Dr. M. Bach, „Das Aquarium“ (1868)

Kurzbeschreibung

Wissenshistorikerinnen und -historiker untersuchen Bildungsartefakte, wo immer diese zu finden sind, darunter auch in Haushalten. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts umfassten derartige Artefakte Landkarten und Globen, die Kinder in ihren Zimmern ausstellten, Mikroskope, die Männer in ihren Salons aufbauten und chemische Pestizide, die Frauen verwendeten, um Kakerlaken in ihren Küchen zu töten. Dieser Textausschnitt stellt ein weiteres Bildungsartefakt aus deutschen Haushalten vor: das Aquarium. Er lässt erkennen, dass Aquarien mehr als Dekoration waren: Sie luden zu privatem Forschen und Lernen ein und boten Gelegenheit, die intellektuelle Neugier einer Bevölkerungsgruppe zu befriedigen, die im Bereich der Naturwissenschaften immer gebildeter wurde. Als solche trugen Aquarien dazu bei, Privatbereiche in eigenständige Orte des Wissens zu transformieren.

Quelle

Das Aquarium

Zwischen dem Thier und dem Pflanzenleben besteht eine merkwürdige und wunderbare Wechselbeziehung: das Thier nimmt durch die Athmung als unentbehrliche Lebensbedingung fortwährend Sauerstoff auf und gibt dafür durch die Ausathmung Kohlenstoff und zwar in der Form von Kohlensäure wieder ab, während die Pflanze ebenso nothwendig Kohlensäure aufnimmt und Sauerstoff aushaucht. Eins liefert also dem Andern als unentbehrlichen Bedarf, was es selbst nicht mehr zum Leben verwenden kann: Eins dient dem Andern.

Diese Wechselbeziehungen zwischen Thier und Pflanze gehen aber noch weiter. Während die Pflanze ihre Nahrung aus der Luft, dem Wasser und der Erde bezieht, muß das Thier seine Nahrung hauptsächlich aus dem Pflanzenreich oder gar aus dem Thierreiche nehmen.

Sobald man diese Einsicht in die Oekonomie der lebenden Wesen erlangt hatte, lag der Gedanke nicht gar zu fern, gerade solche Thiere und Pflanzen auszuwählen, zwischen denen diese innige Wechselbeziehung besteht, und sie in einem Behälter zusammen zu stellen, um dadurch ein Bild der Welt im Kleinen zu besitzen. Ein solcher Behälter ist es eben, was man Aquarium nennt. Behälter dieser Art wurden zuerst in England zusammen gestellt und bei der ersten Weltausstellung dort gezeigt. Andere Behälter ähnlicher Art, die aber nur die Bestimmung hatten, die Lebensweise dieses oder jenes Thieres genauer erforschen zu können, hatte man schon früher. „Alle echten Naturforscher“, sagt Prof. Roßmäßler[1], „denen es nicht blos darum zu thun ist, getrocknete Mumien von Pflanzen und Thieren aufzuspeichern, um daran die Kennzeichen der äußeren Form zu studiren, denen das Leben die Hauptsache ist, alle pflegten seit den ältesten Zeiten der Naturforschung das zu erforschende Leben in ihrer nächsten Nähe, an ihren Arbeitstisch zu fesseln, um täglich und stündlich immer und immer wieder die Wandlungen und Gestaltungen derselben belauschen zu können.“ In dem Zimmer eines solchen Naturforschers bemerkt man deshalb fast immer eine Anzahl von Schachteln, Schächtelchen, Gläsern, Flaschen, Büchsen und Töpfen, so daß es fast aussieht, wie in einer kleinen Apotheke. Alle diese Behälter sind mit wunderlichem Gethier oder mit allerlei Gewächsen angefüllt, die dann von Zeit zu Zeit mit der größten Aufmerksamkeit beobachtet und untersucht werden. Man kann nicht sagen, daß diese verschiedenen Behälter gerade eine Zierrath für das Zimmer sind. Deshalb wird jetzt von manchen Naturforschern das Aquarium dazu benutzt, um die nöthigen Beobachtungen über Verwandlung und Lebensweise mancher Thiere zu machen. Ein gut eingerichtetes Aquarium ist in der That eine freundliche Zimmerzierde und dabei eine reiche Quelle der angenehmsten Unterhaltung und Belehrung, und dies auch selbst für Laien in der Naturwissenschaft.

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Man hatte absichtlich den Inhalt so und nicht anders gewählt, weil man eben nur damit eine Welt im Kleinen, oder wie man es auch nennen kann, die Welt in einem Glase darstellen wollte. Die Wesen, die man so zusammengebracht hatte, konnten sofort bestehen, ohne daß es nöthig war, sie weiter mit Nahrung zu versorgen, wenn ihnen nicht der nöthige Einfluß von Licht und Wärme entzogen wurde. Nicht einmal das Wasser brauchte man von Zeit zu Zeit zu erneuern, indem es immer klar und rein blieb. Jedes der genannten Wesen trug zum Lebensunterhalt des andern bei, oder anders ausgedrückt, eines lebte von dem andern. Sie bildeten also eine für sich bestehende Welt und zugleich wiederholten sich in diesem Glase die Lebensprozesse und die Erscheinungen, welche wir in der Oekonomie der lebenden Wesen auf der Erde wiederfinden.

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Wir sagten oben, daß die Goldfische in einem auf die angegebene Weise hergestellten Glasbehälter munter umherschwimmen, eine Erscheinung, die bei der gewöhnlichen Aufbewahrung nur selten zu sehen ist; im Gegentheil sterben die Goldfische häufig ab, selbst bei einer sonst sehr sorgfältigen Pflege, besonders wenn sie reichlich mit Obladen gefüttert werden. Ihr beständiges Schwimmen an der Oberfläche, wenn das Wasser alt wird, zeigt, daß es ihnen an Sauerstoff fehlt. Eine kleine Anzahl Pflanzen würde diesem Uebel abhelfen.

Selbst bei den in Apotheken aufbewahrten Blutegeln käme es auf einen Versuch an, ob sie sich in einem Gefäße mit Pflanzen nicht wohler befänden.

3. Um nun wieder zu den Aquarien zurückzukehren, so wird es nach den oben mitgetheilten Erörterungen leicht begreiflich sein, daß es eben nicht leicht ist, das richtige Verhältniß in der Zusammensetzung eines Aquariums zu treffen, damit kein Stoff vorherrscht und keiner in zu geringem Maße vorhanden ist. Sollte aber das eine oder das andere der Fall sein, so treten Störungen ein, die so weit vorschreiten können, daß alles zu Grunde geht.

In diesen Schwierigkeiten ist wohl auch die Ursache zu suchen, warum bis heute die Aquarien noch so selten zu finden sind, trotzdem daß sie eine so reiche Belehrung und reizende Unterhaltung gewähren. Der Uebelstand, der sich in der Regel zuerst zeigt, ist der, daß das Wasser in dem Behälter verdirbt; namentlich geschieht dies sehr bald, wenn ein oder das andere Thier darin stirbt. Durch die Zersetzung des Leichnams trübt sich das Wasser, nimmt einen üblen Geruch an und führt endlich den Tod aller noch übrigen Thiere herbei. Hat man daher bei der Zusammensetzung eines Aquariums nicht auf das richtige Verhältniß die nöthige Rücksicht genommen, oder will man nur die Verwandlung oder Lebensweise eines Thieres beobachten, ohne dabei die übrigen dazu passenden Thiere oder Pflanzen herbeischaffen zu können, so muß man sich entschließen, jeden Tag das Wasser wenigstens zur Hälfte wegzunehmen und durch frisches zu ersetzen. Dies geschieht am besten durch einen Schlauch von Kautschuck, ist aber nicht allein zeitraubend, sondern auch unangenehm.

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4. Hat man ein größeres Aquarium, allenfalls ein Kastenaquarium, so kann man natürlich auch mehr und verschiedenartigere Thiere darin unterbringen. Wir hatten Gelegenheit eines zu sehen, in dem sich außer den Pflanzen verschieden Arten von Wasserschnecken, Fische, einige Wassereidechsen und Wasserkäfer befanden. Von den letzteren tummelten sich darin der große Schwimmkäfer, Dytiscus marginalis und der noch größere Hydrophilus piceus. Außer den Goldfischen enthielt der Behälter noch einige fleischfressende Fische aus dem Rheine. Die Wasserschnecken waren Limnaeus stagnalis, Planorbis corneus u.s.w.

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Die Bewohner der Ost- und Nordseeküsten haben den besondern Vortheil, außer den Behältern mit süßem Wasser auch Meerwasser Aquarien einrichten zu können. Diese enthalten natürlich nur Seepflanzen und Seethiere. Es fehlt gar nicht an wunderlich gestalteten Thieren und Pflanzen aller Art in der See, um Aquarien damit bevölkern zu können. Man hat zwar auch versucht, das Meerwasser künstlich darzustellen, damit man auch entfernt von der See Meeraquarien anfertigen könne. Dies Unternehmen scheint jedoch zu viele Hindernisse gefunden zu haben, so daß man davon abstand.

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Anmerkungen

[1] Lesern, die noch mehr über Aquarien wissen wollen, als in den diesen Zeilen gegeben wird, empfehlen wir Roßmäßlers anziehend geschriebenes und reich illustrirtes Buch: Das Süßwasser-Aquarium. Leipzig. H. Mendelsohn.

Quelle: Dr. M. Bach, „Das Aquarium,“ in Natur und Offenbarung. Organ zur Vermittlung zwischen Naturforschung und Glauben für Gebildete aller Stände 14 (1868), S. 254–58.

Dr. M. Bach, „Das Aquarium“ (1868), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-147> [01.12.2023].