Auszug aus einer Policey- und Cameralordnung zur Frage „Ob das Wandern noch heute zu Tage nothwendig und nützlich sey“ (1796)
Kurzbeschreibung
Dieser Auszug aus einer Polizei- und Kameralordnung macht deutlich, wie das merkantilistische Denken des 18. Jahrhunderts in enger Verbindung mit der zunehmenden Mechanisierung von Produktionsprozessen die Tradition der Gesellenwanderungen vor dem Hintergrund obrigkeitlicher Reglementierung infrage stellte. Ein wirtschaftlich prosperierender Staat, so die Argumentation, kann es sich im Grunde nicht leisten, seine handwerklich geschickten und fleißigen Landeskinder für längere Zeit außer Landes zu lassen.
Quelle
Das Wandern der Gesellen ißt schon von Alters her, zu Erlangung mehrerer Geschicklichkeit, vor nothwendig gehalten worden. Man hat zu dem Ende bey allen Handwerken, ausser denen gesperrten, gewisse Wanderjahre festgesetzt. Und damit die wandernden Gesellen desto besser fortkommen möchten, hat man die Handwerksgeschenke und geschenkte Handwerke eingeführet. Weil in den alten Zeiten das Handwerkswesen, in Anhebung der Geschicklichkeit, in schlechten Umständen war, sich aber doch in einem Lande immer geschicktere Handwerker befanden, als in dem andern; so muß man gestehen, daß das Wandern damahls eine so nöthige als nützliche Sache gewesen. Allein die Zeiten haben sich geändert. Wenn man auf die Frage: Ob das Wandern noch heute zu Tage nothwendig und nützlich sey? Antworten soll; so kommen hier so verschiedene Umstände vor, daß man diese Frage weder allgemein bejahen, noch verneinen kann. Es kommt hier darauf an, wie die Umstände des Staats beschaffen sind, und ob die Wanderschaft nur innerhalb der Gränzen des Staats, oder aber außer Landes geschehen soll, auch auf was vor Art die Wanderschaft selbst angestellet wird. Wenn in einem großen oder auch nur mittelmäßigen Staate die Manufacturen, Fabriken und Handwerke in gutem Flor stehen; so würde es ein großer Fehler seyn, wenn man das Wandern ausser Landes gestatten wollte. Und wenn dieses ja bey ein und anderm Handwerk, oder sonst aus bewegenden Ursachen, zugestanden werden müßte, so muß doch keinem Landeskinde erlaubet seyn, ohne Vorwissen und Erlaubnis ausser Landes zu gehen, und diese Erlaubnis muß ordentlicher Weise nur auf einen gewissen Theil, z.B. auf ein Drittel der gewöhnlichen Wanderjahre, eingeschränkt seyn, so daß sie die andere zwey Drittel der Wanderjahre im Vaterlande selbst zubringen müssen; es wären dann wichtige Bewegungsgründe vorhanden, solche Erlaubnis auf die völlige Wanderjahre zu extendieren.
Quelle: Johann Heinrich Ludwig Berg, Hrsg., Policey- und Cameral-Magazin in welchem nach alphabetischer Ordnung die vornehmsten und wichtigsten bey dem Policey- und Cameralwesen vorkommenden Materien nach richtigen und vernünftigen Grundsätzen practisch abgehandelt und durch landesherrliche Gesetze und hin und wieder wirklich gemachte Einrichtungen erläutert werden, Bd. IV. Wien 1796, S. 295f.