Auswandererbrief von Heinrich Demler an seine Eltern (1835)

Kurzbeschreibung

In diesem Brief aus dem Jahr 1835 berichtet der Auswanderer Heinrich Demler seinen Eltern in Lauffen am Neckar über seine Reise von Le Havre nach New York, der ersten Etappe seiner Auswanderungserfahrung.

Quelle

Washington, 9. Jan. 1835

Geliebte Eltern und Geschwister

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Gott gebe, mein Brief träfe euch alle im bestem Wohlsein an. Unsere Kräfte und Gesundheit haben durch die erschütternde Reise nichts gelitten.

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Beym ersten guten Wind kamen bey 50 Schiffe an. Wir akkordierten dahier um 55 Franc für Überfahrt, für Kost zahlten wir 36 Franc.

Sontag, 25. May reißten wir ab, beym besten Wind auf einem großen amerikanischen Dreymaster, n.[amens] Manchester unter Capitain Swift, die Equipage bestand aus 2 Offizieren, 18 Matrosen, 3 Neger, die Reisenden waren 18 in der Cajute (diese zahlten jeder 500 Francs), 230 in unserem Schiffsraum, meistens Rheinländer. Der Wind war außerordentlich stark. In Zeit von drei Stunden hatten wir alles Land aus dem Gesicht verloren. Knorpp und ich mit noch einigen jungen Leuten halfen den Matrosen, die Segel spannen und ziehen. Aber bald fanden wir uns unfähig dazu, denn es kam uns ein solcher Schwindel und Unbehaglichkeit an, daß wir durcheinanderschoßen wie die Narren. Wir stiegen in den Raum hinunter. Nichts Abscheulicheres kann man wohl sehen, als hier die Einpackung von Wesen, die eine unsterbliche Seele haben sollen, und wieder die auf alle mögliche Weise betrogen worden, das alles ist toller als Sklavenhandel. In der Länge des Schiffsraums an beyden Seiten sind die Pritschen angebracht, 2 übereinander, meist so niedrig, daß man nicht aufrecht sitzen kann. In einem Bett sind 4 - 5 - 6 Menschen, die Küsten und Lebensmittel stehen in der Mitte aufeinander. Uns hatte kein Mensch aufmerksam gemacht und niemand war gefaßt auf den Sturm am ersten Tag. Meine Sachen waren wohl angebunden, aber die Küsten anderer waren drüber hergefallen, alles durcheinander. Die armen Leute stekten in dem finstern Loche und hatten die Seekrankheit im höchsten Grade, gänzliche Gedächtnisschwäche, Schwindel, Erbrechen, 10 mal in einer Stunde.

Beym Aufräumen fanden wir in unserer Küste 5 Bouteillen Brandwein zerbrochen. Es blieben uns noch 7 übrig []

Ich sprach französisch und deutsch, der Doctor französisch und englisch. Wir mußten deswegen immer die Dollmetscher machen. Kapitän und Matrosen usw. sprachen blos englisch. Kochen mußten wir uns selbst, wo es bey der Küche jeden Tag zwischen den Weibern Streit gab, welche sich nach und nach erholt hatten. Die Reise gieng übrigens glüklich von statten. Das Wetter wechselte häufig. Sturm, Regen, Nebel, Windstille, schön Wetter folgte nacheinander. 11 Tage im eins [am Stück] hatten wir keine Sonne gesehen gleich im Anfang. 7 Stürme hatten wir durchzumachen. Der wüthendste war in einer Nacht, nachdem das Meer am Abend vorher aufs Herrlichste beleuchtet war, wie wenn alle Gestirne sich auf seiner Oberfläche niedergelassen hätten. Unser Kapitän sprach mit denen von 5 anderen Schiffen, die wir nach und nach begegneten. Schwalben, Enten und wilde Sturmvögel folgten uns auf der ganzen Reise. Ganze Herden Fische, groß wie ein Schwein, umringten uns bey schönem Wetter. Wallfische sahen wir in der Ferne. Sehr kalt war es immer, unsere Führer befürchteten auf Eißberge zu stoßen. Endlich 1. Juli sahen wir Land um 6 Uhr. Abends lagen wir schon auf 3 Meilen von Newyork vor Anker. Der Arzt fand alle im besten Zustand. 4 Kinder waren auf dem Waßer geboren und gesund ans Land bracht worden. 3. Juli wurden wir ausgeschifft. O, das ist gewiss ein wonnevoller Augenblik, nach so vielen trüben Stunden wieder festen und grünen Boden zu betreten. Schlaflose Nächte hatten wir genug, wir junge, arbeitsfähige Mannschaft waren oft bis auf die Haut durchnäßt.

Newyork ist die größte und gewerbsamste Stadt in Nordamerika. Die französischen Schiffe fahren fast all dahin und ich rathe jedem meiner Landsleute, nicht nach Holland oder Bremen, sondern nach Havre de grace zu reißen, es ist für sie bequemer und wohlfeiler, nur müßen sie sehr vor den Spitzbuben Maklern auf ihrer Hut seyn.

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Ich grüße Eltern und Geschwister und Freunde, bittend um baldige Antwort verbleibe ich, euer aufrichtiger Freund und Sohn Heinrich Demler, Flaschner

Quelle: Auswandererbrief von Heinrich Demler an seine Eltern nach Lauffen am Neckar aus dem Jahr 1835 – Bericht über die Reise von Le Havre nach New York. Stadtarchiv Heilbronn E001-83, S. 1 Online verfügbar unter: https://stadtarchiv.heilbronn.de/stadtgeschichte/unterrichtsmaterial/neuzeit/auswanderung/quelle-brief.html

Zwischendeck eines Auswandererschiffs (1847)

Quelle: „Mitteldeck eines Auswanderschiffes“ Holzstich 1847, Historisches Museum Bremerhaven.

© Historisches Museum Bremerhaven

Auswandererbrief von Heinrich Demler an seine Eltern (1835), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-38> [13.12.2024].