Brief von Andreas Wiederhold an Georg Ernst von und zu Gilsa, Long Island (29.-31. August 1776)
Kurzbeschreibung
Wie so viele seiner Landsleute kämpfte der Hesse Andreas Wiederhold (1732-1802) für die Engländer im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Er hatte im Regiment von Eitel Philipp Ludwig von und zu Gilsa gedient und war später mit Wilhelm von Knyphausen – dem Kommandeur der hessischen Truppen in britischen Diensten – nach Amerika gegangen. In diesem Brief aus dem Jahr 1776, der an den Sohn seines ehemaligen Kommandanten Georg Ernst von und zu Gilsa gerichtet ist, beschreibt Wiederhold den Kampf vor und um New York, wobei er voller Begeisterung über das Land und seine natürlichen Reichtümer ist, für die Rebellen, gegen die er kämpft aber nur Geringschätzung übrig hat, da er deren Auflehnung gegen den englischen König als Undankbarkeit gegen König und Gott auslegt.
Quelle
S.T.
Theuerster Freund!
Daß wir glücklich den 12ten hujus in America angekommen sind, werden Sie nunmehro schon lange in meinem, den 15ten deßelben an Ihnen abgelaßene Schreiben ersehen haben. Selbigen Tages debarquirten wir und schlugen unser Lager auf State Island auf, um uns in etwas zu refragiren. Den 25ten giengen wir in blatten Booten von dieser Insul auf die Long Island, ohne von den Rebels – so dieselbe besetzt und 8000 Mann starck waren – gehindert zu werden; sie steckten alle in den Wäldern. Den 27ten griffen wir dieselben an, haben sie dichtig geklopfft und viele Gefangene gemacht. Wir Heßen haben 500 Gefangene gemacht, 2 Canonen, 1 Mortier und eine Fahne erbeutet. Unter diesen Gefangenen befinden sich zwey ihrer Generals namens Lord Sterling, so den lincken, und Sullivant, so den rechten Flügel commandierte. Letzteren hat unser Regiment gefangen gemacht. Überhaupt bestehen die Gefangenen aus 1500 Mann und 38 Officieren und die Toten und Blessirten sind unmöglich anzugeben, weilen alle Wälder und Büsche noch voll liegen. – Die sogenannten Rivelmans oder Scharfschützeen, so in allen Zeitungen berüchtigt sind, daß sie so gut treffen könten, sind Hunds etc. miteinander, und nicht so fürchterlich, wie sie gemacht worden. Ich habe derselben 19, so sich in ein fast undurchdringliches Gebüsche gesetzt, mit 8 Mann und zwey Unterofficieren zu Gefangenen gemacht: Sie fielen vor mir auf die Knie und bathen um Quartier. Ehe ich ihnen aber solches gab, musten sie mit entblöstem Kopf und gefalteten Händen vom König Gnade und Pardon bitten. Dieses thaten sie mit weinenden Augen und nachdem gab ich ihnen nicht allein ein Quartier, sondern lies auch die Blessirten gleich nach den Feldscherrs tragen, reichte ihnen so viel Rum und Brodt, als ich hatte, und tractirte sie menschlich, solange sie in meiner Gewalt waren, daß so, wie sie vom Regiment transportiret wurden, dieselben nicht von mir wollten. Sie sind so entsetzlich für uns Heßen in der Flucht, daß es nicht zu beschreiben ist. Einer derselben hätte bald den Corporal Küstner erschoßen. Es hätte ihm das Leben gekostet, wann er nicht sogleich auf die Knie gefallen wäre; und nachdem ich ihn fragte, warum er den Schuß noch gethan hätte, da er doch gesehen, daß er umzingelt gewesen wäre? So antwortete er, daß ihre Generals und Officiere sie berichtet hätten, daß wir nicht menschlich mit ihnen umgiengen, wann sie unsere Gefangene würden. Wir fiengen sie gleich auf, scalpierten sie, zerstümpelten sie an allen Gliedern und was derg(leichen) mehr für Grausamkeiten sind, und darum habe er es aus Furcht gethan. Ich antwortete ihn aber, |daß diese Handlungen von Unmenschen und Barbaren und vielleicht von ihren Generals, aber nicht von civilisierten und regulairen Trouppen, als wir wären, seyen. Er wüste, daß ich anjetzo oder vielmehr der Küstner Ursache hätte, ihn zu töden, aber er sollte sehen, daß das Lügen wären, so ihnen gesagt worden und lies ihn los. Der Verlust wird ohngefähr in allem 3 bis 4000 seyn. Von uns allen ist ein einiger Soldat von Pr(inz) Carl todtgeschoßen, in allem aber ohngefähr 50 Blessirte; hierunter befindet sich der Lieutnat von Donop von den Jägern. Die übrigen Officiere sind alle wohl und gesund, ausser einigen Anfällen von der Thyarhee. Alle bekannte Herren laßen sich gehorsamst empfehlen. Wir musten alle Gold und Silber von Montour und Huth abschneiden, um nicht so sehr distinguiret zu werden von den Scharfschützen, indem sie viele englische Officiers in der Affaire bey Boston ersch0ßen. Dieses war die Ordre und Warnung vom Herrn General Howe. Wir haben ihnen aber ihre Püchsen abgenommen – welche würklich recht gut sind – und trincken ihnen nun selbst daraus zu, dann fast jeder Officier hat eine solche und die dazu behörige Sachen als Pulverhoirn, Tasche und derg(leichen), gleich wie sie sie tragen, an sich, und schiest mit; dann geschloßen kann mann nicht agieren. Gestern rückten wir näher New Yorck nahe für ihr verschantztes Lager und machten Vorkehrungen, um sie heute Morgen anzugreifen. Sie rückten aus, formirten sich, waren aber, wie es Tag war, alle fort, hatten 12 Canonen im Stich gelaßen, vieler Zelter, Vieh und alle nur mensch(en)mögliche Victualien stehen laßen, wo wir uns lustig mit machen. Ich hab auch 5 Kühe, 2 Schweine davon durch ein paar Mann hohlen laßen; die Jäger und Engelländer haben sie bey 30 bis 40 für sich hergetrieben. Einige Regimenter sind schon ins Lager, so sie verlaßen, eingerückt und morgen frühe marschieren wir auch dahin. Soeben canoniren sich ein paar Fregatten mit einem Fort auf einer nahe an New Yorck gelegene Insul. Schade, daß ein so unruhig Volck ein so gesegnetes Land besitzet. Vieh im Überfluß! Waitzen, Korn und alle möglichen Getreide von der besten Art, genug! Obst, Castanien, Welche Nüße, Kürschen, Apricosen, Pürschen gantze Wälder voll, gleich wie bey uns die Eichbäume und andere Sorten Holtz. Das Obst kann ohnmöglich alle verbrauchet werden. Bis hirher den 29ten, abends 5 Uhr. Den 30ten hörte mann, daß sie anfiengen, New Yorck | zu verlaßen. Solches sahen und hörten wir selbst, dann das Regiment kam selbigen Tages in die nächsten Schantzen vor New York, so daß wir alles, was in der Stadt geschehn, genau bemercken konten. Nur dieses sagte ein Deserteur von ihnen aus, daß heute gegen 10 Uhr alles weibliche Geschlecht sich aus der Stadt retiriren sollte, und daß alle Praeparatoria zum Anstecken der Stadt gemacht wären. Ob sie dieses würcklich thun werden oder ob es nur Drohungen seyn, wird die Zeit lehren. Schade für eine so schöne und grose Stadt, welche alles hat, was zum menschlichen Vergnügen gereichet, daß sie ab<…>(evtl. „abgebrannt werden“) sollte. Übermorgen hoffen wir, wann das Anzünden nicht geschiehet, darinnen zu seyn. Es gehet alles in unserer Armee gut und sind glücklich bis daher gewesen. Alle Trouppen haben guten Muth und fechten praff, auser die Kriegsschiffe agiren nach unserer Einbildung nicht genug, sonst müsten alle die, so auf der Long Island gewesen, Gefangene seyn, doch wißen und verstehen wir deren Ordre und Operation nicht. Darf ich mein Respect an dero Fräeulein (!) Schwester Gnaden und mein Compl(iment) an alle liebe, gute Freunde und <…> (evtl. „Freundinnen“) gehorsamst bitten zu machen, besonders der Mademois(elle) Brieden zu sagen, daß sie <…> (evtl. „hierher“) gewünscht wurde von mir und ihrem Bruder, um ein einer obzwar will(den), doch sehr angenehmen Gegend spatzieren zu gehen. Ich und Briede – welcher gesund und wohl ist und sich gleichfalß empfehlen läßt – wünschen beyde, eine angenehme 2te Helfte zu haben und unser Leben hier zu beschliesen. Das Hertz im Leib springt einem redlichen Mann, ein so glückseeliges Land und Wohnungen zu sehen, die von bösen und ungehorsamen Rebellen entblöset sind und die mit ihren unverdienten Wohlthaten des Himmels nicht zufrieden, Gott und dem König nicht getreu sind – ruinirt zu sehen (!). Gott wird uns aber Glück und ihnen Reue geben, damit nicht alles nach ihrem irrigen Sinn verderbet werde. Wollen Sie die Freundschaft und Güte haben und den Herrn Pfarr Paulus zu Ziegenhayn auch etwas aus diesem Brief wißen laßen?
Ich empfehle mich Ihrer unschätzbahren Freundschaft und lebe und sterbe als dero treuer und gehorsamster D(eine)r
Wiederholt
Im Lager Long Island gegen
New Yorck, den 31 August 1776.
(Auf dem Umschlag:)
Der Besorger dieses Brieffs empfiehlt sich unterthänig.
Sobbe
Quelle: Holger Th. Gräf, Lena Haunert und Chistoph Kampmann, Hrsg., Krieg in Amerika und Aufklärung in Hessen: Die Privatbriefe (1772 - 1784) an Georg Ernst von und zu Gilsa. Marburg: Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, 2010, S. 146-49.