Georg Christoph Lichtenberg, „Etwas vom Akademischen Museum in Göttingen“ (1779)

Kurzbeschreibung

Die folgende Darstellung beginnt mit einer Beschreibung der naturkundlichen Sammlungen in Europa von der Antike bis zur Renaissance. Der anonyme Autor, heute bekannt als Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), kritisiert einige dieser Sammlungen dafür, dass sie natürliche und künstliche Kuriositäten in einer Sammlung zusammen zeigen. Lichtenberg wendet sich dann dem neuen Akademischen Museum in Göttingen zu, das er als moderne Sammlung lobt. Die dort gezeigten Objekte dienen nicht nur der Repräsentation, sondern vielmehr dem Studium der Natur und der Förderung der Wissenschaften, argumentiert er. Grundlage für das Akademische Museum war die umfangreiche Sammlung des Göttinger Professors Christian Wilhelm Büttner (1716–1801), der sie dem Museum vermachte. Im Laufe der Zeit wurde das Museum nach und nach um weitere Sammlungen erweitert.

Quelle

Etwas vom Akademischen Museum in Göttingen

Es hält schwer zu begreifen, wie man beym Studium der Naturgeschichte – einer Wissenschaft, die so vieles zu Milderung des menschlichen Elends, zu Stillung tausendfacher Bedürfnisse, zur Dämpfung des Aberglaubens, beyträgt; die so unaufhörliche Unterhaltung gewährt; und die daher seit den ältesten Zeiten, und weit früher als die mehresten übrigen Fächer menschlicher Kenntnisse betrieben worden ist; die sich auch in Perioden erhalten hat, wo fast alle andre Studien unter dem Druck der Barbaren schlummerten: – wie man bey alle dem erst so späte hat auf den Einfall gerathen können, Naturalien-Cabinette, Archive der Natur anzulegen, und die Belege zu sammlen, mittelst deren man die Natur aus ihr selber studieren könnte. Die Sammlungen der Griechen und Römer sind keiner Rede werth. Sie giengen blos aufs Wunderbare, und alles was sie thaten, war, wie man aus Pausanias u.a. sieht, daß sie vermeinte Riesenknochen, große Seethiere, Schlangenhäute und dergleichen Sachen in Tempeln beylegten. Eben solche, blos abentheuerliche Dinge, und nichts weiter, wurden nachher im Orient unter den Byzantinischen Kaisern, und in mittleren Zeiten im Occident in Kirchen und Klöstern aufgehoben. Erst im sechszehnten Jahrhundert haben einige Aerzte, und zwar in Deutschland, angefangen, zu Aufklärung der Naturkunde zweckmäßige Naturalien-Sammlungen anzulegen. Georg Agricola, der in Joachimsthal, in Zwickau und Chemnitz lebte, ist der erste, der schon um die Zeit der Reformation ein Mineralien-Cabinet sammlete. Ihm folgten Joh. Kentmann, ein Torgauer Medicus, und besonders der bekannte Zürcher Polyhistor Conrad Gesner, der durch einen ausgedehnten, und in jenen Zeiten unglaublich mühsamen Briefwechsel, eine große Menge Naturalien aller Art zusammenbrachte. In Italien sammleten nachher Jul. Cäs. Arantius und Ulyß. Aldrovandus, in England viel später erst Joh. Tradescant, Carls des ersten Hofgärtner, und so im übrigen Europa nach und nach andre Männer Privatsammlungen, oder legten auf Kosten großer Herren öffentliche Cabinette an. Diese ältern Sammlungen hatten doch fast durchgehends den Fehler, daß man mehr Seltenheiten als Merkwürdigkeiten der Natur zusammenrafte; zudem auch Kunstsachen, Gewehre, Hausgeräthe fremder Völker, und ähnliche Curiositäten mit untermengte, und dadurch dem Ganzen ein buntschäckiges geschmackloses Ansehn gab, auch selbst die Brauchbarkeit des Instituts dabey verringerte; ein Fehler, der doch neuerlich meist gehoben, und Kunst-Kammern und Naturalien-Sammlungen getrennt sind.

Ueberhaupt wird der Werth eines Cabinets durch seine Nutzbarkeit, und diese theils durch die Vollständigkeit, theils durch die Art des Gebrauchs den man davon machen darf, bestimmt. Aus der letzten Rücksicht werden nun vorzüglich akademische Cabinette wichtig, deren gänzliche Bestimmung dahin abzweckt, daß sie nicht zum Prunck, sondern lediglich zum Gebrauch, zur Untersuchung und zum Unterricht dienen sollen. Und doch ist sonderbar, daß man auf diese allernutzbarste Gattung von Cabinetten gerade am letzten bedacht gewesen.

Göttingen ist die erste Universität in Deutschland, vielleicht in Europa, die mit einem eigentlich akademischen Museum versehen worden; und wir halten uns verpflichtet, von ihm, auch schon als Epochemachendem Phänomen, hier einige Nachricht zu ertheilen.

Die Grundlage zum Göttingischen Museum macht die bekannte Naturalien- und Münzen-Sammlung des verdienten Hrn. Prof. Büttners – eine Collection, die schon vor langen Jahren von Vorfahren des Hrn. Prof. angefangen, von ihm selbst aber, mit unablässiger Rücksicht aufs Nutzbare und Lehrreiche, ungemein verstärkt worden ist, und die er vor einigen Jahren sehr patriotisch zum öffentlichen Gebrauch an die Akademie überlassen hat.

Von den Münzen sagen wir blos beyläufig, daß unter den Antiken besonders die Römischen Suiten, von den Consularibus an, bis in die spätern Zeiten, von einer seltnen Vollständigkeit sind; und daß bey den Modernen vorzüglich auf Statistischen Nutzen gesehn, mithin die gäng und geben Münzen aller neuern Staaten, in verschiednen Perioden ec. zusammen zu bringen gesucht worden.

Die Naturalien-Sammlung hat ihre Force im Thier- und Mineralreiche, doch ganz vorzüglich in letzterem. Sie begreift unter andern eine eben so merkwürdige als kostbare Collection aller Edelsteine, sowol in ihrer natürlichen crystallinischen Gestalt (forma determinata), meist auch zugleich mit der Mutter in welcher sie brechen; als in allen Nuancen ihrer Farben, ihres Feuers, Wassers u. ferner ihres verschiednen Vaterlandes, und endlich auch in ihrer verschiednen Bearbeitung, Brillantirung und Fassung. Gleiche Vollständigkeit hat man in den übrigen Branchen beyder Reiche zu erlangen getrachtet. Alle Steinarten, Erzte ec. finden sich in ihren verschiedenem Zustande, Gestalt, Stufenfolge, wie sie mit einander verbunden oder aufgelöst, zusammengesetzt oder dissociirt und verändert werden u.s.w.

Im Thierreich beläuft sich allein die Anzahl der größern Thiere in Brantewein auf mehrere Hunderte. Vorzüglich aber hat der Herr Prof. auch auf Embryonen und Gerippe von Thieren gesammlet; die um desto schätzbarer werden, da sie oft über Umstände Aufschluß geben, die sich am ganzen Thier, seys ausgestopft oder in Spiritus, nicht so füglich erkennen lassen. So ist die Beschaffenheit der Klauen und Zehen an unzeitigen Thieren deutlicher zu erkennen, als bey behaarten Füßen; so die Zähne besser am Gerippe als bey einem Stück was noch seine fleischichten Theile hat. Von solchen Thieren, die eine Metamorphose bestehen, ist wo möglich immer die ganze Suite ihrer Verwandlungsgeschichte beysammen. Von dem, was mehr bloßes Tapetenwerk ist, von leeren Schneckenhäusern und Muschelschaalen, ist zwar der Vorrath allemal respektabel, doch sucht man lieber die Conchylien in Spiritus zugleich mit ihren Bewohnern zu erhalten. Auch die sogenannten Präternaturalia, Misgeburten u.s.w. sind in Menge vorhanden. Besonders ist die Collection von Steinen aus dem menschlichen Körper sehr beträchtlich und lehrreich; bey weitem stärker als die in Daubentons Verzeichniß vom Königlichen Cabinat in Paris.

Diese Büttnersche Anlage des Museums ist nach der Hand durch die Vorsorge der Königlichen Regierung sehr beträchtlich vermehrt worden.

Bald anfangs ward nemlich die große Kräutersammlung des Leibmed. von Hugo, von der Bibliothek dazu gegeben. Sie besteht in 79 Bänden, und wird vorzüglich wegen der Menge exotischer Pflanzen, die der große Botanist Vaillant für Herrn von Hugo gesammlet; sodann durch eine sehr vollständige Sammlung Schweizer Pflanzen von der Hand des Herrn von Haller; und dann durch zwölf Bände Malabarischer Gewächse, wozu die Etiketten in Malabarischer Sprache auf Palmblätter geschrieben sind, merkwürdig.

Im Jahr 1777 ist auf Ihro Majestät Befehl, auch die Mineralien-Sammlung, die bis dahin auf der Bibliothek zu Hannover gestanden, mit dem akademischen Cabinet verbunden worden. Diese ist vorzüglich wegen der zahlreichen Gold- und Silber-Stufen, und wegen der vielen seltnen Spatdrusen von ausserordentlicher Größe, schätzbar. Unter den Silberstufen ist unter andern ein Stück gediegenes Silber mit etwas Rothgülden, was blos am innern Werth gegen 1700 Nthlr. hält: und unter den Kalk- Gyps- und Fluß-Spaten finden sich alle Arten, die seit hundert Jahren auf dem Harz gebrochen worden. Theils rührt diese Collection von dem großen Mineralogen Schluter, theils aber vom Herrn von Leibnitz her, der verschiedne der hier befindlichen Petrefacte in seinen Protogäis beschrieben und abgebildet hat.

Nächst dem hat auch das Museum, durch die Freygebigkeit Ihro Durchlaucht der verwittheten Fürstin von Waldeck, der beyden Herrn de Luc, des Freyherrn von Hüpsch und andrer berühmten Männer, Anwachs erhalten und wird, wie sichs von selbst versteht, durch die Gnade der Regierung noch immer mehr und mehr vervollkommnet.

Wir schliessen unsre Anzeige mit einigen für diesen Ort schicklichen Bemerkungen, die wir im Museo zu machen Gelegenheit gehabt haben.

Man hat gestritten, ob die Mohren schon im Mutterleibe schwarz wären. Das wird aber durch mehrere hier vorräthige Stücke verneinend entschieden. Ein Hottentotten Embryo ist allerdings fleischfarben, und ein Negerfötus aus Curaßao hat seine graue Farbe blos dem Rum zu danken, worinn er verschickt worden: wie man an einer andern Frucht von deutscher Abkunft, die einige Zeit in gleichem Glase gewesen, ersieht.

Einige Anthropologen haben die bestimmte Bildung der Schedel bey verschiednen Völkern auf Rechnung des Clima zu schreiben gewagt. Winkelmann leitete das schöne Oval der Türkenköpfe vom Einfluß des glücklichen griechischen Himmels her. Die Sammlung von Schedeln verschiedner Nationen im Cabinet, widerlegt dieses Vorgeben; selbst mehrere Türkenschedel sind verschieden gebildet, und machen in unsern Augen nichts weniger als ein hubsches Oval.

Die flache Bildung des Menschengesichts wird vorzüglich durch den Mangel eines besondern Knochen bewürkt, in welchem bey andern Säugethieren die obern Schneidezähne sitzen, und der sich bey sechs Affenschedeln, die im Cabinette sind, und selbst beym Orangutan findet. Er mangelt hingegen bey einem, auch aus andrer Rücksicht sehr merkwürdigen Affengerippe, womit die Fürstin von Waldeck das Cabinet beschenkt hat; dessen Kopf daher rundlich, das Gesicht flach und ziemlich Menschen-ähnlich ausfällt.

Die Papageyen, Nashornvögel und Pfefferfraße haben im Verhältniß ihrers Körpers unproportionirlich große und dabey sehr leichte Schnäbel. Einige Zergliedrer neuerer Zeit haben geglaubt, daß sie diesen Thieren zu Verstärkung des Geruchs, gleichsam als verlängerte Nasenknochen gegeben wären. Dieß ist irrig. Die hier befindlichen anatomischen Präparate von diesen Vögeln erweisen, daß es bloße Luftbehälter sind, so wie andre Luftzellen der Vögel in den Flügelknochen, im Unterleibe ec. die ihnen zur Leichtigkeit des Flugs, zum lang aushalten der Töne, theils auch zur Entledigung des Unraths, nutzen.

Die wesentliche Verschiedenheit zwischen dem Amerikanischen Kayman, und dem wahren Nilcrocodil, die doch selbst von Linné u.a. für eine einzige Gattung angesehen worden, sieht man hier in einer Suite von Crocodilen verschiednen Alters, aus beyden Welten. Der Nilcrocodil hat starkhervorstehende scharfe Schilder, der Kayman nur flache Erhabenheiten, ist viel rundlicher u.s.w.

Man hat gezweifelt, ob die Pipa, eine Surinamische Kröte, die ihre Jungen auf dem Buckel ausheckt, eben die Metamorphose wie unsre hieländischen Frösche, bestehe, und anfänglich geschwänzt sey. Dieß wird allerdings aus einer Reihe von sechsen dieser Thiere erweislich, an denen die stufenweise Verwandlung der Jungen vollkommen zu erkennen ist.

Neuere Weltweisen haben den Unterschied zwischen beyden organisirten Reichen, zwischen Thieren und Pflanzen, aufzuheben getrachtet; und sich deshalb besonders auf verschiedne Corallenarten (Gorgonien) bezogen, deren Stämme von innen ganz holzicht und pflanzenähnlich wären. Die Sammlung von Thierpflanzen im Cabinet erweist, wie fehlgeschlossen dieß sey. Offenbar sieht man, daß das Innere solcher Corallenstämme wahre Pflanzen (Fucus) sind, an welchen die Polypen blos angebaut haben: die aber übrigens eben so wenig zum Wesen dieser wahren Thiere gehören, als ein Baum zu dem Vogel, der auf ihm nistet.

Man hat dübitirt, ob sich die unedlern Metalle: Kupfer, Eisen, Zinn ec. in ihrer reinen gediegnen Gestalt fänden. Mehrere gediegne Stücken von den genannten Erzten im Museum lassen in der Sache keinen weitern Zweifel übrig. Freylich sind sie selten, und werden in der Folge immer seltner werden, da die Wege zur Vererzung dieser Metalle immer fortwürken. Aber dieß giebt keinen Grund sie gänzlich abzuleugnen: folgends da man schon a priori schliesen kann, daß sie ehedem viel häufiger als jetzt, und sehr gemein gewesen seyn müssen; da die ältesten rohsten Völker schon Waffen aus solchen Metallen gehabt, denen man doch schwerlich genug metallurgische Kenntnisse von Bearbeitung der vererzten Minern zutrauen darf.

Manche gemengte oder zusammen gebackne Steinarten, wie Granit, Porphyr ec. scheinen von den Alten auch durch Kunst nachgemacht worden zu seyn. Im Museum sind verschiedne verarbeitete Stücke, besonders Streitäxte u. dergl. die so sichtbarlich in eine Form gedruckt gewesen scheinen, daß sie diese Muthmaßung mehr als blos wahrscheinlich machen.

Quelle: Georg Christoph Lichtenberg, „Etwas vom Akademischen Museum in Göttingen“, Taschenbuch zum Nutzen und Vergnügen, herausgegeben von Georg Christoph Lichtenberg. Göttingen, 1779, S. 45–57. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10861350-3

Marie Luisa Allemeyer, Dominik Collet und Marian Füssel, „The ‚Academic Museum‘ – Göttingen’s University Collection as a space of knowledge production and cultural heritage“, in Opuscula Musealia, herausgegeben von Jagiellonen-Universität, Bd. 18. Krakau, 2010, S. 15–21.

Georg Christoph Lichtenberg, „Etwas vom Akademischen Museum in Göttingen“ (1779), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-193> [23.10.2024].