Wegweiser durch die Sammlung des Germanischen Nationalmuseums (1860)
Kurzbeschreibung
Acht Jahre nach der Gründung des Germanischen Museums durch Hans Freiherr von und zu Aufseß (1801–1872) erscheint dieser Sammlungsführer mit einer Einführung in die Geschichte des Museums. Sie stellt die Gründung des Museums—mittlerweile umbenannt in Germanisches Nationalmuseum—als eine kollaborative (oder zumindest gegenseitig unterstützende) Anstrengung zwischen den verschiedenen deutschen Staaten in den Jahren unmittelbar nach der gescheiterten Vereinigung von 1848 dar. „Deutschsein“ in Form der Bedeutung der deutschen Geschichte, Literatur und Kunst und die Erhaltung dieses kulturellen Erbes dominiert den Text.
Quelle
Begründung und Organisation des Museums.
Die Gründung des germanischen Nationalmuseums erfolgte, nach vielfältigen Anregungen und Versuchen, auf der zu Dresden unter Vorsitz des Prinzen — nunmehrigen Königs — Johann von Sachsen abgehaltenen Versammlung deutscher Geschichts- und Alterthumsforscher, am 17. August 1852, auf Antrag des Freiherrn von und zu Aufsess aus Franken. Es erhielt dort seine bisher unverändert gebliebenen Statuten und durch Wahl der Versammlung seinen Vorstand und Verwaltungsausschuss. Als Sitz wurde Nürnberg bestimmt. Die Anstalt wurde am 18. Februar 1853, als eine mit allen Rechten einer juridischen Person begabte Stiftung zum Zwecke des Unterrichts, von der königlich bayerischen Regierung genehmigt und hierauf von der deutschen Bundesversammlung zu Frankfurt als ein deutsch-nationales Institut anerkannt und allen Bundesstaaten zur Unterstützung empfohlen. Die feierliche Eröffnung geschah am 15. Juni des gleichen Jahres. Durch käufliche Erwerbung des ehemaligen Karthäuserklosters erlangte das Museum im Jahre 1857 eigenen Grundbesitz und passende Räumlichkeiten, nachdem es bis dahin in gemietheten Privatgebäuden ungenügende Unterkunft gefunden hatte.
Der Zweck des Museums ist: unbeschadet aller bestehenden Sammlungen für Kunst und Wissenschaft, sämmtlichen auf Erforschung der deutschen Geschichte gerichteten Bestrebungen einen Einigungspunkt zu gewähren. Namentlich soll durch Herstellung umfassender Repertorien eine Uebersicht über das gesammte, nicht nur in Deutschland selbst, sondern auch im Auslande, in Bibliotheken, Archiven, Kunstkammern und sonstigen Sammlungen zerstreute Quellenmaterial bewerkstelligt werden, und zwar vorläufig bis zum Jahre 1650 herab. Die vermittelst Schenkung, Kauf und Depositum zusammengebrachten Sammlungen des Museums dienen als zweckmässige Belege für die einzelnen Zweige des Repertoriums, sowie auch als Beispiele zum Verständnifs des geschichtlichen Materials. Die Bibliothek, unterstützt durch Freiexemplare des deutschen Buchhandels, strebt die möglichste Vollständigkeit in der vaterländischen historischen Literatur an, während das Archiv vorzugsweise eine Rettungsanstalt für zerstreute historische Aktenstücke, Urkunden und Briefe sein, und zur sicheren Aufbewahrung und wissenschaftlichen Benützung kleiner Stadt- und Familienarchive Gelegenheit bieten soll. Die Kunst- und Alterthumssammlung besteht — in Originalen und Copieen — aus Gegenständen die zur Kenntnissnahme auch des gewöhnlichen Lebens unserer Voreltern geeignet sind. Von solchen Alterthümern, die nicht Sammlungsgegenstande sein können, oder sich in anderen Sammlungen befinden, sucht man wenigstens Abbildungen zu erhalten.
Die Leitung des Ganzen ist, nach Grundlage des 1856 veröffentlichten Organismus, einem aus zwei Vorständen bestehenden Direktorium übertragen. Diesem steht ein Verwaltungsausschuss von 24 Mitgliedern zur Seite. Der Gelehrtenausschuss, in gewählter und zahlreicher Vertretung aller Fächer der Geschichte, unterstützt das Museum in wissenschaftlichen Fragen. Eine Anzahl ständiger Beamter und Hülfsarbeiter erledigt die laufenden Geschäfte und arbeitet insbesondere an der Herstellung der Repertorien. Reger Verkehr mit den öffentlichen Anstalten und Vereinen für Geschichtsforschung, sowie gegenseitiger Austausch der Schriften findet ununterbrochen statt.
Die Mittel zur Erhaltung des Museums werden durch freiwillige Beiträge der deutschen Nation, ihrer Fürsten und Regierungen gewährt. Die Beiträge bestehen in Geld, in Gegenständen für die Sammlungen und in unentgeltlichen Arbeiten für die Zwecke des Museums. Zahlreiche Pflegschaften (Agenturen) sowie auch Hülfsvereine vertreten das Interesse der Anstalt ausserhalb ihres Sitzes. Als Eigenthum der Nation gewährt dieselbe nicht nur ihren gelehrten Mitarbeitern und Freunden, sondern jedem deutschen Staatsbürger die Benutzung der Sammlungen, natürlich unter den für Erhaltung und Ordnung derselben unerlässlichen Bedingungen. Zum Betriebe seiner buch- und kunsthändlerischen Geschäfte hat das Museum eine eigene „literarisch-artistische Anstalt“ begründet, in deren Verlag seine Publicationen und Kunsterzeugnisse erscheinen, und welche mit allen deutschen Buchhandlungen in Verbindung steht. Der seit 7 Jahren bestehende „Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit“ ist das wissenschaftliche Organ des Museums und dient zugleich zur Verbindung mit allen Freunden der Sache. Jeder Pfleger an den verschiedenen Orten hat die Pflicht, die ihm regelmässig zukommenden Blätter den theilnehmenden Freunden der Anstalt gratis mitzutheilen. Ueberdies geben die Jahresberichte über den Stand und die Entwickelung des Museums genaue Auskunft. Von Zeit zu Zeit werden Denkschriften ausgegeben, in denen bis jetzt der Organismus und die Kataloge der Sammlungen, nach dem Bestande des Jahres 1856, veröffentlicht worden sind.
Die Räumlichkeiten und Sammlungen des Museums.
Die Karthause, gegenwärtiger Sitz des Museums, wurde 1380 von Marquard Mendel, einem Nürnberger Altbürger, unter dem Namen Mariazell (cella beatae Mariae) gestiftet. Den Grundstein legte König Wenzel im darauf folgenden Jahre in Gegenwart des Kardinals Pileus, des Kurfürsten von Mainz, der Bischöfe von Würzburg und Bamberg, des Herzogs Wenzel von Sachsen, des Burggrafen von Nürnberg und anderer geistlicher und weltlicher Fürsten. Bis 1525 blieb die Karthause ein Kloster; damals traten Prior und Convent zur Reformation über, und das reiche Besitzthum fiel an die Reichsstadt. Die geräumigen Gebäulichkeiten wurden zu Amtswohnungen benutzt und in neuester Zeit nur kümmerlich unterhalten. In den letzten Jahrzehnden diente die schöne Kirche der k. bayer. Militärverwaltung als Heumagazin. Ehe die Gebäude vom Museum für seine Zwecke eingerichtet werden konnten, waren bedeutende Restaurationen nöthig, wozu die Mittel durch Beiträge der Nation aufgebracht werden mussten, aber noch nicht vollständig aufgebracht sind. Dennoch aber dürfen wir hoffen, in dem altehrwürdigen Bauwerke eines der interessantesten Denkmäler Nürnbergs für immer gerettet zu sehen.
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Quelle: Das germanische Nationalmuseum und seine Sammlungen. Wegweiser für die Besuchenden. Mit Abbildungen und Plänen. Nürnberg, im Verlag der literarisch-artistischen Anstalt des germ. Museums, 1860, S. 3–6. Online verfügbar unter: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV013478862/ft/bsb11346401?page=1
Weiterführende Inhalte
G. Ulrich Großmann, Architektur und Museum – Bauwerk und Sammlung. Das Germanische Nationalmuseum und seine Architektur. Ostfildern-Ruit: Hatje, 1997.
H. Glenn Penny, Objects of Culture: Ethnology and Ethnographic Museums in Imperial Germany. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2002.
Bénédicte Savoy, Hrsg., Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815. Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 2006.
James J. Sheehan, Museums in the German Art World from the End of the Old Regime to the Rise of Modernism. New York: Oxford University Press, 2000.