Die deutsche Kunst ist im Obergeschoss: Anonym (Johann Pezzl), Beschreibung des Wiener Belvedere (1786–90)

Kurzbeschreibung

Johann Pezzl (1756–1823), einer der bedeutendsten Schriftsteller der Wiener Aufklärung, verfasste zwischen 1786 und 1790 eine Reihe von Texten über die Stadt Wien und ihre bedeutenden Sehenswürdigkeiten. Seine Schriften enthielten auch eine Beschreibung des Belvedere, angeblich geschrieben von einem anonymen Besucher im späten 18. Jahrhundert. Dieser Bericht beschreibt die Anordnung von Exponaten nach regionalen Gesichtspunkten (z.B. sind die deutschen Künstler im Obergeschoss zu finden) und zeigt, dass der geografische Raum als dominante Organisationskategorie gilt (im Gegensatz zur Zeit). Die Darstellung erwähnt zudem das bunt gemischte Museumspublikum, was zeigt, dass es ein Ort einer breiteren Enkulturation war.

Quelle

Das Belvedere. Es liegt am äussersten Ende der Vorstadt, an der Südost-Seite von Wien, auf der Anhöhe, welche das Erdreich von dieser Weltgegend her gegen die Stadt zu bildet. Der Schöpfer desselben war Prinz Eugen, dem es in den Jahren seines größten Glanzes und Ansehns zum Sommeraufenthalte diente, und der ihm, so wie allen seinen Werken, den Stempel seines grossen Geschmaks aufdrükte, der zu jene Zeiten in Wien noch nicht Jedermans Sache war.

Nach verschiedenen Bestimmungen, die dieser Lustort nach seines ersten Besitzers Tode erhielt, wurde endlich das Gebäude zum Siz der unschäzbaren Gemälde-Galerie, und der Garten zum öffentlichen Belustigungsort für die Schöne Welt von Wien gewidmet.

Der eigentliche Haupteingang ist von der Seite der dicht daran stossenden Linie. Hier muss man eintreten, wenn man das Ganze nach seiner eigentlichen Richtung übersehen will; doch ist auch ein andrer Eingang von unten durch den Garten angebracht, welcher der Nähe und grösseren Bequemlichkeit wegen allgemein gebraucht wird. Von dem oberen Haupteingange kommt man in einen geräumigen Hof, der auf beiden Seiten mit Gebäuden und schönen Alleen besezt ist; in der Mitte liegt ein grosser angenehmer Teich. Das Hauptgebäude, ein länglichtes Viereck, liegt ganz frei. Es hat eine prächtige, vielleicht etwas zu sehr mit Zierrathen überladene Fronte. Man steigt auf stolzen doppelten Treppen hinan, und kommt hinter einer Kolonade in den grossen runden Marmorsaal: dieser ist das Mittelstük, und öffnet den Eingang auf beide Seitenflügel, deren jeder sieben Zimmer, und zwei runde Kabinette enthält. Der Marmorsaal selbst ist schon mit einigen grossen Gemälden behängt, die er wegen seiner durch das ganze Gebäude ragenden Höhe am besten fassen kann. Der rechte Flügel enthält den unnachahmlichen Reichthum der Italiänischen Schule. Im linken Flügel prangen die Schäze der Flamändischen Schule.

Im oberen Stockwerke hängen in den vier Zimmern des rechten Flügels die Meisterstüke der Deutschen Schule; in den vier Zimmern des linken Flügels die Denkmäler der alten Niederländischen Schule.

Eine solche Gemälde-Sammlung muß man ohne weiteres sehen. Jeder, der sie beschreiben wollte, würde sich daran zum Stümper schreiben.

Herr Mechel aus Basel hat sie von 1778 bis 1781 in jene Ordnung gebracht. Man ließ es ihm an nichts fehlen: die Rahmen allein haben über 70.000 Fl. gekostet. Der Vorrath aller ihm übergebenen Stücke war so groß, daß er aus Mangel an mehrerm Raum über tausend der minder kostbaren ausmusterte, welche im untern Gartengebäude aufbewahrt werden, und auch von solchem Kunstwerth sind, daß man aus denselben eine zweite Gallerie errichten könnte, die noch immer Aufmerksamkeit verdienen würde.

Seit Einem Jahre sind in dieser Gallerie beträchtliche Veränderungen vorgenommen worden. Bei Aufhebung der Klöster hat man in Italien und den Niederlanden manches schöne Stük gefunden, welches hieher wanderte; auch hat der Kaiser durch Kauf und sonstige Erwerbungen die Sammlung vermehrt. Man hat in den Zimmern den Raum noch besser benuzt, und mehr Gemälde aufgehangen, oder sie vortheilhafter vertheilt. Man hat einige von den von Herrn Mechel ausgeschlossenen Stüken zur offenen Ansicht hinauf gebracht, einige der ausgehangenen, als Stüke von mindern Werth, unter die ausgeschlossenen versezt. Man hat die vier ehedem geschlossenen Kabinette, an den Eken des Gebäudes, eröffnet, und mit kleinen kostbaren Stüken behangen, um in den übrigen Zimmern mehr Raum zu gewinnen. Durch alle diese Neuerungen ist freilich der von Hrn. Mechel gemachte Katalog der Gallerie beinahe ganz unbrauchbar geworden; indessen behaupten Kenner, daß die neue Einrichtung wirkliche Vorzüge vor der alten habe.

Die Gallerie ist an jeden Montag, Mittwoch und Freitag für die ganze Welt offen. Sie wird eigentlich nur in den wärmeren Monaten besucht. Junge Künstler erhalten sehr leicht die Erlaubniß, selbstgewählte Stüke zu kopiren.

An den Montagen ist gewöhnlich ein gedrängvolles Getümmel. Eine Menge Bürgersleute von den untern Klassen, Handwerksbursche, die den Blauen Montag machen, ja sogar geringe Dienstmädchen mit Kindern auf den Armen, besuchen, um den Nachmittag angenehm zu verbringen, die Bildergallerie. Hierin wünschte ich nun eine Abänderung. Die Kinder sind der Gallerie gefährlich: sie betasten manchmal mit schmutzigen Fingern die vortrefflichsten Stüke. Wozu ist auch überhaupt für Kinder die Ansicht der Gallerie? Ich glaube, man könnte, ohne dem Publikum einen Zwang zu thun, Kindern und andern ganz niedrigen Leuten den Eingang verwehren, weil ja eine solche Gemäldesammlung kein Marionettenspiel ist, und man doch weiß, daß dergleichen Leute nichts bessers aus der Ansicht derselben zu schöpfen wissen, als wenn sie aus langer Weile den Gukkasten eines Savoyarden ansähen.

Hinter dem Gebäude, gegen die Stadt zu, liegt der ziemlich geräumige Garten. Er bildet einen gelinden Abhang. Von der oberen Terrasse, noch mehr aber aus dem ersten Stokwerk des Schlosses, hat man eine entzükende Aussicht über den größten Theil der Stadt und der Vorstädte, auf den Kahlen Berg und die daran liegenden Weinberge, und rechts über die Gegenden der Donau hin. Diese Aussicht würde der Garten nicht haben, wenn er mit mehr und höheren Bäumen bepflanzt wäre: dagegen würde er einen anderen Vorzug besizen, nämlich mehr Schatten, den man jetzt nur in dem untern Theile findet. Aus Mangel dieser einem Garten so wesentlichen Eigenschaft wird er nicht sehr häufig, und nur gegen den späten Abend hin von der Schönen Welt besucht.

Quelle: Anonym [Johann Pezzl], Skizze von Wien. 6 Hefte. Wien/Leipzig, 1786–1790. 1. Heft, S. 436–42; abgedruckt in Tempel der Kunst: Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815, herausgegeben von Bénédicte Savoy. Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 2006, S. 489–90.

G. Ulrich Großmann, Architektur und Museum – Bauwerk und Sammlung. Das Germanische Nationalmuseum und seine Architektur. Ostfildern-Ruit: Hatje, 1997.

H. Glenn Penny, Objects of Culture: Ethnology and Ethnographic Museums in Imperial Germany. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2002.

Bénédicte Savoy, Hrsg., Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815. Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 2006.

James J. Sheehan, Museums in the German Art World from the End of the Old Regime to the Rise of Modernism. New York: Oxford University Press, 2000.

Die deutsche Kunst ist im Obergeschoss: Anonym (Johann Pezzl), Beschreibung des Wiener Belvedere (1786–90), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-322> [29.11.2023].