Ulrich von Werdum berichtet von seiner Reise nach Polen 1671/72

Kurzbeschreibung

Der ostfriesische Adlige Ulrich von Werdum (1632-1681) hatte in den Jahren 1670-1677 zahlreiche Reisen nach West-, Mittel- und Osteuropa unternommen, über die er ein detailliertes Reisejournal führte. Er reiste dabei als Begleiter wechselnder Dienstherren, in Begleitung seines Bruders Alexander. Seine Polenreise 1671/72 stand im Zeichen einer geheimdiplomatischen Mission. Die Beschreibung der Sitten und Gebräuche wie etwa der Religionsausübung, der sozialen Verhältnisse, der Bauweisen von Häusern, aber auch der Ernährungsgewohnheiten waren Teil einer kulturellen Chiffre, mit der Reisende der Frühen Neuzeit nicht nur das Fremde im Fremden, sondern auch das Eigene im Fremden in ihren Reisedarstellungen beschreiben und so die bereisten Länder für sich erschließen konnten.

Quelle

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Die Polen welche der Römischen Catholschen Religion zugethan, sindt so eyffrig Päbstisch, alß jenige Spanier oder yrländer seyn mögen, undt in ihrer Andacht mehr superstitieux alß devot: wenn Sie beten oder die Messe hören, schnarchen undt gruntzen sie im seufzen, daß manß von ferne höret, fallen nieder, schlagen mit dem kopf wieder die wandt undt bäncke, geben sich selbst ohrfeigenundt treyben mehr dergleichen Ungeberden, die von dem Papisten auß andern Nationen verlachet werden. Am freytag essen Sie nicht allein kein fleisch, sondern auch kein eyer, butter, käse oder milch. Die fisch undt gemüse so Sie alßdan gebrauchen, müssen mit nichts alß mit öel bereitet seyn über die fastentage so Sie, durch verordnung der Römschen Kirchen, mit andern Päbstlern gemein haben, ist fast niemandt der auß particulierer andacht nicht noch einen tag in der woche dazu faste, wie Sie denn auch in Polen die vigilien von allen festtagen der Jungfrau Maria kein fleisch essen, welches doch bey andern Nationen nicht observieret wirdt. Durchgehendts ist die Polnische Constitution der Leiber robust, lang undt dabey gesetzet von dicke, undt ob wohl die kinder nirgendts unachtsamer mögen erzogen werden, so findet man doch wenig Polen die von natur manq oder lahm sindt. An geschicklichkeit deß Verstandeß mangelts ihnen auch nicht, sindt aber leichtsinnig undt unbeständig, auch allerley Wollüsten übermässig ergeben. Wo sie entsicht haben undt die schwächsten sindt, wissen sie sich sehr demütig und geschmeydig zu erzeigen, wo Sie aber die weiche seite finden, undt meister werden, sindt Sie trotzig, übermüthig undt grausam, so daß Sie aut humiliter serviunt aut superbe dominantur, wie Livius sothane humeuren beschreybet. In ihrem gemeinen Leben, undt mutueller conversation, brauchen Sie so viel complimenten undt schmeichelreden alß nicht leichtlich einige andere Nation, undt ist kein bettler auf der gassen, so gering in Polen, welcher nicht von seinen Kindern Pan oiczicz, Herr Vatter, undt sein Weib Pani Matreo, Fraw mutter, genennet werde. Die von gleichem Stande sindt, fallen einander in den arm undt küssen sich aufm halse, wenn sie sich grüssen; Die geringeren umbfahren undt küssen ihren obern die knie, oder auch gar die beine undt füsse. Wenn gemeine leute einen geistlichen grüssen, legen Sie ihnen den kopf auf die brust undt küssen dieselbe; in Podolien undt Ukraina giebt der geistliche dem andern die handt, welche dieser küsset, undt sie alßdann an seine stirn drücket. Daß grösseste liebkosen in worten und geberdten findet man in Reussen, fürnehmlich bey dem frauenVolck, dazu die Reussiche Sprache auch dienet, alß deren accent nicht so herbe alß der Polnischen; weßwegen die Polen selbst sagen, daß zu Reusschen Lemberg so schön, zart, undt betrieglich frauenZimmer wohnen, alß sonst auf keinem ort deß gantzen Erdbodens. Ich habe daselbst wohl ein wackereß weib angetroffen, welcheß mir, alß ich waß von Sie kaufen wollte ein zeirlich compliment in Lateinscher sprach zu machen, undt sich in sehr flatteusen terminis zu exprimieren wuste. Sonst ist die Polnische Nation durchgehendts nachlässig undt faul, die nur daß nothwendigste überall bestellet, undt den rest unterwegen lässt. Daher komts, daß ihre meiste häuser undt kirchen von holtz gebauet; wiewohl sie sonst mit bruchsteinen, auch gutem thon zu Ziegelsteinen, überflüssig versehen sindt. Daß holtz aber, alß welches Sie in grossem überfluß stets bey der handt haben, gebrauchen sie zu allen Dingen, So daß man ein gantzeß hauß wirdt finden, darinn, außgenommen etlich wenig irrden gefäß undt waß kleyderlumpen, an allem hausrath undt zubehör, von unten biß oben nichts alß holtz, so wohl am gebeu des hauseß alß sonst zu finden. An ihren pflügen, wägen, schlitten ist nichts alß holtz, undt die egden binden Sie mit winden von runden stecken übereinander, in deren ecken Sie die höltzern Zinnen, mit gedräheten winden artig einwinden. Im ackerbaw sindt Sie ziemlich curieux, undt wissen daß Landt mit geraden furchen in kleine äcker sehr wohl zu pflügen, binden hernach zween egden bey der ecke zusammen, die einen gantzen acker beschlagen, undt jede an ihrer seite nach der furche abhänget, undt ein pferd in der furche gehendt vorgespannet hat, so daß auf dem gepflügten weder mensch noch vieh wieder zu treten komt, undt der Säemann auch in der furche gehet. Daß holtz gebrauchen die Polen auch an stat bleyeß in denn fenstern, undt zu ihren bienenstöcken, wie hier vorn pag:51 undt 54 gedacht. Eß veruhrsachet auch der Polennachlässigkeit, daß die bauren mehrenteilß ihr heu, vor Widnt undt Wetter, auf den Wiesen in hauffen stehen lassen, biß Sie dessen im Winter benötigt, alß wenn Sie eß nach gerade im schnee zu hause holen. Sie haben den köstlichsten boden den Sie wündtschen können undt sehr gute temperierte Luft, doch bawen Sie ausser den grossen Städten fast keine baumgärten, alß pflaumen undt dergleichen, die ihnen die Natur selbst wachsen lässet. In Kohlkraut undt Erdgewächsen sindt Sie curieuxer, darauf sie viel arbeit wenden, undt selbige in grosser menge haben, darunter der Kappeß oder Kumstkohl, den sie capusti nennen, überauß gemein ist. Sie haben ein art rettich, die Sie Burakj nennen, der eygenschaft, daß Sie roh gantz roht sindt, gekocht aber schneeweis werden, undt sehr wohl schmecken. Augurken essen Sie auch häufig, nicht allein eingemachte, undt alß Salat bereitete, sondern auch zu einem stück brot, mit schalen undt all auß der handt, wie einen apfel. In gantz Polen findet man fast kein brot daß gar gebacken; undt daß gesottene fleisch fressen sie auch halb roh, daß gebratens aber verbrennen Sie. Daß fleisch wirdt nicht nach pfunden, sondern nach ihre weise zugeschnitten, bey stücken verkauft, undt Sindt die Polen, wie in allen andern dingen, also auch im Kochen sehr schmutzig; Ihre speisen tragen sie nicht zugleich, sondern eine nach der andern zu Tisch, undt weil deren bißweilen zehen, funfzehen oder zwanzig sindt, undt Sie von einer jeden Schüssel vorlegen, wehren ihre mahlzeiten viel stunden lang: Sie fressen gerne fett, undt haben unß wohl frischen Käse in butter gebraten, undt Erbsen mit speck alß Würfel gehacket dick durchvermengt, vorgesezett, dazu Sie wie zu allen ihren speysen sehr wenig brot geniessen. Saltz, undt allerley gewürz, braucht keine Nation in solcher abundanz alß die Polen, undt sindt die speysen in der Küche so gesaltzen, daß deswegen bey ihnen kein Saltzfaß auf die taffel kömet. Waß zur Lebensnohtdirft gehöret, ist in Polen überflüssig undt wohlfeil, fürnehmlich daß fleisch, so daß ich zu Mlava in Masuren achtzig pfundt gut rindtfleisch vor einen Reichsthlr kauffen gesehen. Auf die gesaltzene undt gewürtzete Speyse, schmeckt den Polen ein guter Trunck, undt ist daß sauffen bey Hohen undt Niedern, mans undt frauen, hier so gemein, alß irgendtwo in der welt: fürnehmlich lieben Sie den brantwein sehr, den Sie auf Polnisch Grzolka, auf Reusch Horilka, undt in ihrem Latein crematum nenen. Auch die vornehmste leute führen ihn in ihren fläschenfuttern mit, undt müssen ihn fast stüdntlich drinken; daher dessen so viel consumiert wirdt, daß ein Jude zu Zolkiew, vor die freyheit deß er allein, in dem Städchen undt umbliegenden neun oder zehen dörfern, brandtwein brennen möchte, jährlich dreytausendt reichsthaler pfacht gab. Sie destillieren keinen von wein, sondern brennen ihn all von Korn, undt den schlimsten aus brennesteln.

Quelle: Silke Cramer, Hrsg., Das Reisejournal des Ulrich von Werdum (1670-1677). Kritische Edition eines Reiseberichtes. Peter Lang: Frankfurt am Main und New York, 1990, S. 107-11.

Ulrich von Werdum berichtet von seiner Reise nach Polen 1671/72, veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-45> [24.10.2024].