Barbara John, „Miteinander – nicht gegeneinander“ (November 1982)

Kurzbeschreibung

Die Kampagne „Miteinander leben in Berlin“ war eine der ersten öffentlichen Werbeaktionen für die multikulturelle Gesellschaft. Poster, die Ausländer und Deutsche in harmonischer Koexistenz am Arbeitsplatz zeigten, hingen in der West-Berliner U-Bahn, in Bussen und Bahnhöfen.

Quelle

Liebe Mitbürger,

Wer in einem Bezirk wie Kreuzberg, Schöneberg, Tiergarten, Neukölln, Wedding, Charlottenburg oder Spandau wohnt, in dem besonders viele Ausländer leben, fühlt sich vielleicht etwas überfordert oder benachteiligt.

Gefühle dieser Art sind durchaus verständlich. Manchmal sind es nur vorübergehende Stimmungen; manchmal stützen sie sich auf negative Erlebnisse. Es ist aber verkehrt, nur die schlechten Erfahrungen im Gedächtnis zu bewahren und die guten für selbstverständlich zu halten. Jeder von Ihnen kann sicher eine Reihe positiver Begegnungen anführen. Warum verdrängen wir eigentlich immer wieder die Freundlichkeiten, die uns widerfahren sind? Darüber sollten wir viel mehr in der Öffentlichkeit und im kleinen Kreis reden.

Wenn das gegenseitige Verstehen nicht immer auf Anhieb gelingt, so liegt es oft auch daran, daß wir zu wenig voneinander wissen. Viele von Ihnen begegnen türkischen Bürgern seit Jahren fast täglich – auf dem Weg zur Arbeit, auf der Straße, beim Einkaufen, im Haus. Ich weiß aus Gesprächen, daß Ihnen dennoch viele Verhaltensweisen der türkischen Wohnbevölkerung fremd geblieben sind, Oft allein deshalb, weil wir in den äußeren ungewohnten Erscheinungsbildern nichts Bekanntes sehen, Vertrautes entdecken.

Im Rahmen dieses Informationsblattes kann ich Ihnen nicht die türkische Kultur nahe bringen. Ich möchte Sie aber durch Beispiele ermuntern, offen aufeinander zuzugehen. Ich weiß, daß es gerade in diesem Punkt noch großer Anstrengung von beiden Seiten bedarf. Es lohnt sich aber.

Ein ähnliches Informationsblatt erhalten die türkischen Bürger, Darin habe ich u.a. dargestellt, was die deutsche Bevölkerung verstört, wenn sich die vertraute Nachbarschaft in kurzer Zeit in eine fast fremde Umgebung verwandelt.

In den letzten Monaten habe ich viel Gastfreundschaft in türkischen Familien erfahren und war immer wieder erstaunt über die offenen Gespräche. Mir sind dabei oft die Augen aufgegangen, weil ich vieles anders gesehen habe. Immer wieder habe ich erfahren, wie leicht sich Brücken schlagen lassen, wenn beide Seiten es wollen.

Daß es Menschen gibt, die ausgesprochen ausländerfeindliche Gesinnungen haben, ist für uns beschämend und für die Ausländer leidvoll. Wir alle dienen uns mehr, wenn wir dafür sorgen, gelungene Versuche von guter Nachbarschaft in die Öffentlichkeit zu bringen und dadurch zur Nachahmung zu ermuntern. []

Um den Dialog über gelungene Beispiele des Miteinanderlebens fortzusetzen, wäre es schön, wenn Sie mir ähnliche Erlebnisse berichteten.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Barbara John

Ausländerbeauftragte

Quelle: Informationsblatt der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats, November 1982, in Deniz Göktürk, David Gramling, Anton Kaes und Andreas Langenohl, Hrsg., Transit Deutschland. Debatten zu Nation und Migration, München: Konstanz University Press, 2011, S. 364-365.

Was ist deutsch? (1993)

Quelle: Die Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin. Zuerst veröffentlicht als Teil der Poster-Kampagne Miteinander leben in Berlin der Ausländerbeauftragten des Senats, 1993. In: 1981-2011: 30 Jahre Arbeit für Integration und gesellschaftliche Vielfalt, hg. von: Der Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration, Red.: John Röhe. Berlin: 2011. https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-opus-144340

Barbara John, „Miteinander – nicht gegeneinander“ (November 1982), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-103> [01.12.2023].