Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs (4. April 1915)

Kurzbeschreibung

Durch die Mobilisierung von Millionen von Männern für das Heer und die Marine konnte der Bedarf an Arbeitskräften für die Wirtschaft, insbesondere in der Landwirtschaft, nicht mehr ausreichend gedeckt werden. Als Ersatz wurden daher Kriegsgefangene herangezogen.
Kriegsgefangene konnten, soweit sie Mannschafts- und Unteroffiziersgrade besaßen, laut Artikel 6 der Haager Landkriegsordnung von 1907 zur Arbeit gezwungen werden. Offiziere waren davon ausgenommen. Der Großteil der Kriegsgefangenen in Deutschland während des Ersten Weltkriegs kam aus Russland, gefolgt von Frankreich, Großbritannien, Rumänien und Italien. Sie wurden zumeist in Kriegsgefangenenlagern untergebracht, später auch in privaten Haushalten einquartiert. Dieses Schreiben verleiht einen Eindruck in die Unterbringung und Behandlung der Kriegsgefangenen im Kreis Meschede, wo sie in der Landwirtschaft arbeiten mussten.

Quelle

Schreiben der Inspektion der Kriegsgefangenenlager des XVIII. Armeekorps an den Landrat des Kreis Meschede zum Einsatz von Kriegsgefangenen in Industrie und Landwirtschaft

Frankfurt a. M., 4. April 1915.
Kettenhofweg 22.

In der Nähe der verschiedenen Kriegsgefangenenlager des Korpsbezirks hat sich in den letzten Wochen eine intensive Nachfrage nach Kriegsgefangenen-Arbeitern zur Aushilfe bei der Landwirtschaft sowohl, als auch bei der Industrie entwickelt.

Die Inspektion nimmt an, dass ähnliche Verhältnisse auch in anderen Gegenden und Kreisen bestehen. Um dieser Nachfrage zu begegnen, und um den Bezug von Kriegsgefangenen da zu erleichtern, wo es an Arbeitskräften wegen Einberufung zur Fahne fehlt oder fehlen wird, beabsichtigt die Inspektion in den verschiedenen Kreisen sogenannte „Arbeitslager“ zu errichten, jedes unter dem Kommando eines Offiziers, Offizier-Stellvertreters oder Feldwebels, aus denen der Bedarf der Umgegend befriedigt werden kann, und nach denen, Je nach diesem Bedarf von den Hauptlagern Ersatz nachgeschoben werden soll.

In die „Arbeitslager“ werden gelegt: nur gesunde Kriegsgefangene, nur gegen Pocken, Cholera & Typhus geimpfte Kriegsgef., nur arbeitswillige, gutmütige Kriegsgefangene. Die wichtigste Frage bei der Errichtung solcher „Arbeitslager“ ist die Möglichkeit der Unterkunft. Die Inspektion ist nicht gewillt, Baracken für die Unterkunft zu bauen, da das Reich schon viele Hunderttausende zum Zweck des Barackenbaues ausgegeben hat. Weitere Ausgaben dürfen dem Vaterland nicht zugemutet werden.

Zur Unterkunft für die Kriegsgefangenen eignen sich insbesondere leerstehende Häuser, seien sie Armenhäuser oder herrschaftliche Häuser, seien es Turnhallen, Gemeindehäuser oder leerstehende Fabriken. Von der Qualität der Unterkunft hängt in vieler Hinsicht die Zufriedenheit der Kriegsgefangenen ab. Es ist infolgedessen von Wichtigkeit, dass die Unterkunft ein gewisses Mass von Komfort für die Kriegsgefangenen Arbeiter bietet.

Je nach Grösse der Unterkunft wäre das „Arbeitslager“ mit 30 bis 500 Gefangenen zu belegen.

Die Verpflegung ist derart gedacht, dass jedem Detachement mehrere Kriegsgefangene-Köche mitgegeben und dass das Rohmaterial für die Verpflegung im allgemeinen aus der Nähe des Lagers bezogen wird.

Die Inspektion bittet um gefl. Nachricht, ob dieser Vorschlag auf dortige Zustimmung hoffen kann, und fe[rner] ob und welche Gebäude sich innerhalb des Kreises zur Einrichtung von „Arbeitslagern“ eignen.

[Unterschrift]
Generalmajor und Inspekteur.

Quelle: Schreiben der Inspektion der Kriegsgefangenenlager des XVIII. Armeekorps an den Landrat des Kreis Meschede zum Einsatz von Kriegsgefangenen in Industrie und Landwirtschaft; Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen. Online verfügbar unter: http://www.westfaelische-geschichte.de/que115279

Russische Kriegsgefangene bei der Feldarbeit (1915)

Quelle: Russische Kriegsgefangenen bei der Feldarbeit. Fotograf: unbekannt. Bundesarchiv, Bild 183-S10014.

© Bundesarchiv

Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs (4. April 1915), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-65> [29.11.2023].