Auszug aus dem Missionstagebuch David Zeisbergers (1776)

Kurzbeschreibung

Im 15. und 16. Jahrhundert entwickelte sich aus der 1415 beginnenden Reformation in Böhmen und Mähren (nach Verbrennung von Johann Hus) eine anti-habsburgische protestantische Kirche, deren Mitglieder „Mährische Brüder“ genannt wurden, als sie vor der militärischen Gegenreformation am Beginn des 18. Jahrhunderts nach Sachsen fliehen mussten. Nach ihrem post-migrantischen spirituellen und administrativen Zentrum in Herrnhut (Oberlausitz), gegründet von Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760), wurde die Gruppe Herrnhuter Brüdergemeine genannt. Dorthin floh 1726 aus einem Karpatendorf eine Familie Zeisberger mit drei Söhnen. Zehn Jahre später wanderten die Eltern mit anderen Mitgliedern der Brüdergemeine nach Georgia aus, ließen jedoch David Zeisberger (1721-1808) zurück. Auf eigene Faust zog er bald nach und wurde bis 1745 zum Missionar ausgebildet. Auch seine Geschwister arbeiteten als Missionare, in Südindien (Tranquebar) und in Surinam. David Zeisberger baute unter anderem zwei Missionsorte im Ohio-Tal mit auf, Schönbrunn und Gnadenhütten.

Er schrieb, wie üblich, ein Missionstagebuch, das in der Regel vierteljährlich in den Hauptort der Mission gesandt wurde. Von dort wurde dann eine gestraffte Abschrift nach Herrnhut geschickt. Die Tagebücher waren keinesfalls privater Natur. Sie sollten Fortschritte in Sachen Spiritualität und Mission verzeichnen und auch über das Alltagsleben, Taufen, Besuche und Feste berichten. Das Tagebuch sollte vor allem der Erbauung der Leserschaft dienen. Zeisberger schilderte, wie die in der Gegend siedelnden „Indianer“ das Wort Gottes hören wollten und den Herrnhutern bei der Errichtung des Dorfes halfen. Er verschwieg Schwierigkeiten und Verzögerungen nicht: der Indianer „Minque“ verließ die Mission, ein anderer fragte nach der Vereinbarkeit des „Chief“-Amtes mit dem Christentum. Der Textausschnitt umfasst die Gründung eines weiteren Missionsortes, Lichtenau, im April 1776 am Fluss Muskingum, einem Nebenfluss des Ohio. Die Passage zeigt zudem beispielhaft, wie präzise Beobachtungen vor Ort, beispielsweise zur Topographie, mit dem Vorstellungshorizont eines Missionars umrissen werden.

Quelle

Den 13. [April 1776]: Nach der Frühstunde war unsere erste Arbeit, das Town abzustecken und jeder Familie ihr Lot zuzuweisen, damit sie sich so gut wie möglich einrichten können. Danach ging ein jeder frisch und munter an die Arbeit und rodete die Bäume und das Gehölz, das kreuz und quer auf dem Bauplatz wuchs. Fünf Brüder, die uns von Schönbrunn hierher begleitet hatten, boten sich an, erst ein Haus für die Brüder David und Heckewalder aufzublocken und unter Dach zu bringen, ehe sie wieder nach Hause gingen, wozu sie auch gleich Anstalt machten.

Aus Goschachgünk kriegten wir vielen Besuch von Indianern, sie verlangten vom Heiland zu hören, wozu die Indianerbrüder auch gleich bereit waren ihnen zu dienen. Nachdem sie noch den Platz besehen hatten, wo das Town zu stehen kommt und wie es ausgelegt ist, so kehrten sie gegen Abend wieder nach Hause. Wir haben derweil nur eine Gasse von zwei Reihen Häusern abgesteckt von Norden gerade nach Süden nach der Lage des Landes längs dem Revier und den Platz für’s Gemein- und Versammlungshaus bestimmt.

Am 14. [April 1776] kam der Chief Netawatwees zu Wasser und ein ganzer Haufe seiner Leute zu Lande herunter zur Predigt, die unter freiem Himmel gehalten wurde über den heutigen Text: Also ist’s geschrieben und also musste Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tage etc. [Lukas 24, 26]. Darunter waren auch etliche Cherokeesen, die jetzt in Goschachgünk wohnen. Alle waren dabei sehr aufmerksam, und die Indianerbrüder diskutierten danach in Gruppen weiter, um die Lagerfeuer herum versammelt, worauf sie gegen Abend wieder nach Hause gingen.

Den 15. [April 1776] wurde fortgefahren, weiter zu roden und Anstalten zum Bauen zu machen. Unser Bauplatz sah wie eine wüste Einöde aus, sodass man kaum hindurchkommen konnte. Wegen der schweren Stürme, die es hier bisweilen gibt, ist es nämlich wegen der Sicherheit nötig, dass das Holz ringsherum abgehauen wird. Wir hatten Besuch von Monsy- und Minque-Indianern, letztere waren die Freunde der Agnes-Indianer, und sie blieben bei uns über Nacht, und ihnen verkündigte Isaac den Heiland. Der Minque hatten aber keine Ohren zu hören, sondern ging am nächsten Morgen weg und ließ seine Frau, die noch gerne länger hier bleiben wollte, zurück.

Den 16. [April 1776] kam John Killbuck, Netawatwees‘ Enkel (er ist so etwas wie der Vorsteher von den Goschachgünk) mit einer ziemlichen Anzahl Indianer und boten sich an, uns bei unserer Arbeit zu helfen, was wir mit Dank annahmen und sie ans Häuser aufblocken stellten. So halfen sie uns auch den 17. [April 1776], und die vier Cherokeesen waren sowohl gestern als auch heute fleißig mit an der Arbeit. Unser Noah, welcher mit uns gekommen ist, um sie zu sehen, hatte einige Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen, so von der Seligkeit, die uns der Heiland durch sein Blut erworben hat.

Den 20. [April 1776] zogen wir vom Revier, wo wir bisher campiert hatten, auf unseren Stadtplatz, und zwar jeder auf sein Lot. Eine Familie aus Goschachgünk fragte uns um Erlaubnis, bei uns wohnen zu dürfen, und erhielt sie auch. Es sind die ersten, die zu uns kommen, zusammen sechs Personen. Der Mann ist der Enkel des Netawatwees, Bruder unseres Thoma, und die Frau wurde als 13jähriges Mädchen im Bethlehemischen Gemein-Saal von Bruder Joseph auf den Namen Hanna getauft. Durch ihre Mutter, namens Magdalena, die auch eine Getaufte war und vor einigen Jahren in Gekelemukpechünk verstorben ist, wurde sie aber wieder aus der Gemeine gebracht. Sie kamen am nächsten Morgen früh im Kanu mit ihren Sachen herunter und zogen ganz zu uns.

Den 21. [April 1776]: Vor der Predigt, welche die erste Gelegenheit war, die wir auf dem Stadtplatz hatten, weihten wir dieses Örtchen mit Gebet und Flehen ein. Wir baten uns vom Heiland aus, dass er mit uns Einzug halten und bei uns bleiben möge, dass Er durch das Wort von seinem Kreuze, das hier gepredigt wird, sich eine Gemeine aus den Indianern in dieser Gegend sammeln wolle zu seines Namens Ehre und Verherrlichung und dass noch tausende ihr Heil in seinen Wunden suchen und finden mögen. Unsere heutige Losung gab uns auch dazu die schönsten Verheißungen. Sie hieß: Du sollst durch Gerechtigkeit bereitet werden. Du wirst ferne sein von Gewalt und Unrecht, dass du dich davor nicht dürfest fürchten, und von Schrecken, denn es soll nicht zu dir nahen. Bewahre dein Haus und deine Herde, die ihrem Hirten so lieb und wert ist; bewahre sie von außen und auch von innen, und der Einwohner ihr ganz Beginnen das geh auf Grund [Jesaja 54, 14].

Netawatwees war mit einer großen Anzahl seiner Leute, sowohl Männer wie Weibsleute, zugegen. Mit ersterem sprachen die Brüder noch lange aparte vom Grunde unserer Seligkeit im Blute Jesu, welches er für unsere Sünden vergossen, wobei er mit Attention zuhörte, und man konnte es ihm ansehen, dass er seriös darüber dachte.

Ein anderer namens Gelelemend oder John Killbuck, welcher nach dem Netawatwees zum Chief destiniert ist, fragte Bruder David unter anderem, inwiefern sich ein Gläubiger oder jemand, der gläubig werden wolle, mit Chief-Affairen abgeben könne? Bruder David antwortete ihm: Insofern einer heidnischen Sachen, Zeremonien und Gebräuchen verschont bleiben könnte, so könnte ihm sein Chief-Amt nicht hinderlich sein, und ein Chief konnte ebensogut gläubig werden als ein anderer, der kein Chief wäre, nur müsste er ein für allemal dem Heidentum absagen. Er sagte ferner, es wäre ihm schon seit dem Herbst in seinem Herzen so geworden zu uns zu ziehen, er hätte auch schon vor einiger Zeit, ehe wir hierher gekommen, mit seinem Onkel, dem Chief, deswegen gesprochen, dass er gerne nach Gnadenhütten hätte ziehen wollen. Er hätte damals wohl nichts dagegen gesagt, nach einiger Zeit aber hätte er ihm doch gesagt, er solle nicht eilen, sondern noch ein wenig warten, weil er hoffe, dass die Brüder hierher kommen würden, und da solches nun geschehen und wir da wären, so dächte er wieder mit ihm zu sprechen und zu hören, ob er nicht jetzt zu uns ziehen könnte. Bruder David antwortete ihm, er solle es nur tun, wenn er aber einigen Abstand fände, so solle er lieber mit seinem Herziehen noch warten. Er hatte sich schon eine Baustelle und Lot ausgesehen, wo er anbauen und wohnen wollte, und bat daher, dass wir den Platz noch für ihn aufbehalten möchten, welches wir ihm dann auch zu tun versprachen. Dass Netawatwees bisher nicht gerne gesehen hat, dass seine besten und brauchbarsten Leute von ihm zu uns gehen, ist kein Wunder, und man kann es ihm nicht verdenken, denn er wäre ein geplagter Mann und könnte es nicht ausstehen, wenn ihn seine Counsellors verließen; da wir aber nun hier wohnen wird er nicht dagegen sein.

Quelle: Hermann Wellenreuther und Carola Wessel, Hrsg., Herrnhuter Indianermission in der Amerikanischen Revolution. Die Tagebücher von David Zeisberger 1772 bis 1781. Berlin 1995, S. 310-13. [Text sprachlich leicht modernisiert]

Gisela Mettele, Weltbürgertum oder Gottesreich? Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1760-1857. Göttingen 2009.

Carola Wessel, Delaware-Indianer und Herrnhuter Missionare im Upper Ohio Valley, 1772-1781. Tübingen 1999.

Auszug aus dem Missionstagebuch David Zeisbergers (1776), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-74> [24.10.2024].