Hollandgänger aus Lengerich (1802)

Kurzbeschreibung

In diesem Text beschreibt ein Pastor aus Lengerich im Emsland die als „Hollandgängerei“ bezeichnete saisonale Arbeitsmigration in die Niederlande, wo die Emsländer im 18. und 19. Jahrhundert vor allem als Torfstecher und Grasmäher Arbeit fanden.

Quelle

Der Amtmann Petri zu Lengerich berichtet darüber am 1. Sept. 1802 an die Regierung: „Es ist über das Hollandgehen seit vielen Jahren sehr viel gesprochen und geschrieben, jedoch nach meiner ganzen Kenntnis halte ich dafür, daß sich solches teils durch die vorgeschlagenen Prämien gar nicht wird vermindern lassen, teils auf dessen gänzliche Abstellung, wenn sie auf einmal möglich wäre, die totale Verarmung wenigstens der Niedergrafschaft Lingen nach sich führen müßte.

Denn woher sollte das viele Geld kommen, was die Provinz jährlich aufbringt, wenn es nicht größtenteils aus Holland geholt würde? Allein das Amt Lengerich erträgt jährlich an die 30.000 Gulden Staatsabgaben und an Privatgutsherren und Geistliche gewiß auch noch über 10.000 Gulden. Dies macht bei einer Bevölkerung von etwa 4.500 Menschen an die 5 Thaler auf jeden Kopf und von all diesem Gelde bleiben keine 5000 Gulden in der Provinz, so daß binnen 30 Jahren bloß aus dem Innern des Amtes Lengerich über eine Million Gulden bares Geld aus dem Lande gegangen sind.

Wie wäre es nun in einem von der Natur äußerst stiefmütterlich versorgten Lande, dessen größter Flächeninhalt aus wüstem Sand und Heidefeldern besteht, das keine Produkte zu Fabriken oder Manufakturen liefert und auch nicht zum Handel bequem liegt, möglich, durch inländische Industrie einen solchen großen jährlichen Geldausfluß zu ersetzen? Und was sollen wohl die Heuerleute, kleinen Bauern, Handwerker, Bauernjungs und -mädchen des Amtes Lengerich zu Hause anfangen können, um die 25.000 Gulden bares Geld jährlich zu übersparen?

Dieses Problem wird man nicht ohne weiteres lösen können, denn es ist sicher, daß aus Holland über 25.000 Gulden jährlich in das Amt Lengerich gebracht werden. Wir haben an 300 Heuerleute-Familien und von diesen nebst den kleinen Bauern, Handwerkern als Zimmerkute, Schneider, Schuster und Schmiede, ferner Bauernjungens und -mädchen gehen an die 500 Personen jährlich nach Holland und bleiben von 6 Wochen bis ½ ja ¾ Jahr dort. Unter 30-50 Gulden verdient fast keiner, die meisten über 50 Gulden, ja viele 60, 70, 90 bis 100 Gulden und noch mehr, so daß man den Mittelverdienst zu 50 Gulden auf 500 Personen annehmen kann, welches 25.000 Gulden ausmacht.

Der Heuermann verdient in der Zeit von Ostern bis Jakobi, wo er zu Hause doch nichts zu tun hat, so viel, daß er seinem Bauern die Heuer bezahlen kann und der kleine Bauer bleibt in der nämlichen Periode dort und kommt in der Zeit seiner eigenen Ernte mit einem Verdienst zurück, woraus er die landesherrlichen Abgaben berichtigt und sich noch etwas auf den Winter erspart Der Handwerker bleibt solange dort, als er Arbeit findet und verdient oft in einer Woche mehr wie hier in einem Monat. Auch die Bauernjungens und -mädchen, die gewöhnlich bis zum Herbst ausbleiben, verdienen gutes Geld, womit sie teils ihre hiesigen Eltern und Geschwister unterstützen, teils sich einen Brautschatz für ihren künftigen Hausstand ersparen.

Die Provinz ist von Natur aus zu arm, als daß sie ohne auswärtigen Verdienst bestehen könnte und der geringste Verdienst in Holland kann keine so großen Nachteile haben, weil sich das Land seit Jahren schon sehr gut befindet. Ich will hiermit keineswegs behaupten, daß man die inländische Industrie und deren Aufhelfung vernachlässigen müßte, allein man braucht auf die Verminderung des Hollandgehens keine besonderen Prämien aussetzen, da derjenige, der sich im Lande ehrlich zu nähren weiß, gewiß nicht zur sauren Arbeit nach Holland geht.

Die Vermehrung der inländischen Kulturen durch Markenteilung und Ansiedlung von Neubauern ist das beste Mittel zur Festhaltung der Eingeborenen und so wie hierdurch die inländische Produktion und der Wohlstand zunehmen wird, so wird auch dadurch das Hollandgehen sich von selbst vermindern.“

Nach Pastor Meier

Quelle: Lengericher Geschichte(n), Nr. 2, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1996, S. 2-3, Online verfügbar unter: http://www.heimatarchiv.de/lengerich/hollandgaenger.html

Abreise der Hollandgänger (undatiert)

Quelle: Horst Rössler, Hollandgänger, Sträflinge und Migranten: Bremen und Bremerhaven als Wanderungsraum. Hrsg. Förderverein Deutsches Auswanderermuseum e.V., Bremerhaven, S. 89.

Hollandgänger aus Lengerich (1802), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-50> [29.11.2023].