schlaflosen Nächte, die ich zur Erfindung der Vorschläge verwendet habe, trotz der wiederholten Beratung vor der Versammlung und im Ausschusse dennoch bis zum Augenblicke vergessen worden war, wo ich in der Zeitung las, daß sich in Wien eben so wie durch Frankreich eine heimliche Verbindung der Juden zu allerlei böser Tat bemerken lasse. Da fiel eine Decke von meinen Augen. Philister sind leicht zu erkennen, sie tragen ihr Schneckenhaus sichtbar mit sich herum, auch mögen sie nicht gern ausdauern, wo sie nicht ihres Gleichen finden, Juden hingegen haben: Erstlich: eine seltene Kunst, sich zu verstecken und ihre Eigentümlichkeiten sind noch keineswegs wissenschaftlich bestimmt: Zweitens, haben sie eine teuflische Neugierde, das Gute kennen zu lernen, um es schlecht, oder nach einem Sprichwort, sich unter den Pfeffer wie ein Rezensent zu mischen.
Von ihrer Kunst, sich zu verheimlichen, sprechen sie selbst in ihren Büchern mit großem Stolz, sie erzählen, wie ein Judenbube, der erst mit Zopfband gehandelt hat, türkischer Kaiser geworden sei, wie ein anderer, der zu Mainz die Nachtigall und andre Vögel hätte mit der Stimme nachmachen können, von den Christen geraubt und zum Papst gemacht worden sei, nachher aber seinen Vater, einen gelehrten Schachspieler habe kommen lassen, um ihm mit einem Zuge, den er nur allein verstanden, beibrachte, daß er sein verlorener Sohn sei, selbst der starke Mönch Ilfan, der zwei Dutzend seiner Mitmönche an den Bärten zwei zu zwei zusammen knüpfte und an eine lange Stange hing, behaupten sie, sei einer ihrer Leute gewesen. Von dieser Kunst, sich zu verheimlichen, gibt Spanien und Portugal ihnen das auffallendste Zeugnis, wo tausende aller Wachsamkeit der Inquisition zum Trotz heimlich ihren alten Glauben feierten, während sie schon von den Zeiten ihrer Väter her gute Christen schienen, bis sie öffentlich auftreten zu dürfen meinten, oder bis sie in fremde Länder zogen, wo ihr Glaube keinen Widerspruch fand, ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß es ihnen zuzuschreiben sei, wenn sich in Portugal, wo sie sich mit den ersten Häusern gemischt hatten, weniger Gefühl für Nationalehre in dem letzten Kriege zeigte, als in Spanien. Jedermann weiß, wie künstlich sie ihre Gesetze auszudeuten wissen, um sie der Not anzuschmiegen. […]
Quelle: Achim von Arnim, „Über die Kennzeichen des Judenthums“, in Achim von Arnim, Werke in 6 Bänden, Bd. 6, hrsg. von Roswitha Burwick, Jürgen Knaack und Hermann F. Weiss. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1992, S. 362–64. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Weiterführende Inhalte
Christhard Hoffmann, „Das Judentum als Antithese“, in Wolfgang Benz, Hrsg., Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995, S. 25–46.
Hans Peter Herrmann, Hans-Martin Blitz, Susanna Moßmann, Hrsg., Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, S. 123–59.