Anwerbestopp ausländischer Arbeitnehmer (23. November 1973)

Kurzbeschreibung

Am 23. November 1973, nur wenige Monate nach dem „Wilden Streik“ im Kölner Ford-Werk, wies Walter Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, die Auslandsdienststellen der Bundesanstalt für Arbeit an, die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften für den deutschen Arbeitsmarkt einzustellen. Arendt begründet den Anwerbestopp mit Verweis auf die im Oktober durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelöste Ölpreiskrise. Allerdings diente die Ölpreiskrise für die Bundesregierung eher als ein willkommener Anlass, langjährige politische Forderungen nach einer grundlegenden Eindämmung der Arbeitsmigration in die Realität umzusetzen. Die Debatte um Gastarbeiter drehte sich zunehmend um die Frage, wie weitere Zuwanderung und Niederlassung, vor allem von zuziehenden Familienmitgliedern, unterbunden werden könne. Dabei liegt es nicht zuletzt an dem Anwerbestopp, dass Deutschland sich seit Anfang der 2000er Jahre auch offiziell zu seinem Status als Einwanderungsland bekannt hat. Denn Arendts Weisung führte letztendlich dazu, dass viele Gastarbeiter sich entschieden zu bleiben und ihre Familien nachkommen zu lassen.

Quelle

— Abschrift —

5300 Bonn, den 23. November 1973
Postfach
Fernsprecher: 741
Durchwahl: 74

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
IIc 1 - 24200 - A -

Fernschreiben

Herrn
Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit
85 Nürnberg
Regensburger Str. 104

Betr.: Ausländische Arbeitnehmer;
hier: Vermittlung durch die Auslandsdienststellen der Bundesanstalt für Arbeit

Es ist nicht auszuschließen, daß die gegenwärtige Energiekrise die Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Monaten ungünstig beeinflußen wird. Unter diesen Umständen ist es nicht vertretbar, gegenwärtig weitere ausländische Arbeitnehmer über die Auslandsdienststellen der Bundesanstalt für Arbeit für eine Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik zu vermitteln.

Nach Zustimmung durch das Bundeskabinett bitte ich, unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 4 AFG die Auslandsdienststellen der Bundesanstalt für Arbeit - ausgenommen die Deutsche Kommission in Italien - anzuweisen, ab sofort die Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer einzustellen. Diese Maßnahme gilt bis auf Widerruf.

Ausländischen Arbeitnehmern, die im Ausland bereits einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben, ist die zur Einreise und Arbeitsaufnahme notwendige Legitimationskarte jedoch noch auszustellen. In diesem Zusammenhang bitte ich, mir mitzuteilen, in wieviel Fällen mit ausländischen Arbeitnehmern, die auf Kosten inländischer Unternehmen im Herkunftsland auf ihre berufliche Tätigkeit in der Bundesrepublik vorbereitet werden, bereits Arbeitsverträge abgeschlossen worden sind.

Bezüglich derjenigen ausländischen Arbeitnehmer aus Anwerbestaaten, die mit Sichtvermerk in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen, gilt nach wie vor der Erlaß des Bundesministers des Auswärtigen vom 28. Juni 1973 - 513 - 540.30 -.

Weiterhin bitte ich, Ihre Dienststellen im Inland anzuweisen, bei der Neuerteilung von Arbeitserlaubnissen für ausländische Arbeitnehmer gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 AFG i.V. mit § 1 Arbeitserlaubnisverordnung streng zu prüfen, ob eine Erneuerung der Arbeitserlaubnis aufgrund der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes verantwortet werden kann.

Die vorgesehenen Maßnahmen dürften die Gefahr der illegalen Beschäftigung tendenziell erhöhen. Ich bitte daher, Ihre Dienststellen im Inland anzuweisen, daß sie die zur Verfügung stehenden Mittel voll einsetzen.

Ich habe den Bundesminister des Auswärtigen gebeten, über die deutschen diplomatischen Vertretungen die Regierungen der betroffenen Anwerbestaaten in geeigneter Weise von dem zeitweiligen Anwerbestopp zu unterrichten und hierfür um Verständnis zu bitten. Die Sozialattaches der Botschaften der Heimatländer werden von hier aus unterrichtet.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
- 11 c 1 - 24200 - A

Arendt

Quelle: Bundesarchiv, BArch B 149/54458 fol. 9–10.

Anwerbestopp ausländischer Arbeitnehmer (23. November 1973), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-107> [09.12.2024].