Ein Eroberungszug im Mündungsgebiet des Río de la Plata (1536)

Kurzbeschreibung

Vom habsburgischen Spanien aus unternahmen zahlreiche Konquistadoren Eroberungszüge „in Spanisch-Amerika“, d.h. genauer in die durch Kriegszüge zunehmend unterworfenen Gebiete. An einem aus Sicht der Eroberer aussichtsreichen und gut ausgerüsteten Eroberungszug unter dem Kommando von Pedro de Mendoza (Granada, um 1487-1539) in das Mündungsgebiet des Río de la Plata (heutiges Argentinien) nahm der Straubinger Patriziersohn Ulrich Schmidel (um 1510-um 1580) als Landsknecht teil und verbrachte fast 20 Jahre in Lateinamerika (1536-1553). Die Flotte, die 14 Schiffe mit über 2.500 Seeleuten und Soldaten umfasste, wurde zum Teil von den Welsern finanziert. Die Truppe drang 1535 flussaufwärts vor, die etwa 3.000 ansässigen Querandí teilten Nahrung mit ihnen. Die Beziehungen verschlechterten sich schnell, die Einheimischen zogen ab. Die Europäer legten ein Fort an, das sie Buenos Aires nannten, und entsandten eine mit Gewehren bewaffnete und teils berittene Expedition. Sie verloren eine Schlacht gegen die Querandí, töteten aber 1.000 von ihnen. Es folgten langanhaltende kriegerische Auseinandersetzungen.

Ulrich Schmidel hatte sich, wie es scheint, für dauerhafte Migration entschieden. Er lebte mit einer (oder mehreren) einheimischen Frauen und hatte mehrere Kinder. Erst als ihn die Nachricht vom Tod seines Halbbruders Thomas und eines substantiellen Erbes erreichte, kehrte er 1554 zurück und wurde wohlhabender Ratsherr in Straubing, musste aber wegen religiöser Konflikte 1562 nach Regensburg abwandern.

Sein Reisebericht wurde ab 1567 wiederholt gedruckt und in fünf Sprachen übersetzt. Anders als Nikolaus Federmann geht Schmidel kaum auf die Lebensweise der indigenen Völker ein, sondern berichtete von der Conquista und dem Soldatenalltag. Er war Zeuge der Gründung des Forts von Buenos Aires. Deshalb spielte sein Bericht, eines der wenigen narrativen Zeugnisse des Eroberungszuges, seit dem 19. Jahrhundert im nation-building-Prozess Argentiniens eine wichtige Rolle. Der Kriegszug dient als Beleg für den Auftakt einer langen Migrationsbewegung in den Cono Sur. Die vor den europäischen Söldnern Ansässigen sind in den nationalen Gründungsmythos nicht aufgenommen worden. Vor allem die Kupferstiche wurden immer wieder als früheste Abbildung der späteren Hauptstadt des Vizekönigreichs Río de la Plata herangezogen, zumal über die ersten Jahre sonst wenig bekannt ist. Die befestigte Siedlung musste 1541 aufgegeben werden, sie wurde erst 1580 in anderer Form weiter flussaufwärts dauerhaft angelegt. Die Abbildungen gehen nicht auf Vorlagen Schmidls zurück und erscheinen erst in späteren Auflagen, beispielsweise in der hier gewählten Nürnberger Ausgabe von 1602.

Quelle

Kapitel 7: Von der Stadt Buenos Aires und den Querandis

Da nun haben wir eine Stadt gebaut, die hat gehießen Buenos Aires, das ist zu Teutsch Gute Winde. Wir hatten aber auch auf den Schiffen 72 Pferd und Stuten mit aus Hispania gebracht. Auf diesem Land haben wir einen Flecken gefunden, darinnen auch indianisch Volk, Querandis genannt, ungefähr 2000 Mann samt ihren Weibern und Kindern, welche wie die Charruas vom Nabel bis auf die Knie bekleidet sind. Die haben uns Fisch und Fleisch zu essen gebracht. Diese Querandis haben keine eigne Wohnung, sondern ziehen im Land herum gleich wie bei uns die Zigeuner. Wann sie zur Sommerzeit reisen, ziehen sie manchmal über 30 Meilen Wegs weit auf trockenem Land, dass sie keinen Tropfen Wassers zu trinken finden. Und so sie etwa über einen Hirschen oder anderes Gewild gekommen, trinken sie dessen Blut; finden auch bisweilen eine Wurzel, die heißt Cardes. Die essen sie für den Durst. Dass sie aber das Blut trinken, geschieht allein darum, weil sie gar kein Wasser noch sonst etwas zu trinken haben und die sonst müssten gar vor Durst sterben.

Diese Querandis haben mit uns 14 Tag lang täglich ihre Armut an Fischen und Fleisch geteilt und ins Lager gebracht, und nur einen Tag, an welchem sie gar nicht zu uns gekommen, ausgesetzt. Da schickte unser Oberster Don Pedro Mendoza alsbald einen Richter, Juan Pavon genannt, samt zween Knechten zu ihnen, denn dieses Volk der Querandis hielt sich 4 Meilen Wegs von unserm Lager auf; die verhielten sich aber, als sie zu ihnen kamen, dermaßen, dass sie alle drei wohl verbläut und alsdann wieder heimgeschickt wurden.

Als aber unser Oberster Don Pedro Mendoza dessen nach Anzeigung des Richters inneward, welcher einen solchen Aufruhr im Lager anfing, schickte er seinen leiblichen Bruder Don Diego Mendoza mit 300 Landsknechten und 30 wohlgerüsteten Pferden, davon dann auch ich einer gewesen, gegen sie aus mit dem Befehl, die genannten indianische Querandis alle zu fangen und totzuschlagen und ihren Flecken einzunehmen. Als wir aber zu ihnen kamen, waren ihrer wohl bei 4000 Mann, denn sie hatten ihre Freund zusammen gerufen.

Kapitel 9: Wie die Stadt Buenos Aires gebaut, und von der Hungersnot, an der wir gelitten

Als wir nun wieder in unser Lager kamen, teilte man das Volk voneinander; denn was zum Krieg tauglich war oder was zur Arbeit, dazu ward ein jedes gebraucht. Man baute daselbst eine Stadt und einen erdenen Wall, einen halben Spieß hoch, darum und darinnen ein stark Haus für unsern Obersten. Die Stadtmauer von Erde war drei Schuh breit, und was man heut gebaut, das fiel morgen wieder ein. Denn das Volk hatte nichts zu essen, litt sehr große Armut und starb vor Hunger. Auch kam es letztlich dazu, dass die Pferd nicht glücken oder gelingen wollten. Es verursachte auch solch große Armut und Hungersnot, dass weder Ratten noch Mäus, weder Schlangen noch anderes Ungeziefer genug vorhanden waren zur Sättigung dieses großen jämmerlichen Hungers und dieser unaussprechlichen Armut; auch die Schuhe und anderes Leder, es musste alles gegessen sein.

Es begab sich, dass drei Spanier ein Rosse entführten und dasselbige heimlich aßen; und als man dessen inne ward, wurden sie gefangen und mit schwerer Pein befragt. Als sie nun solches bekannten, wurden sie zum Galgen verurteilt und gehenkt. In derselben Nacht gesellten sich drei andere Spanier zusammen, die sind kommen zu diesen dreien Gehenkten zum Galgen, haben ihnen die Schenkel vom Leib abgehaut und große Stücke Fleisch aus ihnen geschnitten zu Ersättigung ihres großen Hungers. Item hatte auch ein Spanier seinen Bruder, der in der Stadt Buenos Aires gestorben war, aus übermäßigem Hunger gegessen.

Quelle: Ulrich Schmidel, Vierte Schiffart. Warhafftige Historien. Einer Wunderbaren Schiffahrt/welche Ulrich Schmidel von Straubing von Anno 1534. biß Anno 1554, in Americam oder Neuwewelt/bey Brasilia vnd Rio della Plata gethan […]. 2. Aufl. Nürnberg 1602 [ND Graz 1962], S. 7f., 10. [sprachlich modernisiert nach: Ulrich Schmidel, Wahrhaftige Historie einer wunderbaren Schifffahrt welche Ulrich Schmidel von Straubing von 1534 bis 1554 in Amerika oder Neue Welt bei Brasilia oder Rio Della Plata getan, herausgegeben von Fernando Amado Aymoré, Wiesbaden 2010, S. 52f., 58f.]

Ulrich Schmidel, „Ein Eroberungszug im Mündungsgebiet des Rio de la Plata“ (1536)

Quelle: Vierte Schiffart. Warhafftige Historien. Einer Wunderbaren Schiffart, welche Ulrich Schmidel von Straubing, von Anno 1534 biß Anno 1554, in Americam oder Neuwewelt, bey Brasilia vnd Rio della Plata gethan : Was er in diesen Neuntzehen Jahren außgestanden, vn[d] was für seltzame Wunderbare Länder vnd Leut er gesehen. Noribergae: Hulsius, 1602. MDZ, http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10861749-1

Mark Häberlein, Schmidl, Ulrich, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 161f.

Wolfgang Neuber, Fremde Welt im europäischen Horizont. Zur Topik der deutschen Amerika-Reiseberichte der frühen Neuzeit. Berlin 1991.

Ein Eroberungszug im Mündungsgebiet des Río de la Plata (1536), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-71> [22.10.2024].