Jacob von Rammingen über Registraturen und Archivordnungen (1571)
Kurzbeschreibung
Jacob von Rammingen (1510-1582), der bei verschiedenen süddeutschen Fürsten in Dienst stand, wird als erster Autor einer Archivtheorie angesehen. In diesem Auszug beschreibt Rammingen das Wesen eines fürstlichen Archivs, erläutert, wie dieses geordnet werden solle und erklärt, dass das Bewahren von Urkunden, Briefen und anderen Dokumenten vorteilhaft für eine gute Herrschaft sei.
Quelle
[…]
Eingang zu der Registratur.
[…]
Wer dann vmb die Regimenten / Land und Leut / je gewohnt und gewest / denen wirt wol bewust sein / das ein Regent und Oberkeit / nicht allein mit den Vnderthanen / sonder auch mit andern Leuten viel muss zuthun haben / ja mit andern Herrschafften und Oberkeiten / und mit frembden Leuten vil zuschaffen / zutragen und zuhandlen hat / sonderlich zu diesen vnsern Zeiten / und bey dieser jetzigen Welt / da die Leut gantz vnrüwig / gantz frech / freffel und mutwillig / in vielen Leuten weder Gottsforcht noch Erbarkeit / noch einig zucht noch scham ist / sonder je einer des andern Guts begert /je einer den andern in Sack zustossen / vnder sich zubringen / oder aber zuuertreiben vnderstehet / und das ichs ja frey herauss sage / viel Herrschafften und Oberkeit sich an jhrer Iurisdiction nit benügen lassen / sonder begeren auch darüber / und sinnen und trachten darnach / wie sie den Fuß jres gewalts weiter setzen / jhr Territorium erstrecken / jr Iurisdiction erweitern / und in Summa jhren pracht und gewalt mehren und grösser machen könten / Item / wie sie sich mit anderer Leut schweiss und Gut / Reichern mögen / es beschehe gleich per phas vel nephas, so meinen jr vil / was sie fürnemen und anfahen / das sol jhnen erlaubt und recht sein / wer jms nicht wil gefallen lassen / den halten sie eintweder für ein Widertäuffer / oder der sonst die Oberkeit verachten seye / oder gern ein auffruhr erwecken wolte. Was sol man dann vom gemeinen Mann sagen / da wil schier/ durchauß / jederman des gesinnet sein / frembdes Gut zubegeren / nach frembde Gut zutrachten / andern das sein zuentzihen / und das ich zumal obern und vndern zusamen kupplen seye / so wil ihme ein jeder faule tag machen / mit anderer Leuten schweiss / blut und Gut so gar hat der Fürst diser Welt die Leut besessen / so gar hat ers bey vielen obern und vndern / verderbt und zerütt / das ihme schir niemands mehr / vmb einig vnrecht / einig gewissne nimbt noch macht. Mit solchen Gottlosen Leuten / und vnerbarlichen practicken und handlungen / hat dann und gewint ein fromme / Christliche / Gottsförchtige / Ehr und friedliebende Oberkeit und Herrschafft vil zuthun und zuschaffen / da wirt jr / jrer Oberkeit halben / eingegriffen / an einem ander ort vnderstehet man jhr was zuentziehen / am dritten ort wird nicht allein sie angefochten / sonder werden auch jre Vnderthanen und armen Leut beunrüwiget / betrogen und veruortheilt / am vierten ort erweckt man jr und jren armen Vnderthanenen / sonst onbefügte spän / dass sie also an allen orten zuwehren hat. Nun kan ein einzüchtige Person nit an allen orten sein / nicht an allen orten wehren / sonderlich wer ein gross Territorium hat / wer viel Land und Leut hat / wer vil zuuerwalten und zuuerampten hat / Vber das / gibt es vil tagens l und tagleistens / viel rechtfertigung und vnderhandlens / vil schreibens und aussendens / und ja vil expensierens / zu welchen dingen dann ein Oberkeit und Herrschafft / etwan viel Diener und Amptleut / ja ein Regentherr seine Räth / Cantzler und Schreiber / dessgleichen seine Rentmeister / einnemmer und aussgeber haben muss / dann ein Herr kan es mit seiner person nicht alles verwalten und versehen/ nicht alles schaffen/ verhandlen und verrichten / Er muss mitgehülffen und diener haben / die jme trew und redlich seyen / auff die er sich verlassen möge.
So gibt es nun / bey den Regimenten Land und Leut / zu erhaltung guter Policey / zucht und Erbarkeit / und dann in der Oeconomi eines Herren / Hab und Gut / und also bey den Oberkeiten und Herrschafften / under andern mühe und arbeiten / vil schreibens / und vil schrifftlicher verzeichnussen / es gibt vil aussendbrieff / vil schrifftlicher handlungen und Conträct / und darüber viel Instrumenten und Briefflicher vrkund / Es gibt auch viel ordnungen und satzungen / vil Statuta und Constitutiones, vil Decreta und Resolutiones, vil täglicher gebott und verbott / vil Commissiones und befelch / vil entschied und abschied / Item viel Recess / das man alles schrifftlichen verzeichnen und verfassen muss / Item / es gibt vil Rechtfertigung / vn derhalben vil schrifftlicher Gericht Process / so gibt es auch vil verträg / und darüber vil vertragsbrieff / zu zeiten Compromissen und Anläss / Item es gibt auch viel Ratschlag / welche dann auch müssen schrifftlichen verfasst werden. Vber das gibt es vil expensierens / ja es gibt viel einnemen und Empfahens / wie auch vil verlegens und aussgebens / das man dann alles auffschreiben / und derwegen darnach / dem Herren oder der Oberkeit / gute rechenschafft geben / auch ordenliche Raytung thun muss / da gibt es dann schrifftlicher Rechnungen und Register / Item vil vrkund und Recognitiones, darnach gibt es auch Güter halben / vil schrifftlicher Ordnungen und beuelch / an die jenigen / und von wegen deren /die sie verwalten und bawen/ da gibt es viel schrifftlicher auffzeichnussen / was järlichs die Güter ertragen / Item was auff bawung derselben gehe / darnach was auff die Ampt und Dienstleut / zu vnderhaltung derselben allerdings gehn seye / das also die Regimenten / und bey der Oeconomi der Herrschafften und Oberkeiten / zumal der Land und Leut / und dann der Güter halben / mit schreiben und dem einziehen und aussgeben / mühe vn arbeit gnug vorhanden.
Nun zu dem oberzelten / fordert die notturfft / das ein Herr und Oberkeit haben muss / sonderlich da grosse Regimenta / und vil Güter vorhanden / nemlich zu der Regierung Land und Leut / seine weise Räthe / seinen geschickten Cantzler / und seine getrewe ober und vnder Amptleut / und dann / das der Cantzler hab seine wesentliche und geschickte Secretarios und Vnderschreiber. Aber zum einnemen und aussgeben / Item zu der Oeconomi seines Hab unnd Guts / seinen Cammer unnd Renntmeister / Item seine Cammer Räthe und Cammer Secretarien / Item seine Factores und Expensatores, Item / und auch seine ober und vnder Amptleut.
Das also ein Herrschaft und Oberkeit / ein Cantzley / dessgleichen | ein Räyt Cammer haben und halten muss / one welche zwey sie nicht wol noch stattlichen / weder dem Politischen Regiment vorstehn / noch jrem Hab und Gut / und derselben Oeconomi rathe thun kan.
Noch wil es damit nicht aussgericht / noch allem Stewr und Rathe beschehen sein / Sonder so muss ein Herr und Oberkeit / vber dz / zu seinem brieff vn schrifften / verwarnuss vn Verwalter haben / welche alle brieff und schrifften fleissig auffheben / wol verwaren / und in guter Ordnung halten und erhalten / und welche Verwalter können und wissen / solcher brieff und schrifften halben / dem Herren oder der Oberkeit gute anzeigung zuthun / und jhrem innhalt / und was sie im innhalt vermögen / ordenlich zu referieren / Und dann in einem jeden fürfal / einer jeden sach / die brieff und schrifften / die ein Herr und Oberkeit solcher sach halben hat / als bald herfür zugeben. Das ist dann / nach den Regimenten der Cantzley und Rayt Cammer ein sonders Regiment (ein sonder verwaltung) das einer jeden Herrschafft und Oberkeit zuhalten und zuhaben warlich gar von grossen nöten sein wil / welches drit Regiment / den zweyen Regimenten / der Cantzley und Cammer deseruiert und dienet / und von jnen jr wesen empfäht / wie hinwider dieselbigen zwey Regiment / auff dises drit Regiment jren gebürlichen Respect haben / und auss jr wie sie zum theil Regieren sollen / bericht und bescheid nemen müssen.
Nun diss dritt Regiment / heissen und nennen wir ein Registratur / und es ist eben das / von welchem zureden und tradieren / und jrthalben vnderricht und lehr zugeben / wir für vns genommen und vndem handen haben.
Archigubernatio siue Archiregimen, requirit tria alia Regimia, quae ei deseruiunt Regimen scilicet, Cancellariatus Fiscale atque Epistasiatus Registraturae sine quibus ipsa Archigubernatio diuiria esse non potest.
Was die Registratur an ihr selbs / und was eigentlich Registrieren seye / woher auch disem Regiment solcher Name komme.
So ist nun vnser Registratur (in vnserer Intention) nichts anders / dann ein Regiment / das da einer Herrschafft und Oberkeit / all jhre Brieff und Schrifften in guter vnderschiedlicher Ordnung verwalten und behalten / bewaren und verwaren ist / und bey deren man bericht und bescheid findet / was solche brieff und schrifften aussweisen und vermögen / warzu sie dienen und gut zugebrauchen seyen / Sie ist (sag ich noch ein mal) ein Verwalterin und Behalterin / ein Bewarerin und Verwarerin aller brieff und schrifften / die ein Herr oder Oberkeit hat / vmb seine Regalia, Iura und bona, vmb seiner Recht und Gerechtigkeit / und vmb seine verbrieffte und schrifftliche handlungen / sachen / geschefften vn aussrichtungen / und ein solches / so vil das ein Corpus der gantzen volkomnen Registratur belangt / so vil aber jhr ander Corpus berürt / ist sie ein solche Brieffsuerwalterin und Regiererin / die da hat / weiss und versteht allen jnnhalt und vermög der brif vn schrifften / die sie in jrer verwaltung und behaltung / in jrer bewarung und verwarung hat / und die da bericht und vnderricht geben kan /nicht allein was die meinung unnd Summa / eines jeden brieffs / einer jeden Schrifft / sonder auch / was solche brieff und schrifften allerdings aussweisen / vermögen und Importieren / vn warzu sie der Herrschafft unnd Oberkeit allerdings dienstlich und zugebrauchen gut und nutzlich seyen / ja sie wiess in einem jeden furfal / als bald den gantzen Tenorem und Sentenz eines brieffs oder einer schrifft zu referieren / und darüber erklärung und Instruction zugeben. Vber das / weiss jhr Vorsteher und Verwalter / Pro tertio / wann er vmb einige sach angesprochen und gefragt wurdet / ob und was für briefflicher oder schrifftlicher Vrkund oder schein vorhanden / dass also vnser Registratur / administrando nicht allein Conseruiert, ordiniert und Regiert, sonder auch Informiert und Instruiert,
Registratura nostra, est Administratix & Custos Elenchus siue Index, ac Repertorium Instrumentorum aliarumque Scripturarum Monumentorum. Commentariorum atque Argumentorum alicuius Domini Regiminis Magistratiis Et sic duo Corpora Registraturae nostrae.
Also ist vnser Registrieren nichts anders / dann ein kunst und werck alle brieff und schrifften / eines Herrn oder Oberkeit / erstlich in einig Principal Hauptcorpus zu congerieren und zuuerfassen / folgends mit fleiss ordenlichen und schickerlichen zu vnderscheiden / und abzutheilen / und also in abgetheilter vnderscheidner / ordnung in guter bewarung und verwarung / vor zerrüttung / verlust und schaden zuerhalten / daneben jhren jnnhalt fleissig zubemercken / darauss ein kurtze Summa zuziehen und zustellen / dieselbigen / und sonst den jnnhalt solcher brieff und schrifften / in jhre darzu verordnete Register und Bücher zuuerzeichnen und einzuschreiben / darauss in einem jeden fürfall als bald guten bericht vn vnderricht / wie auch ein guten rath wissen zugeben / Et sic Registratio (in materia & intentione nostra) est Ars, siue scientia & studium, Instrumenta publica, aliarumque scripturarum Monumenta, alicuius Domini vel Magistratus, composite, ab Interitu, In vetustatem congerere, atque conseruare, earumque Periocha siue Argumenta, succincte elicere, pausisque Verbis, Denique & omnia contenta ipsorum Instrumentorum ac monimentorum, fldeliter Tabulis & libris ad hoc deputatis, annotare atque inserere, Vt sic ambae, aetemae, memoriae, commendatur, ac pro Instructione perpetuo habeantur. Es ist ein kunst vn fleiss / brieff und briffliche Vrkund / die in offner form besigelt oder sonst Autentisiert / und glaubwürdig auffgericht und gemacht seind / und sonst andere schrifften eines Herren oder einer Oberkeit / zu versamlen unnd composite siue apte, distincte ac diuidue, ordinatim ac separatim, schickerlichen / vnderschiedlichen und ordenlichen / ab Interitu zumal des verlierens und schaden nemens in einem bleiblichen vnzerrütten wesen und stand lange zeit zu conseruieren / zu behalten und zu verwaren / (behalten vorm verlieren / verwahren vor schaden.) Und dann auss solcher brieff und schrifften jnnhalt / das Argument und Summarium mit der kürtz zu ziehen / und dasselb mit wenig worten / und sonst den jnnhalt vn die mainung solcher brieff und schrifften / in die darzu verordnete Register und Bücher / verzeichnen und einschreiben / das mans nicht allein hab zu ewigem angedencken / sonder jres jnnhalts und vermögens ein ewigen bericht hab / und vnderricht haben möge.
Denique Registraturam nostram vocamus, non solum ipsum Regimen ipsamque fabricam, Verum & omnium Iurium alicuius Domini siue Magistratus, Instrumentorum, scripturarumque Strinxa atque Cellas. Quod a nobis alios (quamuis aliqualiter Improprie) quo ad totam Operis atque strücturae fabriam Archiuum, alioquin vnum corpus Registraturae, Charthophilatium a, alterum vero Tabularium nuncupamus.
Carthophilatium in materia & fabrica nostra, vocamus Cameram istam, atque ferulas eius, in quae Chartaescripturarum reponuntur & conseruantur. At Tabularium est librorum istorum, qui continent tenores atque Argumenta, nee non & notata ac deliberationes Chartarum.
Praeterea, so ist vnser Registratur ein solch Regiment / das nicht allein andern Regimenten dienet / sonder auff welches andere Regimenta sehen / ja sehen müssen / ja nach welcher sie Regieren / und jre Regimina reguliern müssen / hieuon aber einem ander ort weiter. […]
Quelle: Jacob von Rammingen, Von der Registratur, Vnd Jren Gebäwen vnd Regimenten, deßgleichen von jhren Bawmeistern vnd Verwaltern vnd jrer qualificationen vnd habitibus, Vnd dann was für grosser vilfältiger nutzbarkeit auß einer wol angestelten ... Registratur entspringen vnd eruolgen. Heidelberg, 1571, S. 16-25. Online verfügbar unter: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00010487/images/ Abgedruckt im deutschen Original in: The earliest predecessors of archival science: Jacob von Rammingen's two manuals of registry and archival management, printed in 1571. Übersetzung von JBLD Strömberg. Lund: Wallin & Dalholm, 2010, S. 27-36.
Weiterführende Inhalte
Markus Friedrich, The Birth of the Archive: A History of Knowledge, übersetzt von John Noël Dillon. Cultures of Knowledge in the Early Modern World. Ann Arbor, MI: University of Michigan Press, 2018, S. 59-82.
Beat Rudolf Jenny, „Vom Schreiber zum Ritter: Jakob von Ramingen: 1510- nach 1582“. Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen 26 (1966), S. 1-66.